Manche Spiele erzählt man am besten vom Ende her. So wie dieses irre Zweitligaspiel des Handball Sport Verein Hamburg gegen die DJK Rimpar Wölfe am Sonntagnachmittag.
In der Sporthalle der Hansestadt laufen die letzten 26 Sekunden. Auf der Anzeigentafel leuchtet ein 26:26. Zum vierten Mal in der Partie hat der Aufsteiger ausgeglichen, nachdem er in der ersten Halbzeit mit sechs Toren zurücklag. Rimpars Benjamin Herth tritt zum Siebenmeter gegen Aron Edvardsson an. Allzu viel ist dem isländischen Nationaltorwart bislang nicht gelungen, aber einen Siebenmeter hat er schon pariert: den allerersten, auch von Herth. Und er macht's noch einmal. Er hält auch den letzten. Fin Backs hechtet sich nach dem Abpraller, von Rechtsaußen kommt Max Bauer kurz darauf zum Wurf – und donnert den Ball an die Latte. Auszeit Hamburg. Noch zehn Sekunden. Der letzte Angriff.
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Hamburg führt nur einmal
Hamburgs Rechtshänder Leif Tissier bricht auf Halbrechts durch die DJK-Deckung – wie schon die beiden Male davor. Er macht's noch einmal. Und trifft wieder. Drei Sekunden vor Schluss. Ein einziges Mal im gesamten Spiel führen die Hanseaten. Jetzt, ganz am Ende. 27:26.
„Das ist die brutale Fratze des Sports“, sagt DJK-Coach Matthias Obinger wenig später nach dem ersten seiner 30 Abschiedsspiele. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Geschäftsführung seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. „So brutal, aber auch so ehrlich ist Sport eben. Ein Spiel ist nicht nach 59:34 Minuten um, sondern nach 60.“ Co-Trainer Josef Schömig ergänzt: „Sowas hab ich seit der Landesliga nicht mehr erlebt.“
Während Rimpar durch die „extrem bittere“ Niederlage auf Platz 16 in die Abstiegszone abgerutscht ist, hat sich Hamburg durch den Sieg Luft verschafft. „Die zwei Punkte waren unheimlich wichtig“, sagt HSVH-Coach Torsten Jansen erleichtert. Der Weltmeister von 2007 weiß: „Es hätte ganz locker andersrum ausgehen können.“
Ortswechsel. Ein sonniger Morgen im Hamburger Hafen, ein paar Stunden vor Anpfiff. Im Dock von Blohm+Voss thront die 850 Millionen Euro schwere „Eclipse“ von Roman Abramowitsch zur Wartung. 2010 hat der Besitzer des Premier-League-Klubs FC Chelsea seine Luxusyacht dort bauen lassen mit einer Länge von 163,5 Metern - 50 Zentimeter mehr als die eines Scheichs -, um die längste zu haben. Inzwischen ist schon wieder ein anderer Scheich Yachtweltmeister.
Wäre Abramowitsch nicht nur fußball-, sondern auch ein klitzekleines bisschen handballbegeistert, hätte der russische Milliardär den 2016 insolvent gegangenen Bundesligisten HSV aus der Portokasse retten können. Dann wäre der Champions-League-Sieger von 2013 nach seinem Neuanfang aber nicht erst im Sommer in die Zweite Liga aufgestiegen und würde nicht als Metropolklub Dorfvereine wie Rimpar empfangen. Wäre, hätte, Ankerkette.
Rimpar hat schnell Oberwasser
Knapp 2900 Zuschauer kamen am Nachmittag trotz des Spätsommerwetters in die Sporthalle im Stadtteil Winterhude. Dort wehte den Wölfen von den Heimfans auf den Rängen eine erfrischende Brise entgegen, vom Gegner auf dem Feld erst mal nur ein laues Lüftchen. So waren es die Gäste, die schnell Oberwasser bekamen. Hinten standen sie kompakt und hatten in Torwart Max Brustmann einen sicheren Rückhalt; vorne agierten sie konzentriert und mit Übersicht gegen die HSVH-Abwehr, bei der es an der Abstimmung haperte. Nach 17 Minuten und einem 4:0-Lauf führten die Wölfe, bei denen Kreisläufer Patrick Gempp ein starkes Spiel machte, mit 10:4.
Danach kippte die Stimmung ins Raue. Die Hamburger, ohne ihren an der Schulter verletzten Rückraum-Altstar Blazenko Lackovic (37) im Kader, haderten mit Schiedsrichterentscheidungen, die Rimparer gerieten mit neuem Personal auf fast allen Positionen aus dem Rhythmus. Zur Pause lagen sie im Duell der Tabellennachbarn aber noch mit vier Treffern vorn (14:10). „Die erste Halbzeit haben wir dominiert“, resümierte Obinger zurecht.
Doch nach der Pause hatten seine Schützlinge plötzlich eine Torflaute, während die Hanseaten frischen Wind bekamen. Ihnen gelang erstmals in der Partie der Ausgleich. 14:14 (35.). Die Obinger-Sieben fand zurück in ihr Fahrwasser und führte bald wieder mit bis zu vier Toren (23:19, 49.), trotz eines Pfosten-Strafwurfs von Kapitän Patrick Schmidt. Doch dann kamen die Rimparer erneut vom Kurs ab, vergaben fahrlässig Chancen, trafen falsche Entscheidungen. Und die Hamburger? Glichen zum zweiten Mal aus. 24:24 (55.). „Da haben wir uns in einen Rausch gespielt“, sagte Lukas Ossenkopp, mit zehn Toren bester Werfer. Dem ein rauschender Jubel nach dem Abpfiff folgte.
Pokalderby am Mittwoch
Bereits am Mittwoch (20 Uhr, s.Oliver Arena) kommt es in Würzburg zum Frankenderby im Pokalwettbewerb. Als einziger Zweitliga-Vertreter empfangen die Wölfe im Achtelfinale den HC Erlangen mit ihrem Ex-Kreisläufer Jan Schäffer. Nach der Niederlage im Norden gehen sie ohne Rückenwind ins Duell der Schiffskategorie Mainbummler gegen Elbdampfer.
Die Statistik des Spiels
Hamburg: Edvardsson (1.-44., 49.-60.), Kokoska (45.- 48.) – Schröder, Lackovic, Tissier 3, Weller 1, Ossenkopp 10/7, Axmann 2, Fuchs, Bauer 5, Forstbauer 1, Rix 1, Wullenweber 4, Bergemann, Kleineidam, Vogt.
Rimpar: Brustmann (1.- 54.), Wieser (55.- bei einem Siebenmeter) – Böhm, Gempp 6, Schmidt 3, Kaufmann 5, Siegler 4, Bauer 1, Schulz 1, Backs 2, Brielmeier 1, Herth 2, Sauer 1.
Spielfilm: 0:2 (4.), 1:4 (7.), 3:4 (9.), 4:6 (10.), 4:10 (17.), 8:11 (15.), 10:14 (HZ), 14:14 (35.), 14:16 (37.), 16:19 (42.), 18:1 (49.), 19:23 (49.), 21:24 (52.), 24:24 (55.), 25:26 (57.), 27:26 (Endstand).
Siebenmeter: 7/8 : 1/4.
Zeitstrafen: 4:5.
Schiedsrichter: Oliver Dauben/David Rohmer (Köln).
Zuschauer: 2899.