Rainer Zietsch spielte für den VfB Stuttgart, Bayer Uerdingen und den 1. FC Nürnberg fast 300 Mal in der Bundesliga. Der 54-Jährige leitete von 2006 bis 2016 die Nachwuchsabteilung des 1. FC Nürnberg ehe er in dieser Funktion von Michael Köllner abgelöst wurde. Der Vater zweier Söhne, der neben seiner Tätigkeit bei den Würzburger Kickers auch Co-Trainer der U-16-Nationalmannschaft ist, kam 2017 zunächst als Sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und U-23-Trainer nach Würzburg. Nach der Auflösung des Bayernliga-Teams übernahm er den Posten als Assistent von Cheftrainer Michael Schiele beim Drittliga-Team.
Frage: Sie besitzen die Erfahrung aus zehn Jahren in leitender Funktion im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg. Seit dieser Saison arbeiten sie als Co-Trainer bei den Kickers. Was reizt Sie an der Aufgabe?
Rainer Zietsch: Während ich den Fußballlehrer gemacht habe, habe ich mit dem SC Feucht bereits ein Männerteam trainiert. Und auch wenn unsere U-23-Mannschaft ein sehr junges Team war, war es eine Männermannschaft. Ich bin also schon ein paar Jahre in diesem Bereich unterwegs, deshalb war das jetzt für mich der nächste logische Schritt. Grundsätzlich ist es schon mein Ziel, den Fußballlehrer bestmöglich zu nutzen, und ich bin jetzt relativ schnell als Trainer im Lizenzbereich gelandet, mache aber auch meine Aufgabe als Trainer beim DFB weiter. Den Jahrgang 2003 werde ich weiter mitbetreuen, da wir uns mit der U 17 für die EM im Mai 2020 in Estland qualifizieren wollen. Nachdem ich bei diesem Jahrgang nun schon zwei Jahre dabei bin, ist es für mich wichtig, dies idealerweise erfolgreich abzuschließen.
Was ist Ihre Aufgabe innerhalb des Trainerteams?
Zietsch: Für mich geht es darum, meine Erfahrungen optimal einzubringen und Michael (Anmerk. d. Red.: Cheftrainer Schiele) in der täglichen Trainingsarbeit bestmöglich zu unterstützen. Dabei geht es mir vor allem darum, Spieler und Mannschaften zu entwickeln und gewinnen zu wollen. Das ist das, was mich als Trainer antreibt. Am Ende kommt es auch darauf an, dass man die Spieler erkennt, die wirklich Potential haben, und ihnen hilft, den nächsten Schritt zu gehen. Häufig sind es Kleinigkeiten, auf die es dabei ankommt. Das haben wir damals in Nürnberg ganz gut hinbekommen, viele Spieler von damals sind heute im Lizenzbereich aktiv.
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Haben sich die Spieler verändert, seit sie in die Nachwuchsarbeit eingestiegen sind?
Zietsch: Ja, das haben sie, aber vor allem das Umfeld der Spieler hat sich extrem verändert. Durch die Sozialen Medien geht es heute viel mehr um Außendarstellung, und die Spieler schauen ständig, wie sie gerade in der Gruppe dastehen. Dadurch schaffen es aber viele junge Spieler nicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das ist mittlerweile sogar Teil des Ausleseprozesses. Auch werden die Spieler in jungen Jahren von so vielen unterschiedlichen Personen beeinflusst, und es werden ihnen viele Entscheidungen abgenommen. Dadurch haben sie große Probleme, selbstständige Entscheidungen zu treffen, und es fehlt ihnen die richtige Selbsteinschätzung. Die Spieler, die heute aus der Jugend herauskommen, glauben, sie seien weiter in ihrer Entwicklung. Dabei müssen sie erst einmal kapieren, dass Jugendfußball und Erwachsenenfußball zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Nach außen haben die Jungen heute ein größeres Selbstbewusstsein, aber wenn Widerstände kommen, brechen sie schneller zusammen und schaffen es nicht, diese zu überwinden.
Schauen Sie auch in den Sozialen Medien nach, was Ihre Schützlinge dort so treiben?
Zietsch: Das habe ich noch nie gemacht. Ich bekomme durch meine Kinder ein bisschen was mit, bin aber selbst nicht auf Instagram. Ich habe zwar einen Facebook-Account und lese da ab und zu mal etwas, aber auf Insta, Snapchat und was es da gibt, bin ich nicht unterwegs. Grundsätzlich interessiere ich mich aber dafür, denn das ist ein Teil der Welt der Jungs. Man darf das nicht verdammen, aber ich muss nicht selbst aktiv sein.
Wie schaut auf dem Trainingsplatz die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Michael Schiele aus?
Zietsch: Wir tauschen uns im Vorfeld aus, da wir beide Ideen haben, wie man bestimmte Inhalte umsetzen kann, die Entscheidung trifft dann Michael. Jeder Trainer hat im Trainingsalltag eine gewisse Herangehensweise. Wenn man dann aufeinandertrifft, muss man auf einen gemeinsamen Nenner kommen, der ist bei uns definitiv gegeben. Bei taktischen Übungen ist es für mich normal, wenn nur ein Trainer coacht, das macht in der Regel Michael. Bei allen anderen Übungen teilen wir uns oft auf. Das funktioniert sehr gut.
