Den erhofften sportlichen Erfolg konnte Zahoor Jan, Kapitän der Cricket-Mannschaft des TSV Lengfeld, 2020 nicht bejubeln. Nach dem Abstieg 2019 scheiterte die Mission Bundesliga-Rückkehr im Corona-Jahr. Ein großer Spielerschwund macht dem Team zu schaffen. Und natürlich die Pandemie selbst.
Trainings- und Spielbetrieb waren nahezu das ganze vergangene Jahr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Beim letzten sportlichen Auftritt vergangenen Oktober in Schweinfurt konnte zumindest noch ein prestigeträchtiges Turnier mit Teams aus ganz Deutschland gespielt werden. An der Titelverteidigung schrammte Jans Mannschaft dabei knapp vorbei. Ein Team aus Köln durfte diesmal den Wanderpokal in Empfang nehmen.
Als Asylsuchender nach Würzburg
Zahoor Jans große Stunde sollte gut zwei Monate später folgen. Dabei spielten die Cricket-Ausrüstung und irgendein Spielfeld irgendwo in Deutschland ausnahmsweise aber mal keine Rolle. Der Ort seines größten Erfolges war das Flughafenterminal in Frankfurt am Main. Dort wartete der 30-Jährige einen Tag vor Weihnachten stundenlang voller Vorfreude und mit ganz viel Aufregung.
Das Warten war der Afghane bereits gewohnt. 2015 kam Zahoor als Asylsuchender in Deutschland an, wenig später versuchte er, auch seine Familie nach Deutschland zu holen - seine Frau und drei kleine Kinder. Lange Zeit ohne jeden Erfolg. Er selbst fasste gut 5000 Kilometer entfernt von seiner Heimat Afghanistan, das sich gebeutelt von Krieg und Terrorismus im Dauerkrisenmodus befindet, schnell Fuß. Er befindet sich in Vollzeitarbeit und kann in Würzburg auch seiner großen Leidenschaft Cricket nachgehen.
Sorgen um die Familie in Pakistan
2016 wurde unter dem Dach des TSV Lengfeld ein Cricket-Team gegründet – es ist eines von dreien in ganz Unterfranken. Arbeit und Cricket – fehlte nur noch die Familie, die seit Jahren eng behaust in der pakistanischen Stadt Peschwar auf den erhofften Nachzug nach Deutschland wartete. Sicher ist es auch in der knapp zwei Millionen Einwohner zählenden Metropole nicht. Erst Ende September starben dort Dutzende Kinder bei einem Bombenanschlag auf eine Koranschule. Jans Sorgen waren groß. Erst recht, als in der Nähe der Wohnung seiner Familie eine Frau mit einem Kind auf dem Arm erschossen wurde.
Zahoor Jan, der auf dem Cricket-Feld immer eine Lösung kennt, war ratlos. Seine Versuche, seine Frau und die Kinder nach Deutschland zu holen, scheiterten – vier Jahre lang. Bis Wolfgang Merz, offiziell Cricket-Abteilungsleiter des TSV Lengfeld, in Wahrheit aber weit mehr als das, die Angelegenheit zur Chefsache erklärte.
Merz' unermüdlicher Einsatz für seine Spieler ist schwer in Gänze zu beschreiben. Den Trainings- und Spielbetrieb zu organisieren, dürfte zu seinen leichtesten Aufgaben zählen. Die Probleme seiner Spieler, großteils Geflüchtete aus Afghanistan, spielen sich meist im "normalen" Leben ab. Merz ist der Mann für alle Fälle. Ob Umzüge, Behördenkram, Arbeitssuche, Integrationshilfe – der Lengfelder ist immer mit Rat und Tat zur Stelle. "Ich bin einfach ein sozialer Mensch", antwortet er auf die Frage, warum er seinen Spielern helfe. Gemeinsam mit seiner Frau reiste er die letzten Jahrzehnte viel als Camper durch ganz Europa. Dort sahen und erlebten die beiden viel, vor allem aber lernten sie Menschen aus allen möglichen Ländern kennen und schätzen.
Seine Cricket-Jungs machen es ihm nicht immer leicht. Das versucht Merz im Gespräch auch gar nicht zu verheimlichen. Viele der Spieler sind psychisch schwer traumatisiert durch das Erlebte. Immer wieder kommt es vor, dass Spieler der Mannschaft über Nacht quasi verschwinden und es in anderen europäischen Ländern versuchen. Wenn aus Angst vor drohenden Abschiebungen plötzlich wieder ein ganzer Schwung einer vermeintlich erfolgversprechenden Route über Frankreich nach England etwa folgt, bleibt Merz nur Kopfschütteln.
Richtige Erfolgserlebnisse gibt es in diesem Dilemma zwischen Bürgerkrieg, Flucht, Asyl und Integration nur selten. Umso glücklicher schaute Merz drein, als er kurz nach Weihnachten von seinem kleinen Meisterstück berichten konnte: Ihm war es gelungen, die Familie seines Captains nach Würzburg zu holen. Die für das Visum erforderliche vorübergehende Unterkunft für die Familie stellte Merz in seinem Dachboden seines Reihenhauses in Lengfeld.
Überwältigende Spendenbereitschaft
Einen Tag vor Weihnachten konnte Zahoor Jan seine Frau und die drei Kinder, fünf, sechs und sieben Jahre alt, am Flughafen endlich nach fast fünf Jahren des Wartens in seine Arme schließen. "Das war eine ideale Weihnachtsgeschichte", erzählt Merz sichtlich stolz: "Ich glaubte das alles erst, als ich erfahren habe, dass die Familie im Flieger sitzt."
Er betont aber auch gleich, dass die Arbeit damit gerade erst anfängt. Die Familie müsse sich nun in der neuen Umgebung bestmöglich integrieren. Über den "Fairteiler Würzburg" startete Merz einen Spendenaufruf für die Familie. Die Resonanz war überwältigend, freut er sich. "Die Leute haben mich überschüttet mit Kleidung." Mit nur einem Koffer waren die vier angekommen. Derzeit sucht die junge Familie eine Vierzimmerwohnung in Würzburg. Und wenn es Corona wieder zulässt, wollen die vier Neuankömmlinge auch endlich ihrem Vater beim Cricket zujubeln.