Die letzte Saison, seine letzte als Fußballprofi, war nicht gerade einfach für Steffen Hofmann. Er kam kaum noch zum Einsatz. Saß entweder auf der Tribüne, weil Rapid Wien zu viele Ausländer verpflichtet hatte, oder auf der Bank, weil ihn der Trainer mit seinen 37 Jahren mittlerweile für zu langsam hielt. „Ich war noch nie der Schnellste, aber ich habe andere Qualitäten, mit denen ich der Mannschaft hätte helfen können“, sagt Hofmann.
Seiner Enttäuschung hat er öffentlich aber keinen Ausdruck verliehen. Dabei gab es viele Stimmen, die Rapid einen respektlosen Umgang mit der Vereinsikone vorwarfen. Es gab aber auch andere, die fanden, Hofmann hätte einfach den richtigen Zeitpunkt für seinen Absprung verpasst. „Wenn ich etwas gesagt hätte, hätte das hohe Wellen geschlagen. Ich wollte keine Unruhe in den Verein bringen“, sagt Hofmann. Rapid, das ist nach 16 Jahren mittlerweile seine zweite Familie. Und auch seine Karriere nach der Karriere startete bereits in Österreichs populärstem Fußballverein.
Ein Lupfer typisch Hofmann
Aber es kam der Tag, der fast alles Negative auslöschte. Der 20. Mai, ein Sonntag, Rapid bestritt das letzte Liga-Heimspiel der Runde gegen Altach. Das ganze Spiel über hatten die Fans Hofmann, ihren „Fußballgott“, schon besungen, aber erst in der 67. Minute wurde er eingewechselt. Nur sieben Minuten später scheiterte er zunächst am gegnerischen Torwart, aber der Nachschuss – ein gewitzter Lupfer, typisch Hofmann – saß zum 4:1-Endstand. Direkt vor der Westtribüne mit den ganz harten Fans. Dort und im ganzen Allianz Stadion brach kollektive Ekstase aus. Hofmann schlug, umringt von seinen Mitspielern, immer wieder mit der Faust auf seine Brust, auf das Rapid-Wappen. Es war sein erstes Saisontor. Gleichzeitig sein insgesamt 128. Treffer in seinem 540. und letzten Pflichtspiel für den Klub.
„Ich habe an diesem Tag viele erwachsene Männer weinen sehen“, sagt Hofmann. „Es war ein wunderschöner Abschluss meiner Karriere.“ Und emotional eigentlich nicht mehr zu toppen. Das eigentliche Abschiedsspiel, das am Sonntag zu seinen Ehren organisiert wurde, schien nur noch eine schöne Dreingabe zu werden. Hofmann hatte sogar Sorge, vor einem halbleeren Stadion zu spielen. Doch es kam anders. Mit 25 300 Zuschauern war es fast ausverkauft in Hütteldorf. „Das macht mich stolz, was ich sehr, sehr selten bin“, sagte Hofmann hinterher.
Viele Tränen, wenig Schlaf
Vor allem aber bereiteten die Fans ihrem Idol eine nimmermüde, lautstarke Dauer-Huldigung, die jedem im Stadion unter die Haut ging. Ohne das wäre die sorgfältige Inszenierung verpufft. Die Westtribüne zeigte die Choreografie „Danke Steff“ und zog später ein Blocktransparent mit Hofmanns Konterfei hoch. An alle Besucher waren Hofmann-Pappgesichter mit ausgestanzten Augen verteilt worden. An diesem Abend sollten eben alle Steffen Hofmann sein.