Muss man in einer solchen Konstellation eine ähnliche Idee vom Fußball haben, damit eine solche Zusammenarbeit funktioniert?
Zietsch: Wenn wir eine völlig andere Herangehensweise hätten, dann würde es auf Dauer schwierig werden. Wir sind uns da schon sehr ähnlich. Mit einem Trainer zusammenzuarbeiten, der eine ganz andere Vorstellung hat, würde nicht funktionieren, denn du bist ja davon überzeugt, welche Methode zum Erfolg führt. Alles ganz anders zu machen, das geht nicht – zumindest in meinem Alter nicht. Als junge Trainer sagt man vielleicht: Egal, Hauptsache, ich bin dabei.
Haben Sie das Ziel, wieder als Chefcoach zu arbeiten?
Zietsch: Ich wollte den Fußballlehrer unbedingt machen, das hat mich schon immer gereizt. So, wie es als Fußballspieler mein Ziel war, in der höchstmöglichen Liga zu spielen, so ist es grundsätzlich auch als Trainer. Ob als Cheftrainer oder als Co-Trainer, wird sich im Laufe der Zeit zeigen, ich mache mir keinen Plan mehr. Natürlich traue ich mir den Cheftrainerposten zu. Aber ich sage heute nicht: Ich will in fünf Jahren dies oder jenes machen. Dazu lebe ich zu sehr im Jetzt und identifiziere mich immer zu 100 Prozent mit meiner aktuellen Aufgabe. Wenn ich dabei gute und erfolgreiche Arbeit abliefere, wird man sehen, was daraus wird. Mein Ziel ist es, als Trainer höchstmöglich zu agieren, wo und in welcher Rolle auch immer. Da ist für mich die Dritte Liga ein weiterer spannender Schritt.
Haben Sie gezögert, als Ihnen nach der überraschenden Abmeldung der U-23-Mannschaft die Rolle als Co-Trainer beim Drittliga-Team angeboten wurde?
Zietsch: Da musste ich schon ein, zwei Tage darüber nachdenken. Weniger in Bezug auf die Stelle, sondern mit Blick auf die Gesamtsituation, weil die ganze Entwicklung auch für mich so nicht vorhersehbar war. Da hat dann auf jeden Fall geholfen, dass ich bereits in der vergangenen Saison sehr gut mit Michael Schiele zusammengearbeitet habe. Und die Zusammensetzung der Dritten Liga mit vielen traditionellen Vereinen sowie die Möglichkeit, die ganzen Abläufe im Profibereich, die sich seit meiner Zeit als Spieler verändert haben, zu erleben, haben mich ebenfalls sehr gereizt. Deshalb war dann doch recht schnell klar, dass ich dieses Angebot annehmen will.
Wo stehen die Kickers in Ihrer Entwicklung. Wie attraktiv ist der Verein?
Zietsch: Durch die Ernennung zum offiziellen Nachwuchsleistungszentrum hat der Klub einen großen Schritt nach vorne gemacht. Nun muss der Verein in den nächsten Jahren entscheiden, wo der Weg hingehen soll. Wenn es weitergehen soll, muss die Standortsuche für ein neues Stadion weiter mit aller Konsequenz verfolgt werden. Dafür müssen intern weiterhin alle an einem Strang ziehen – und auch die Stadt ist hier gefragt.
Was ist in dieser Saison für die Kickers drin?
Zietsch: Das traue ich mich nach drei Wochen Vorbereitung noch nicht endgültig zu sagen. Ich freue mich aber jetzt schon auf die ersten Spiele. Wir haben eine spannende Mannschaft mit vielen interessanten jungen Spielern, aber auch einigen erfahrenen Akteuren als Stützpfeiler. Es gibt sicher noch etwas Optimierungsbedarf, aber es ist ja auch noch Zeit bis Ende August (Anmerk. d. Red.: dem Ende der Transferperiode). Man wird sehen, wie unsere Mannschaft untereinander funktioniert und wie das bei den Gegnern klappt, die ja zum Teil auf dem Transfermarkt ziemlich rangeklotzt haben. Es wird darauf ankommen, gut in die Saison zu starten, damit die Jungs, die zum ersten Mal in der Dritten Liga spielen, merken, dass sie mithalten können.
Die Würzburger haben nach Auftaktgegner FC Bayern München II den zweitjüngsten Kader der Liga. Ist die jugendliche Unbekümmertheit ein Vorteil, oder könnte die mangelnde Erfahrung zum Nachteil werden?
Zietsch: Wir haben genug gestandene Spieler. Es könnte nur problematisch werden, wenn diese länger ausfallen. Aber auch dann wird man sich etwas einfallen lassen. Ich sehe es als Vorteil, dass wir viele Spieler haben, für die es etwas Besonderes ist, in der Dritten Liga den nächsten Schritt zu gehen. Unser Job ist es nun, den Jungs zu helfen, ihr Potenzial zu zeigen.
