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Ringen
Manfred Werners Leben für das Ringen
Der frühere Kampfrichter aus Würzburg verabschiedet sich nach 16 Jahren an der Spitze des Deutschen Ringer-Bundes. Der Versuch einer Annäherung zu seinem 75. Geburtstag.
Manfred Werner und die goldene Pfeife, in seinem Büro in Veitshöchheim.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Manfred Werner und die goldene Pfeife, in seinem Büro in Veitshöchheim.
Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:35 Uhr

Er hat sich vorbereitet. Hat ein paar Computerausdrucke vor sich liegen, mit nicht wenigen handschriftlichen Ergänzungen. Er weiß, was er an den Mann bringen will, und wenn man an diesem sonnigen, zwischendurch auch ziemlich windigen Sonntagmittag auf dem Balkon von Manfred Werner sitzt, sollte man ein wenig Zeit mitgebracht haben. Weil der gelernte Buchdrucker, der später 29 Jahre im Sportamt der Stadt Würzburg arbeitete, auch gerne spricht und schön plaudern kann. Und es gibt ja tatsächlich auch viel zu erzählen. Nach nun, am Donnerstag, 75 Lebensjahren. Und gut sechs Jahrzehnten für das Ringen.

Manfred Werner und Ringen. Das hat was von Schleswig und Holstein. Oder Baden und Württemberg. Oder – früher jedenfalls – AC Bavaria Goldbach und deutsche Ringer-Mannschaftsmeisterschaft. Die Worte sind aneinandergekettet wie Beckenbauer und Fußball. In Werners nicht sehr üppig dekorierten Büro im Würzburger Vorort Veitshöchheim hängt rechts neben dem Computerbildschirm ein Bild von ihm mit der Überschrift "Atlanta 1996" und nicht weit davon entfernt ein erstaunlich kleines Foto von ihm mit Beckenbauer in offenbar privater Runde. In diesem Gespräch wird es auch noch um den "Kaiser" gehen, den Werner immer nur "Franz" nennt. Und es wird um den jetzigen IOC-Präsidenten Thomas Bach gehen, bei Werner stets "Dr. Bach".

Die Olympischen Spiele in Tokio werden seine fünften sein

Atlanta waren Manfred Werners erste Olympischen Spiele, da hat er gepfiffen. Die Spiele in Tokio im Sommer werden seine fünften und letzten sein, die vierten als Präsident des Deutschen Ringer-Bundes (DRB). Der Geimpfte wird sich den Besuch aber vor allem aufgrund der Pandemie und der avisierten beinahe haftähnlichen, jedenfalls wenig olympischen Aufenthaltsbedingungen nicht mehr antun und nicht nach Japan reisen.

Olympia und die Antik- und olympische Kernsportart Ringen. Ein Thema, über das man mit Manfred Werner lange ratschen kann, und wenn man ihm dann ein wenig genauer zuhört, kann man auch eine Ahnung davon bekommen, wie kompliziert internationale Sportpolitik wohl auch sein kann. 2013 stand Ringen kurz davor, von der olympischen Familie verstoßen zu werden. Laut Werner vor allem, weil es personelle Probleme zwischen dem IOC und dem Ringer-Weltverbandsvorsitzenden gab. 

Die ganze Geschichte ist reichlich kompliziert, und sie detailliert erzählen zu wollen, würde diesen Rahmen sprengen. Deshalb die Kurzform in Werners Worten: "Der alte Ringer-Fan Franz hat dann mit seinen Beziehungen ein bisschen mitgeholfen, das zu regeln, und ich habe mich mehrmals mit Dr. Bach treffen dürfen. Wir konnten es noch zum Guten wenden." Ringen blieb auch dank Werners "kraftraubendem Kampf", wie er es nennt, olympisch.

Das Foto mit Franz Beckenbauer hat Manfred Werner natürlich auch digital.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Das Foto mit Franz Beckenbauer hat Manfred Werner natürlich auch digital.

Der gebürtige Würzburger Manfred Werner hat als Achtjähriger das Kicken angefangen beim ETSV. Die Eisenbahner hatten damals noch eine Schwerathletikabteilung, Gewichtheben und Ringen, der langjährige Abteilungsleiter war Adolf Werner, Manfreds Vater. "Im Laufe der Zeit hat mich das Ringen einfach mehr interessiert", sagt der Sohn: "Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer – es ist so ein vielseitiger Sport." Später gründete Werner im Würzburger Stadtteil Unterdürrbach – der Verein war bekannt für Turnen und Leichtathletik – eine Ringerabteilung. Aufgerufen hatte er mit einem am Feuerwehrhaus angeschlagenen Zettel: Wer Interesse hatte, sollte am 9. November 1968 um 14 Uhr, das weiß er noch genau, an die neue Halle kommen. "50 Leute waren da", sagt er, nicht ohne Stolz in der Stimme. 25 Jahre lang war Manfred Werner Trainer und Abteilungsleiter, zwischenzeitlich auch stellvertretender Vereinsvorsitzender, der Klub schaffte es bis in die zweite Bundesliga.

