Mit seinen Enthülllungen über Dopingpraktiken hat sich der Journalist Hajo Seppelt nicht nur international einen Namen gemacht – er hat wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) den kanadischen Sonderermittler Richard McLaren einsetzte, der in seinem Report Seppelts Recherchen über flächendeckendes Staatsdoping in Russland bestätigte. Folge war unter anderem der Ausschluss russischer Leichtathleten von den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio. Nächsten Dienstag will das Internationale Olympische Komitee (IOC) bekannt geben, ob oder unter welchen Sanktionen russische Sportler bei den Winterspielen nächsten Februar im südkoreanischen Pyeongchang teilnehmen dürfen. Ein Telefongespräch mit Seppelt über seine Antriebsfeder, und Gerechtigkeit, Sportjournalismus und IOC-Präsident Thomas Bach.
Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass im olympischen 100-Meter-Finale ein Nicht-Gedopter dabei ist?
Hajo Seppelt: Da will ich nicht spekulieren, aber es ist ja nun inzwischen hinlänglich belegt, dass der wirkliche Appetit mancher internationaler Sportorganisationen, Doping zu bekämpfen, nicht sonderlich stark ausgeprägt war über viele, viele Jahre. Das Modell, dass der Sport sich selbst kontrolliert, ist zum Scheitern verurteilt. Der Sport ist häufig eine Parrallelwelt. Niemand käme doch auf die Idee, die Steuerprüfung des Finanzamts durch die Unternehmensberater durchführen zu lassen. Aber im Sport läuft das so ab.
Sie wünschen sich, dass der Staatsanwalt häufiger eingreift?
Seppelt: Die einzigen, die in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, die öffentliche Debatte anzuregen und Doping im größeren Stil aufzudecken, waren – wenn man ganz ehrlich ist – Staatsanwälte, Richter, Polizei und investigative Journalisten.
Sie haben früher fürs Fernsehen vor allem Schwimmveranstaltungen kommentiert, sehen inzwischen den Berufsstand des Sportjournalisten mitunter aber sehr kritisch. Woher kommt Ihr Antrieb, sich so ins Thema Doping verbissen zu haben?
Seppelt: Meine Skepsis gegenüber dem Sujet Spitzensport hat über die Jahre mit der reifenden Erkenntnis, was hinter den Kulissen abläuft, immer mehr zugenommen, und irgendwann führte das dann dazu, dass ich eine gehörige Portion Misstrauen entwickelt habe, weil die Fassade des Spitzensports häufig nichts mit dem zu tun hat, was hinter den Kulissen geschieht. Das ist ja bei Russland deutlicher denn je geworden. Mein Interesse, sich damit zu beschäftigen, fing eigentlich mit dem Doping in der DDR an, vor 20, 25 Jahren.
Und ich habe damals gespürt, welche Widerstande es im organisierten Sport gegen unsere Art der Berichterstattung gibt, aber nicht nur dort, sondern auch in Kreisen von Sportjournalisten. Manche meinten, wir seien Nestbeschmutzer. Ich war immer politisch sehr interessiert, und der Sportjournalismus war halt mein Weg, in diesen Beruf hineinzukommen; ich bin selber Schwimmer gewesen, wenn auch kein sonderlich guter. Ich habe mich immer mehr als Journalist begriffen denn als Sportreporter.
Heute bin ich sehr froh, dass ich diese Entwicklung genommen habe, weil ich den klassischen Sportjournalismus, den ich ja selbst aktiv mitbetrieben habe, heute in Teilen sehr kritisch beurteile. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Verlage oder TV- und Radioanstalten es sich nicht leisten können, eine Heerschar von investigativen Journalisten zu beschäftigen, weil es ja auch eine Frage des Geldes ist.
Wofür ich aber kein Verständnis habe, ist, wenn das Sujet Sport von Verantwortlichen anders betrachtet wird als andere Bereiche der Berichterstattung und der Sport mehr als Entertainmentprodukt gilt, gut für Auflage und Quote. Und wenn die unheilige Allianz zwischen Berichterstatter und Berichterstattungsgegenstand viel zu viel Nähe aufbaut. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, und das sehe ich als sehr gefährlich an für einen unabhängigen Journalismus.
Sind Sie Gerechtigkeitsfanatiker?
Seppelt: Ich weiß nicht. Ich finde Gerechtigkeit gut. Ob man dann daraus Fanatismus ableiten will, kann nicht ich entscheiden. Ich finde, es gibt genügend Leute, die einfach weggucken im Sportjournalismus, obwohl sie es besser wissen müssten. Und das gibt ein sehr trauriges Bild für manche Teile dieses Berufsstandes ab.
Sind Sie stolz auf Ihre Arbeit? Oder verspüren so etwas wie Genugtuung?
Seppelt: Stolz ist sicher die völlig falsche Vokabel. Es ist aber auch richtig, dass, wenn man viele Jahre über bestimmte Schieflagen und Missstände berichtet, auf Unzulänglichkeiten und offenkundiges Fehlverhalten aufmerksam macht und über Jahre überhaupt nichts oder nur wenig passiert, das war ja viele Jahre so, dann fragt man sich manchmal schon, ob im Sport überhaupt irgendwelche Selbstheilungsmechanismen greifen. Und wenn dann irgendwann durch öffentlichen Druck, auch durch uns, gesellschaftliche Prozesse angeschoben werden, dann zeigt es uns, dass unsere Arbeit Auswirkungen haben kann. Und das finde ich dann schon gut.
Sie meinten schon häufiger, ein Ansatz im Anti-Doping-Kampf könnte sein, dem Sport das Geld zu entziehen . . .