Welche Erfahrungen aus ihrer eigenen Karriere bringen Sie ein? Die heutige Spielergeneration hat sie ja nicht mehr aktiv spielen sehen.
Zietsch: Ich weiß nicht, ob irgendeiner der Spieler schon gegoogelt hat, was ich früher so gemacht habe. Grundsätzlich bin ich aber überzeugt, dass es Vorteile hat, in einem Trainerteam ehemalige Profispieler zu haben. Da ist es auch egal, ob derjenige 50, 60 oder 30 Jahre alt ist. Ich glaube, man kann den Spielern etwas ganz anders vorleben. Ich bin niemand, der in der Vergangenheit lebt. Aber ich weiß, was man tun muss, um im Leistungssport Fußball erfolgreich zu sein. Da haben sich manche Dinge nicht verändert. Und ich weiß auch, worauf Spieler Wert legen müssen, um bei einem Trainer eine Chance zu haben. Ich denke, dass die Akzeptanz bei Spielern gegenüber Ex-Profispielern erst einmal größer ist, aber dann müssen die Spieler natürlich merken, dass da jemand ist, der nicht nur irgendwann einmal Profi war, sondern ihnen bei ihrer Entwicklung helfen kann.
Was ist der größte Unterschied von heute zu Ihrer aktiven Zeit?
Zietsch: Heute beschäftigen sich die Trainer viel mehr mit den Spielern. Früher hieß es: Friss oder stirb! Heute versuchen viele Trainer, auf jeden Spieler und sein Umfeld einzugehen. Zu meiner aktiven Zeit gab es keine Sozialen Medien, die ersten Berater kamen so langsam auf. Heute gehen die Jungs vom Trainingsplatz runter, laufen zum Berater, zu den Eltern und zu den Freunden und erhalten Feedback. Die Spieler werden massiv von so vielen Seiten beeinflusst, dass es auch zum Trainerjob gehört, die Spieler zu überzeugen, dass sie das weiterbringt, was wir mit ihnen im täglichen Umgang umsetzen.
Gibt es trotz aller Unterschiede noch einen Trainer aus ihrer aktiven Zeit, der sie bis heute beeinflusst?
Zietsch: Mich hat damals Willi Entenmann sehr beeinflusst. Als ich als junger Spieler zum VfB Stuttgart kam, hat er als Co-Trainer immer versucht, sich um alle zu kümmern. Er hat auch später als Trainer – ich habe ein Jahr beim VfB und später noch zwei Jahre beim Club unter ihm gespielt – immer versucht, alle Spieler im Kader besser zu machen. Auch die, von denen er wusste, dass sie wohl keine Chance auf einen Einsatz hatten. Das hat mich beeinflusst. Ich bin ein Freund offener, klarer und ehrlicher Worte den Spielern gegenüber. Ich hatte in meiner Karriere in 15 Profijahren insgesamt 15 verschiedene Trainer. Und von jedem nimmt man ein bisschen etwas mit oder sagt, das will ich nicht machen. Auch heute schaue ich total gerne Trainingseinheiten bei anderen Trainern an. Da bekommt man eigentlich immer irgendeine Anregung, die man verwenden kann.
Die Wahrnehmung des Trainerberufs hat sich inzwischen auch sehr verändert.
Zietsch: Allerdings. Der Fußball wird ganz anders wahrgenommen. Alles ist gläsern und wird hinterfragt. Es geht mehr um das Verhältnis des Trainers zum Spieler, zum Manager oder zur Presse als um das Spiel selbst. Das muss einem bewusst sein. Man muss als Trainer auch bereit sein, dieses Vagabundenleben mitzumachen, zu wissen, dass man womöglich nur ein Jahr oder noch kürzer bei einem Verein ist. In vielen Klubs werden von einem Kreis von Leuten Entscheidungen getroffen, die nicht wirklich aus dem Fach kommen und die sich oft von Stimmungen oder Meinungen beeinflussen lassen. Ich bin keiner, der darüber jammert, denn die Trainer erhalten in der Regel kein unwesentliches Schmerzensgeld. Aber oft helfen die vermehrten Trainerwechsel nicht, um Entwicklungen in der Mannschaft oder im Verein voranzutreiben. Jedem, der in dieser Branche arbeitet, sollte auf jeden Fall klar sein, worauf er sich einlässt.
Wie gehen Sie nun damit um: Ihre Familie lebt derzeit noch in Nürnberg. Da ist die Distanz nach Würzburg nicht allzu groß.
Zietsch: Das stimmt. Aber ich muss sagen, ich habe es während meiner Zeit als NLZ-Leiter in Nürnberg genossen, meine Kinder aufwachsen zu sehen. Das war mir wichtig, sonst wäre ich vielleicht schon früher den Weg als Trainer gegangen. Jetzt ist der Große bald aus dem Haus, und beim Kleinen dauert das auch nicht mehr lange. Es ist jetzt ein neuer Weg. Mal schauen, wo dieser hinführt.