Bernd Reitstetter wird vermutlich nicht am Fußballplatz sein, wenn der Spielbetrieb an diesem Wochenende nach sechs Monaten Stillstand wieder Fahrt aufnimmt. Der unterfränkische Bezirksspielleiter (53) genießt derzeit seinen Urlaub, nahm sich aber dennoch Zeit für ein Gespräch, in dem sich vieles um Einschränkungen, Auflagen und Szenarien dreht. Am Ende ging es auch um den Ärger, den der Bayerische Fußballverband (BFV) mit vielen Vereinen bekam, weil er sich als einziger Landesverband entschieden hat, die Saison fortzuführen und nicht abzubrechen. Nachdem beim ersten Anruf auf dem Handy die Mailbox angesprungen ist, meldet sich Reitstetter wenige Minuten später selbst.
Bernd Reitstetter: Hallo, hier ist Reitstetter (im Hintergrund läuft das Online-Seminar des BFV). Wer stört mich im Urlaub?
Reitstetter: Ja, das passt schon. Legen Sie los!
Reitstetter: Ich gebe Ihnen Recht. Aber wir sind in dieser Sache auf die bayerische Staatsregierung angewiesen, die den Spielbetrieb ab 19. September freigegeben hat. Dazu liefen in dieser Woche Online-Seminar für die Vereine. Es kann uns natürlich passieren, dass in Würzburg das Gesundheitsamt hergeht und für Stadt und Landkreis ein Spielverbot ausspricht.
Reitstetter: Ja, aber die Alternative wäre, dass der Spielbetrieb komplett ausfällt. Kein Verein im Bayerwald würde verstehen, dass ein Spieltag abgesetzt wird, wenn die Fallzahlen in Würzburg hoch, in seinem Bereich aber niedrig sind. Sollten in einzelnen Landkreisen keine Spiele erlaubt sein, hat der Spielleiter die Möglichkeit, ganze Spieltage einer Liga abzusetzen.
Reitstetter: Das hängt von der Zahl der betroffenen Spiele ab. Als Spielleiter bin ich froh über jedes Spiel, das ich durchbekomme.
Reitstetter: Ich kenne den Fall von Leinach, der ja schon öffentlich ist. Und ich weiß – Stand Mittwoch – von zwei, drei Verdachtsfällen in zwei weiteren Vereinen aus Würzburg und Main-Spessart. Mir wird aber nicht jeder einzelne Fall gemeldet.
Reitstetter: Das hängt davon ab, was die lokalen Gesundheitsbehörden entscheiden. Muss die ganze Mannschaft in Quarantäne, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Spiele dieser Mannschaft abzusetzen. Wenn nur ein einzelner Spieler betroffen ist, wird das wie ein normaler Verletzter gewertet und das Spiel nicht abgesetzt. Bei mehreren Spielern sieht es schon wieder anders aus. Wichtig ist: Der Verein muss das nachweisen können. Es reicht nicht, wenn jemand vom Verein bei mir anruft und sagt: Wir haben einen Verdachtsfall. Um ein Spiel abzusetzen, brauche ich die behördliche Anordnung.
Reitstetter: Sonst ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. In Leinach zum Beispiel hat das Gesundheitsamt die ganze Mannschaft in Quarantäne geschickt. Da setze ich am Wochenende natürlich kein Spiel an. Wir wollen aber vermeiden, dass die Lage ausgenutzt wird. Im Bezirk haben wir erfahrene Spielleiter, die das Ganze mit Augenmaß und Weitblick beurteilen werden.
Reitstetter: So haben wir es Anfang der Woche dem Ministerium vorgeschlagen. Für die Vereine gibt es auch die Möglichkeit, Besucher digital mit Registrier-Tools zu erfassen. Wenn das Kontingent von 200 erreicht ist, darf keiner mehr rein.
Reitstetter: Wenn sie das so regeln wollen, können sie es gerne tun. Wir vom Verband dürfen und wollen das nicht beeinflussen.
Reitstetter: Ja, aber das war schon immer so. Der Verband setzt den Rahmen, organisiert den Spielbetrieb, aber er trifft keine Regelungen etwa zu Zugangskontrollen. Manche Fragen sind auch noch nicht abschließend beantwortet. Was mache ich zum Beispiel bei einem Spitzenspiel – nehmen wir Haibach gegen Vatan Spor Aschaffenburg in der Landesliga? Erster gegen Zweiter, noch dazu ein Lokalderby. Beide Klubs haben keine Sitzplatz-Tribüne . . .
Reitstetter: Richtig. Muss ich jetzt das halbe Kontingent an Zuschauern dem Gegner zur Verfügung stellen? Oder kann ich alle 200 Karten an meine Mitglieder geben? Ich muss mich selbst erst in die ganzen Richtlinien einlesen.