Der derart Gefeierte saß nach vielen Tränen mit verschwollenem Gesicht und fix und fertig noch einmal vor den Journalisten. „Es war sehr bewegend. Ich habe letzte Nacht schon wenig geschlafen und ich weiß, dass ich auch heute Nacht wenig schlafen werde“, sagte er. In einem im Stadion gezeigten Videobeitrag hieß es am Ende: „Steffen Hofmann und Rapid – eine Beziehung, die es so schnell nicht mehr geben wird.“ Das war sanft untertrieben. Fußballer, die nahezu ihre ganze Karriere einem einzigen Verein widmen, gehören fast schon zu einer vergangenen Zeit. Dass der Deutsche immer geblieben ist, obwohl er eigentlich zu gut war für die österreichische Bundesliga, das ist nur ein Grund für die Verehrung, die Hofmann durch die Rapid-Fans entgegen gebracht wird.
Respekt auch bei der Konkurrenz
Seine fußballerischen Qualitäten, seine Torgefahr, sein brennender Ehrgeiz, seine gelebte Rolle als Vorbild, seine Bodenständigkeit, sein soziales Engagement – das sind die anderen Gründe. Respektiert wird Hofmann jedoch in der gesamten österreichischen Fußballszene, außer vielleicht beim Lokalrivalen Austria Wien, der in den Derbys durch ihn häufig Schaden erlitt. Als Rapid zuletzt in Graz gastierte, zollten ihm die Sturm-Anhänger zum Abschied auf Transparenten ihren Respekt. Hofmann war beeindruckt und bedankte sich bei Facebook. In seiner Heimat Deutschland ist er immer unterschätzt worden, kein Bundesligist wollte es mit ihm probieren. Dabei wäre er 2004 fast zu einer Berufung in die Nationalmannschaft gekommen, wenn eine Operation ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
Mit 4:2 durften „Steffen Hofmann & Friends“ das Abschiedsspiel gegen die aktuelle Mannschaft von Rapid gewinnen. Alle vier Tore für sein Team, das er selbst zusammengestellt hatte und zu Beginn fast der letzten Meistermannschaft von 2008 entsprach, schoss natürlich Steffen Hofmann. Das war vermutlich die Rache dafür, dass ihn ein Jungprofi gleich nach dem Anstoß getunnelt hatte. Erst verwandelte er zwei großzügig erteilte Foulelfmeter, dann traf er zwei Mal gekonnt aus dem Spiel heraus.
Auswahl phasenweise zu zwölft
„Natürlich war es kein ernstes Spiel. Aber verlieren wollten wir nicht“, sagte Hofmann. Vor allem er wollte nicht verlieren, spielte durch im Gegensatz zu seinen ehemaligen Mitstreitern, die schon früher als er in Fußball-Rente gegangen sind. Dass die Auswahl phasenweise ungeahndet zu zwölft auf dem Rasen war, sei „bitter nötig“ gewesen, scherzte Hofmann.
Dabei waren mit Owen Hargreaves und Sebastian Bönig zwei ehemalige Vereinskollegen bei Bayern München. Auch Steffens Bruder Alexander kickte ein paar Minuten mit. Wie er waren seine Schwester, seine Eltern sowie viele Verwandte und Freunde aus dem heimischen Kirchheim nach Wien gekommen. Hofmanns gesangsbegabte Töchter Sophie-Marie und Emily sangen mit Solisten der Volksoper „You?ll never walk alone“, sein kleiner Sohn Moritz führte den Anstoß aus.
Eine letzte Ehrenrunde
Diese Symbolik musste wohl sein: Das Spiel endete in der 79. Minute, also elf Minuten vor der Zeit. Die 11 ist Steffen Hofmanns Rückennummer, die nun elf Jahre nicht mehr vergeben werden soll. Er ging beifallumrauscht auf eine letzte Ehrenrunde, zündete vor der Westtribüne entgegen allen Pyrotechnik-Verboten noch eine grüne Fackel und sagte, von der Kamera begleitet, nach dem letzten Gang in die Kabine dann „Danke & Servus“.
