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FUSSBALL: 3. LIGA
Rasante Berg- und Talfahrt: Die Kickers-Saison im Zeitraffer
Der Rückblick auf ein turbulentes Jahr des Drittligisten mit extremen Ausschlägen
Fussball, 3. Liga, FC Würzburger Kickers - Sportfreunde Lotte       -  Der in dieser Phase der Saison herausragende Felix Müller traf beim Heimspiel gegen Lotte in der Schlussminute zum 2:1-Sieg und jubelte entsprechend euphorisch.
Foto: Frank Scheuring (foto2press) | Der in dieser Phase der Saison herausragende Felix Müller traf beim Heimspiel gegen Lotte in der Schlussminute zum 2:1-Sieg und jubelte entsprechend euphorisch.
Frank Kranewitter
 |  aktualisiert: 02.04.2019 09:49 Uhr

Es ist Feierabend in der dritten Liga. Ruhe ist eingekehrt bei den Würzburger Kickers nach der rasanten Berg- und Talfahrt durch die Spielklassen verharrt der Klub nun erst einmal in Liga drei. Zeit, durchzuatmen und zurückzublicken. Eine Saison im Zeitraffer:

Der Neuanfang

Zuerst war da die große Leere nach dem Abstieg und dann stand da plötzlich ein Flipchart, ein Tafelblock. Darauf hatte Stephan Schmidt ein paar Namen gekritzelt. Die Spieler, die er gerne hätte, geordnet nach Positionen. In Düsseldorf habe man sich oft getroffen, berichtet Kickers-Vorstandsvorsitzender Daniel Sauer über die bewegten Tage im Juni des vergangenen Jahres. Man habe oft bis tief in die Nacht beisammen gesessen. Schmidt erinnert sich an Tage, „an denen die Sonne aufging, als wir auseinander gingen“. Der heute 41-jährige Trainer hatte im Juniorenbereich große Erfolge gefeiert, wurde mit Wolfsburgs U 19 sogar deutscher Meister. Bei den Erwachsenen sah es anders aus. In Paderborn und Cottbus war er als Zweitliga-Trainer bereits entlassen worden, in Würzburg nahm er einen neuen Anlauf als Chefcoach. Bei seiner Vorstellung saß Schmidt neben seinem Vorgänger Bernd Hollerbach auf dem Podium. Nach dem Zweitliga-Abstieg der Rothosen fing er quasi mit nichts an. Hollerbachs Mannschaft hatte sich in alle Winde zerstreut. „Stephan Schmidt war hervorragend vorbereitet“, sagt Sauer heute: „Er kannte viele Spieler, wusste genau, was und wen er wollte.“ Drei Wochen vor Trainingsstart hatten erst fünf Spieler bei den Kickers unterschrieben. Als die Saison begann, war dann aber das ganze Flippchart abgearbeitet. Und die Konkurrenz hatte die Kickers längst zum Aufstiegsfavoriten erklärt. „Ein Reflex“, glaubte Schmidt, „die Absteiger sind immer Favoriten.“ Doch nach dem 3:0 im Testspiel gegen Erstligist Leverkusen wuchs allüberall die Zuversicht.

Der Fehlstart

„Wir können es. Das steht fest!“ Als Stephan Schmidt das sagte, klang das schon trotzig. Die Kickers hatten gerade mit 0:1 gegen Preußen Münster verloren. Es war ein Spiel auf ein Tor gewesen, die Kickers hatten viele Chancen, doch trafen nicht. Münster dagegen nutzte seine einzige Gelegenheit. „Ich halte nichts davon, in Konjunktiven zu denken“, sagt Schmidt heute auf die Frage, ob er manchmal daran denkt, wie es mit seiner Arbeit in Würzburg weitergegangen wäre, hätten die Rothosen damals ihre Chancen genutzt und gewonnen. Er werde bald wieder als Trainer tätig sein, erzählt Schmidt. Nur wo, das will er noch nicht verraten. Auf der Suche sei er aber nicht mehr. In Würzburg holte er in zwölf Spielen nur zwei Siege. Nach dem 0:2 gegen Unterhaching nahm Kapitan Sebastian Neumann die Niederlage auf seine Kappe. Er habe es nicht geschafft, „die Mannschaft einzustellen“. Da stellte sich zwangsläufig die Frage: Ist das nicht eigentlich die Aufgabe des Trainers?