Reitstetter: Ich arbeite im Außendienst, und für einen Außendienstler gibt es nichts Schlimmeres, als nur zu Hause zu sitzen, wie es bei mir von Mitte März bis Anfang Juni der Fall war. Das ist beruflich gerade auch nicht einfach. Und was meine Arbeit für den BFV angeht: Ich will mich nicht beklagen, ich mache das ja gerne. Aber was ich seit März für den Verband an Stunden abgerissen habe, war schon enorm, allein für das Modell Ligapokal. Ich musste meine Auf- und Abstiegsregelung ändern. Das macht man nicht so zwischen Tür und Angel, das muss ja rechtlich abgesichert sein.
Reitstetter: Ich kann das nachvollziehen. Aber die Frage muss ich mit einer Gegenfrage kontern: Was wäre, wenn wir die Runde abgebrochen hätten? Schauen Sie sich andere Landesverbände an. In Berlin laufen Klagen gegen den Fußballverband, weil er die Saison abgebrochen hat und die ersten Zwei in jeder Klasse hat aufsteigen lassen. Jetzt muss die Runde dort verkürzt werden, um zeitlich durchzukommen. Hätten wir abgebrochen, könnten wir bis heute noch nicht wieder spielen. Wir fangen am 19. September an, am 16. Mai 2021 muss die Runde wegen weitergehender DFB-Termine zu Ende sein. Jetzt stellen Sie sich die Bezirksligen mit jeweils 18 Teams vor, das wären 34 Spieltage. Wie soll das gehen?
Reitstetter: Ja, die spielen dann wie in Berlin eine einfache Runde. Ich finde, Bayern geht einen praktikablen Weg. Sie haben die Lage in Würzburg angesprochen: Steigen die Fallzahlen weiter, kann es durchaus passieren, dass das Gesundheitsamt den Spielbetrieb verbietet. Und dann? Mit dem jetzigen Modell haben wir die größtmögliche Flexibilität. Bis Mai nächsten Jahres muss ich noch elf Spieltage durchbringen, und den Ligapokal im Frühjahr kann ich – so ist es festgelegt – jederzeit kürzen. Hätte ich allerdings eine komplette Runde mit 34 Spieltagen unterzubringen, müsste ich fast jeden Mittwochabend spielen lassen. Das geht schon deshalb nicht, weil nicht jeder Platz über Flutlicht verfügt. Und erzählen Sie mal der Mannschaft des TV Wasserlos, dass sie unter der Woche abends in Kitzingen antreten muss.
Reitstetter: Nach jetziger Lage, ja. Es kann doch keiner sagen, wie man das anders durchziehen soll. Selbst hier in Unterfranken wird es so sein, dass Kommunen den Spielbetrieb zeitweise untersagen. Ich will nicht behaupten, dass das, was wir beim BFV uns ausgedacht haben, das Patentrezept ist. Aber unter den gegebenen Umständen können wir jetzt einfach am besten reagieren. Was passiert, wenn in ganz Bayern die Fallzahlen wieder drastisch steigen? Da kommen wir irgendwann wieder zu dem Punkt, dass wir abbrechen müssen. Bloß hätten wir dann zwei Runden zerschossen.
Reitstetter: Diesem Eindruck will ich gar nicht widersprechen. Aber Intention unseres Präsidenten war, den Vereinen schnellstmöglich maximale Planungssicherheit zu geben. Deshalb auch die klare Ansage, die Runde nicht vor dem 1. September fortzusetzen. Die Gegner einer Fortsetzung hätten dann Recht behalten, wenn wir im Juli wieder normal hätten spielen können. Nach heutigem Anschein haben wir alles richtig gemacht, was jetzt nicht besserwisserisch klingen soll. Keiner hat gewusst, wie die Dinge sich entwickeln: Sie nicht, ich nicht und auch nicht ein Rainer Koch.
Reitstetter: Da fragen Sie den Falschen. Ich freue mich, dass die Vereine wieder Fußball spielen können. Aber sobald der Ball rollt, ist der Job für mich erst einmal getan. Ich kann mich dann zurücklehnen und warten, was passiert.
Reitstetter: Ich bin erstens im Urlaub und möchte zweitens keinem Zuschauer einen Platz wegnehmen. Der BFV-Vorstand hat Anfang der Woche beschlossen, dass jeder Verein maximal zehn Offizielle des Verbands rein lassen muss. Denn gerade am Anfang ist die Lust auf Fußball vielleicht groß, und es kann nicht sein, dass bei einem Spiel mit maximal 200 Zuschauern plötzlich 70, 80 Funktionäre des BFV stehen. Deshalb werde ich mich mit Besuchen zurückhalten.