Es ist ein grauer Wintertag zwischen den Jahren. Die Würzburgerin Lisa Schlagbauer steht im Trainingsraum – auch "die Kathedrale" genannt - des Vereins Powerlifting Würzburg e.V. und bereitet sich auf ihre Einheit vor. Die 25-Jährige betreibt Equipped Powerlifting, also Equipped Kraftdreikampf, bestehend aus den Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben. Wer am Ende eines Wettkampfs in Summe der drei Teile am meisten Gewicht gestemmt respektive gehoben hat, gewinnt.
Lisa Schlagbauer tritt im Equipped Powerlifting an, bei dem die Sportlerinnen und Sportler im Gegensatz zur "Raw"-Variante unterstützendes Zubehör wie Anzüge oder Hemden tragen, um mehr Gewicht bewegen zu können. Angenehm ist das nicht unbedingt. "Im Gesicht platzen einem die Adern durch den ganzen Druck", berichtet die 25-Jährige über die Nachteile des unterstützenden Materials. Sie selbst habe an den Armen Blutergüsse vom Tragen der engen Hemden.
Zu der eher unbekannten Sportart gekommen ist Lisa Schlagbauer, nachdem sie sich im Fitnessstudio ein bisschen was von den Sportlerinnen und Sportlern, die schwerer trainiert haben, zeigen hat lassen. Schnell war für sie jedoch klar: "Mir fehlt die Gemeinschaft und das zusammen trainieren."
Leben in Köln, Wettkampfteilnahmen für Würzburg
Früher hatte die Würzburgerin bereits Turnen und lange Zeit auch Cheerleading betrieben. Schon damals war ihr "wichtig, dass ich leistungsorientiert trainiere". Eine Freundin nahm sie dann mit zum Crossfit, auch Weightlifting - also klassisches Gewichtheben - probierte die Studentin aus.
"Ich habe gemerkt, dass ich sehr viel aus der Kraft heraus mache. Das liegt mir im Vergleich zu Technik und Ausdauer", erklärt Lisa Schlagbauer. Über einen von Daniel Härter, Vorstand von Powerlifting Würzburg, ausgehängten Trainingsplan zum Einsteigen schnupperte die Würzburgerin rein, lernte die Leute aus ihrem jetzigen Verein kennen, fühlte sich "sofort wohl" und ist seither "hängengeblieben".
Mittlerweile lebt die 25-Jährige wegen ihres Masterstudiums in Köln, betont aber: "Für mich war immer klar, ich starte für Würzburg. Auf gar keinen Fall starte ich für einen anderen Verein." Für ihr Training ist Lisa Schlagbauer in Köln zwar in einem anderen Verein angemeldet, für die Wettkämpfe, beispielsweise in der Bundesliga, nimmt sie aber wegen ihres Startrechts die Strecke nach Hause in Kauf. Darüber hinaus versuche sie, ihrem Heimatverein so viel wie möglich zu helfen. Im Media-Team kümmert sie sich mit um Instagram-Postings und schreibt Artikel.
Nervige Frage und Vorurteile über Frauen im Kraftsport
Als Frau Kraftsport zu betreiben, birgt auch Schattenseiten. Und konfrontiert mit Vorurteilen. Vor allem die Frage, warum sie diese Sportart betreibe, nervt Lisa Schlagbauer gewaltig. "Die kriege ich relativ oft gestellt, das macht mich ein bisschen sauer." Außerdem bekomme sie Aussagen zu hören wie: "Du siehst ja noch zierlich, noch weiblich aus." Oder: "Dir sieht man es gar nicht an." Mittlerweile sei sie selbstbewusst genug, "dass mir solche Kommentare egal sind".
Das war nicht immer so. Früher, bei ihren Anfängen im Fitnessstudio, sei ihr Äußeres für sie im Fokus gestanden. "Da hatte ich auch mit meinem Essverhalten Probleme. Ich habe viel zu wenig gegessen." Geändert hat sich das, als sie mit dem Powerlifting startete. "Ich habe gemerkt: Wenn du mehr isst, hast du mehr Energie und bist leistungsfähiger."
"Meine Sicht auf mich hat sich verschoben", erklärt Lisa Schlagbauer. "Ich sehe meinen Körper jetzt mehr dafür, was er schafft und nicht, wie er aussieht." Sie hat ihr Ziel klar im Blick: "Ich will stärker werden, und wenn stärker werden heißt, ich sehe breiter aus, dann sehe ich halt breiter aus."
Lisa Schlagbauer zeigt aber auch Verständnis für die Frauen, die verunsichert sind von abwertenden Aussagen über ihre Körper oder von Vorurteilen, weil sie Kraftsport betreiben. "Das ist, was uns eingetrichtert wird. So wachsen wir halt auf. Ich würde jede Frau dazu ermutigen, da drüber zu stehen und zu sagen, du machst den Sport, der dir Spaß macht und du isst so viel, wie du willst."
Powerlifting ist ein Gewichtsklassensport. In ihrer Gewichtsklasse ist Lisa Schlagbauer äußerst erfolgreich. 2020 hat es die Athletin in den Nationalkader geschafft, bevor aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr lang keine Wettkämpfe stattfinden konnten.
Bronze bei ihrer ersten EM
Ihr erster internationaler Wettkampf war im vergangenen Sommer die Europameisterschaft, bei der die Würzburgerin überraschend Fünfte in der Gesamtwertung der drei Disziplinen wurde - im Heben gewann sie sogar Bronze. "Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet", berichtet sie stolz.
Dass sie überhaupt mit zur EM durfte, war nicht abzusehen gewesen. Denn im Normalfall treten die Athletinnen und Athleten, nachdem sie neu in den Kader aufgenommen worden sind, erst einmal in der Western European Championship an, einer kleinen Version der EM.
Im Anschluss - nur sechs Wochen nach der EM - folgte für die Wahlkölnerin die deutsche Meisterschaft mit dem Ziel, deutschen Rekord zu ziehen. "Das habe ich auch gemacht", berichtet Lisa Schlagbauer. 200 Kilogramm im Heben - "das war ziemlich geil." Zudem hat sie mit ihrer Leistung die A-Norm erfüllt, mit der sie auch an Weltmeisterschaften teilnehmen darf.
Die WM folgte direkt im November 2021. "Da lief es nicht so gut wie bei der deutschen Meisterschaft - zumindest von den Zahlen her", berichtet Schlagbauer. "Aber es ist schon was anderes, bei einer WM zu starten", zeigt sie sich dennoch begeistert über die Erfahrung.
Traum von der Teilnahme an den World Games
In der Zukunft würde die 25-Jährige gerne noch an den World Games, dem Pendant der Sportart zu Olympia, teilnehmen, wovon die nächsten 2025 stattfinden. Anfang 2022 wurde sie bereits als Reserveathletin für die World Games nominiert, die Teilnahme bleibt aber trotzdem unsicher. Dennoch möchte die Sportlerin, die Probleme mit der Hüfte hat, bis 2025 verletzungsfrei bleiben und ihre eigene Leistung Jahr für Jahr übertrumpfen.
Nach zweieinhalb Stunden hat Schlagbauer ihren Trainingsplan für diesen Tag erfüllt. Für sie ist es selbstverständlich, ins Training zu gehen - auch, wenn es mal Überwindung kostet: "Ist halt Leidenschaft. Da steckt auch ein bisschen leiden drin."