Und nun ist?s gut. „Irgendwie bin ich auch froh, dass es jetzt wirklich vorbei ist“, sagte er am Sonntagabend. Erstmals keine Saisonvorbereitung zu absolvieren, sei schon komisch gewesen, „ich hab das ja mein ganzes Leben gemacht Aber es ist alles ein bisschen entspannter jetzt.“ In die Zukunft deuteten schon die Geschenke, die ihm der Hauptsponsor und die Vereinsführung angedeihen ließen: Ein Golfbag und eine Golfreise gemeinsam mit Josef „Pepi“ Hickersberger, seinem ehemaligen Trainer und Mentor, der ihn mit 23 Jahren schon zum Kapitän gemacht hatte.
Ein Anschlussvertrag
Nur noch Urlaub, das wäre aber nichts für ihn. Hofmanns neue Aufgabe im Verein ist die des Talentemanagers, mit der er bereits im letzten Herbst begonnen hat. Weitblickend hatte er bereits 2006 nach seiner Rückkehr von einem halbjährigen Gastspiel bei 1860 München einen dreijährigen Anschlussvertrag nach seiner aktiven Zeit ausgehandelt. Noch ohne nähere Funktionsbeschreibung. Sportdirektor Fredy Bickel, ein Schweizer, schlug Hofmann vor, seine soziale Kompetenz einzubringen und sich betreuend um die Talente des Vereins an der Schwelle zur Profimannschaft zu kümmern. „Für mich ist das eine schöne Aufgabe und für den Verein ist es sehr wichtig“, sagt Hofmann. „Der Spielermarkt in Österreich ist eng, gute Nachwuchsarbeit daher nötig.“
Gleichzeitig will er seinen Horizont erweitern. Der Klub habe vor, ihn an die österreichische Bundesliga-Manager-Akademie zu schicken, sagt Hofmann, zudem plant er Hospitanzen bei anderen Vereinen. Vielleicht wird er eines nicht allzu fernen Tages selbst Sportdirektor bei Rapid. „Das ist nicht mein großes Ziel, ich sehe das sehr entspannt. Aber überall, wo Fredy Bickel bisher Sportdirektor war, ist der Talentemanager auch sein Nachfolger geworden.“ Die Rapid-Fans müsste man nicht lange fragen, was sie davon halten würden.
Torschützenkönig und zweimal Meister
Steffen Hofmann wurde zwar am 9. September 1980 in Würzburg geboren, kommt aber aus der Gemeinde Kirchheim im Landkreis Würzburg. Beim FC Kirchheim begann er auch mit dem Fußball. 1996 wechselt er in das Jugendinternat von Bayern München. Von 1999 bis 2002 spielte er für Bayern München II in der Regionalliga Süd, hatte aber nur einen Bundesliga-Einsatz.
2002 wechselte Hofmann zu Rapid Wien, wo er mit einer halbjährigen Unterbrechung bei 1860 München im Jahr 2006 bis zu seinem Karriereende blieb. Mit 540 Pflichtspiel-Einsätzen ist er der Rekordspieler des Vereins. Mit Rapid holte sich Hofmann 2005 und 2008 zwei Mal die österreichische Meisterschaft. 2010 wurde er als Mittelfeldspieler mit 20 Treffern auch Torschützenkönig. Insgesamt schoss Hofmann in 16 Jahren bei Rapid 128 Pflichtspiel-Tore.
Von 2003 bis 2017 war er der Kapitän der Mannschaft. Im vergangenen Jahr ging die Spielführerbinde an Stefan Schwab, Hofmann wurde zum Ehrenspielführer ernannt.
Zu Österreichs Fußballer des Jahres wurde er bei verschiedenen Wahlen von Trainern, Spielern und Zeitungslesern insgesamt neunmal gewählt.
Eine Expertenkommission des europäischen Fußballverbandes Uefa nominierte ihn 2015 mit bereits 35 Jahren für die Elf der Vorrunde in der Europa League.
Hofmann ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt im Wiener Bezirk Mariahilf. hst