"Natürlich machen Kampfrichter auch Fehler. Bei manchen war ich beliebt, bei anderen weniger."
Manfred Werner, DRB-Präsident und ehemaliger Kampfrichter

Dann besann sich Manfred Werner auch auf seine Karriere. Erst einmal als Kampfleiter. Wollte man damals, Anfang bis Mitte der Neunziger, jemandem folgende Wette anbieten: Werner ist Mattenleiter oder Mattenpräsident bei einem Kampf von Goldbach, und es knallt nicht zwischen dem Kampfrichter und Goldbachs Trainer Gerhard Weisenberger – man hätte allenfalls völlig Ahnungslose oder Betrunkene gefunden, die dagegen gewettet hätten. Sei's drum: Zwei Alpha-Männchen haben sich halt damals gerne mal die Hörner gerieben. Einer saß dabei stets am längeren Hebel: "Ich hab' ihm, glaub' ich, zweimal die rote Karte gegeben", sagt Werner heute – und lacht. Er sagt auch, dass sie sich inzwischen gut verstehen und sich auch immer wieder austauschen. Gerhard Weisenberger war während der Recherchen nicht ans Telefon zu bekommen. Im Rückblick meint Werner: "Natürlich machen Kampfrichter auch Fehler. Bei manchen war ich beliebt, bei anderen weniger." Und damals gab es ja auch noch keinen Videobeweis wie heute.

Spricht man Jannis Zamanduridis auf die alten Zeiten an, lacht er erst einmal herzlich. Der inzwischen 55-Jährige, mit WM-Silber- und -Bronze-dekorierter Athlet damals, ist heute Sportdirektor beim DRB und sagt über die Vergangenheit: ""Natürlich gab es da immer Konfliktpotenzial. Dort, wo Emotionen von Personen aufeinandertreffen, kann es schon mal hitzig zugehen. Aber auch davon lebt unser Sport." Kennt man den gebürtigen Chemnitzer ein bisschen besser, darf man annehmen, dass er in dem Moment am Telefon bestimmt auch ein wenig in sich hineingrinst. Um dann ganz ernsthaft anzufügen: "Ringen lebt von Entscheidungen. Ob die immer richtig sind oder jedem gefallen, liegt im Auge des Betrachters und ist sehr subjektiv. Wer kann schon von sich sagen, immer alles richtig gemacht zu haben. Manfred ist jedenfalls jemand, der das Ringen lebt, schon immer gelebt hat." Da kann man auch schnell mal anecken. Man wird es nicht jedem Recht machen können, egal in welcher Funktion.

Das Problem der nachhaltigen Nachwuchsarbeit

"Mein absolut goldenster Griff", sagt der DRB-Präsident über den einstigen Griechisch-Römisch-Ringer Zamanduridis, der zu seiner sportlichen Hochzeit Modell hätte stehen können für Künstler, die im Stile Michelangelos David griechische oder römische Statuen aus Stein meißeln wollten. Ausführlich kann man mit Zamanduridis plaudern über vernachlässigte Nachwuchsarbeit in vielen Bundesligavereinen und die Folgen nicht nur für die Premiumklasse, sondern natürlich dadurch auch für die Nationalkader.

Nachhaltige Nachwuchsarbeit ist ein Punkt, den auch Manfred Werner gerne bespricht. Im November wird er nach 16 Jahren an der Spitze des deutschen und nach 20 Jahren als Chef des bayerischen Ringer-Verbands nicht mehr zur Kandidatur antreten. "Das Haus ist bestellt", sagt der seit über 50 Jahren verheiratete Vater zweier Söhne, die auch in Unterdürrbach erfolgreich gerungen haben.

Die Spiele in Atlanta waren seine ersten.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Die Spiele in Atlanta waren seine ersten.

Es ist schon interessant und sagt auch viel aus über Manfred Werner und seinen Ruf in der Branche: Telefoniert man aus gegebenem Anlass die alten Kontakte zu Sportlern, Funktionären, Trainern ab, bekommt man zwar stets mal mehr, mal weniger nette Anekdoten erzählt – die nicht ganz so schmeichelhaften freilich nur unter der Prämisse, doch bitte nicht wörtlich und mit Namen zitiert zu werden. Das hat inzwischen selbstverständlich nichts mehr mit Angst vor seinen Entscheidungen auf der Matte oder seinem Einfluss im Verband zu tun. Vermutlich mehr mit dem Respekt vor Werners Lebensleistung für diesen Sport.

2003 wurde Manfred Werner im Madison Square Garden in New York bei der Weltmeisterschaft die Goldene Pfeife verliehen, die höchste Auszeichnung im Kampfrichterwesen der Ringer. Werner stand auch bei zehn Welt- und bei 16 Europameisterschaften auf der Matte. Die Pfeife liegt in einer Vitrine in seinem Büro. Unweit des Fotos mit Franz.

 
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