Seppelt: Dem Sport das Geld zu entziehen, könnte ein wirksames Mittel sein, um ihn stärker unter Druck zu setzen. So wie der Sport aufgestellt ist, sind das aus meiner Sicht feudale Prinzipien, die mit dem Demokratieverständnis des 21. Jahrhunderts nicht viel zu tun haben.
Aber die Geldgeber profitieren doch auch von dem immer „Schneller, höher, weiter“ . . .
Seppelt: Alle profitieren von Spitzenleistungen, Klammer auf womöglich durch Doping zustande gekommenen, Klammer zu. Je besser die Leistung, desto größer lässt sich der Sport als Unterhaltungsfaktor verkaufen. Und sobald Doping und die Aufdeckung ins Spiel kommen, kollidiert dies mit den Geschäftsinteressen vieler Teilhaber des Sportbusiness. Jahrzehntelang ging es weniger darum, Doping zu bekämpfen als vielmehr die öffentliche Debatte darüber im Keim zu ersticken.
Es scheint, als haben Sie in diesem Thema ihre Lebensaufgabe gefunden.
Seppelt: Weiß ich nicht. Mir macht mein Beruf Spaß. Es ist einer, in dem ich versuche, hinter die Kulissen zu blicken und dabei den einen oder anderen Erkenntnisgewinn zu generieren, vor allem für das Publikum. Das ist eigentlich eine schöne Sache. Mein Ziel ist es, das ganze Bild zu zeigen und nicht nur die halbe Seite der Medaille.
Sie sind gerade wieder auf Recherchereise . . .
Seppelt: Ich bin auf Reisen, ja, das ist richtig. Haben Sie eigentlich einen guten Draht zu Thomas Bach?
Er kommt bei uns aus der Ecke, aus Tauberbischofsheim . . .
Seppelt: . . . deswegen frage ich, ob er Ihnen gerne Interviews gibt . . .
Früher, bevor er IOC-Präsident wurde, hatten wir immer wieder mal eines mit ihm, meist hat er da aber wenig Erhellendes zum Besten gegeben . . .
Seppelt: Kann ich mir vorstellen.
Bach könnte wichtige Zeichen setzen. Wie beurteilen Sie seine Rolle im Anti-Doping-Kampf?
Seppelt: Herr Bach ist ein Sportfunktionär alter Prägung, der in der Samaranch-Ära sozialisiert worden ist. Er hat in den letzten Jahren vor allem seine eigene Karriere und den Schutz der olympischen Bewegung im Auge gehabt. Finanziell mag er fürs IOC von Nutzen sein, er ist ein prädestinierter Garant für den ökonomischen Erfolg. Jetzt hat er seine größte Bewährungsprobe mit Russland. Und daran wird er sich messen lassen müssen, ob er wirklich zu den fundamentalen Prinzipien der olympischen Bewegung steht.
Was wir momentan feststellen, ist, dass im Fall Russland der Ausverkauf der olympischen Werte zu drohen scheint. Denn wenn man auf das Worst-Case-Szenario des Sports, den Systembetrug, Staatsdoping, was historisch nahezu beispiellos und nur mit dem Ausmaß des DDR-Dopings zu vergleichen ist, keine adäquate Antwort findet und Russland unter eigener Flagge bei Olympia zulassen sollte, dann ist das die Bankrotterklärung des Anti-Doping-Kampfes.
Fühlen Sie sich manchmal ein wenig wie Don Quijote?
Seppelt: Na ja, ein paar Windmühlenflügel haben wir ja schon in Bewegung gebracht.
Hajo Seppelt bei einer Diskussion zum Thema Doping in Würzburg
Die GRR ist eine Interessengemeinschaft von 61 großen Laufveranstaltern, darunter auch die des Würzburger Residenzlaufs und des Würzburg-Marathons, die am Wochenende in Würzburg ihre Jahres-Mitgliederversammlung abhält. Die Diskussion zum Thema Doping in der Landesgewerbeanstalt Bayern, Dreikronenstraße 31, Würzburg, wird moderiert vom ehemaligen ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann. Neben dem via Skype zugeschalteten Seppelt diskutieren laut Veranstalter unter anderem Leichtathletiktrainer Kurt Ring, Marathon-Olympiateilnehmer Philipp Pflieger, Sportmediziner Thomas Ambacher, Journalist Klaus Blume und der frühere Langstreckler Christoph Herle. Der Eintritt ist kostenlos, eine Anmeldung erforderlich unter: wilfried.raatz@germanroadraces.de
Selten hat in meinen Augen jemand mit so selektiver Wahrnehmung wie Seppelt so viel Aufmerksamkeit bekommen.
Mag ja sein, dass in Russland viel gedopt wird und dass man dagegen vorgeht (bzw viel stärker vorgehen sollte) ist auch richtig.
Wie heißt denn der aktuelle 100-Meter Weltmeister? Justin Gatlin.
Zwei mal positiv getestet und die staatliche Anti-Doping-Agentur der USA hat ihn nicht wie eigentlich vorgeschrieben lebenslang gesperrt.
Wenn wir also dem Staat Russland vorwerfen, nicht hart genug gegen Doping vorzugehen müssen wir das auch den USA vorwerfen.
Dopingfälle Leichtathletik Russland: 104
Dopingfälle Leichtathletik USA: 93
(https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_doping_cases_in_athletics)
So groß ist der Unterschied also nicht. Dennoch werden die USA seltsamerweise nie erwähnt, wenn es ums Doping geht.
Und Seppelt? Weiß er das nicht? Oder blendet er das ganz bewusst aus?