Die Trennung

Am 2. Oktober, 133 Tage nach seiner Vorstellung, war Schmidt schon wieder Kickers-Geschichte. Am Ende der Saison wird mancher sagen: zu spät. Wäre angesichts der Bilanz von Nachfolger Michael Schiele bei einem früheren Trainerwechsel vielleicht sogar noch die Zweitliga-Rückkehr drin gewesen? Reine Spekulation. Die Pressemitteilung zur „Freistellung“ des Trainers war so formuliert, wie man eine solche Mitteilung eben formuliert. Von „einem konstruktiven Gespräch“ war da die Rede, das man mit Schmidt geführt habe, um ihm seinen Rausschmiss zu erklären. „Wer den Fußball liebt, der weiß, dass der Fußball nicht nur Freude, sondern auch Schmerzen bereitet“, sagt Schmidt heute. Was von seiner Zeit bleibt, sind die Spieler, die auf dem Flipchart standen. Alle 17 in Schmidts Amtszeit verpflichteten Kicker haben noch einen Vertrag für die kommende Saison. Mit Marvin Kleihs und Björn Jopek sind nur zwei beim neuen Trainer Michael Schiele nicht mehr eingeplant und können gehen. Schmidt: „Es freut mich, dass die Spieler gezeigt haben, dass sie auf ihren Positionen Qualität haben.“

Der Strahlemann

Es war Winter geworden. Die Kickers waren im Januar zum Trainingslager an Spaniens heiße Küste, die Costa Calida, geflogen. In La Manga bereitete Schiele sein Team auf die restliche Drittliga-Saison vor. Auf dem Foto vom Interviewtermin strahlte Schiele im Sonnenlicht in die Kamera. Als Co-Trainer war er im Sommer nach Würzburg gekommen, als frischer Absolvent des Fußballlehrer-Lehrgangs. Nicht einmal ein halbes Jahr später war er Chefcoach bei einem ambitionierten Drittliga-Klub. Dabei hatten seine Beförderung nicht viele verstanden. Nach der dritten Pflichtspiel-Niederlage unter seiner Leitung, einem 0:5 gegen Wehen Wiesbaden, machten die Kickers ihn vom Interims- zum Cheftrainer. Es folgte eine Siegesserie. Sieben Dreier in Folge holten die Kickers. Ein paar taktische Veränderungen, der Torwartwechsel, härteres Training – Schiele drehte an den richtigen Schrauben. Und schon blühten die Träume. Vielleicht ging noch etwas in Sachen Aufstieg.

Die Posse

Die Kickers machten sich gerade für ihr erstes Punktspiel 2018 auf Platz 11 am Bremer Weserstadion warm, da machte eine unglaubliche Nachricht die Runde: Bernd Hollerbach wird Trainer beim Hamburger SV. Und es stimmte wirklich. Am Tag darauf fuhr Hollerbach tatsächlich mit einem Porsche Cayenne mit Würzburger Kennzeichen und Kickers-Aufkleber auf dem Heck im Hamburger Volkspark vor. In den folgenden Wochen sollte Hollerbachs Verpflichtung beim HSV seinen Ex-Klub umtreiben. Denn die Kickers wollten plötzlich eine Ablöse, weil Hollerbach in Würzburg ja noch einen Vertrag besaß. Warum und wofür, diese missliebigen Fragen blieben und bleiben bis heute freilich unbeantwortet. Die Sache entwickelte sich zu einer Posse, bei der die Kickers ganz offensichtlich übers Ziel hinausschossen. Am Ende mussten sie klein beigeben. Und selbst mit der angedachten Spende für eine soziale Einrichtung in St. Pauli wurde es nichts, wegen Hollerbachs Misserfolg, der Entlassung und dem HSV-Abstieg. Die Kickers trafen nicht immer den richtigen Ton und auch auf dem Platz lief es nach der Winterpause nicht mehr wie von selbst. Die Siegesserie ging zu Ende. Der Zug nach oben fuhr ohne die Rothosen ab.

Der Abschied

Sebastian Neumann hat sich in Würzburg großen Respekt erarbeitet. Der Abwehrspieler verlässt den Klub in Richtung Duisburg in die zweite Bundesliga. Er hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Seine Aufrichtigkeit, dass er nach dem Abstieg nicht das Weite suchte, sondern blieb, dass er in schweren Zeiten Verantwortung übernahm, das rechnen ihm die Fans hoch an. Neumann wird in Erinnerung bleiben als Gesicht einer aufregenden Zeit, in der die Kickers die zweite Liga aufmischten, tief fielen, sich als Drittliga-Letzter wieder aufrafften. In den letzten 13 Spielen der Saison gab es nur noch eine Niederlage. Die letzten fünf Auswärtsspiele wurden alle gewonnen. Am heimischen Dallenberg sind die Kickers seit Oktober ungeschlagen. Platz fünf ist am Ende einer aufreibenden Saison ein ordentliches Ergebnis und eines, das Erwartungen weckt für die nächste Spielzeit. Neumann geht, es werden neue Gesichter kommen. Beim Saisonabschluss in Erfurt gab der 17-jährige Maximilian Breunig sein Debüt – der erste gebürtige Würzburger in der ersten Mannschaft der Rothosen, seit 2014 die Profi-Ära am Dallenberg begann.

 
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  • F. Z.
    Wunderbar resümiert und schön geschrieben. Auch wenn wir als Kickers- Fans ja alles schon wissen, macht es Spaß, dieses verrückte Jahr noch einmal vor Augen geführt zu bekommen. Noch einmal mit zu leiden und sich zu freuen.
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