Was bitte hängt da für ein komischer Kasten gegenüber der Haupttribüne mit den roten und blauen Schalensitzen? Hat das Kehdinger Stadion in Drochtersen, einer niedersächsischen Gemeinde im Landkreis Stade, nun auch eine Videoüberwachung nötig? Rigo Gooßen, Präsident der Spielvereinigung Drochtersen/Assel, wird am Wochenende seine Besucher beruhigen können: Die Kamera mit den imaginären Augen ist installiert worden, um an einem Pilotprojekt in der Regionalliga Nord teilzunehmen: Vollautomatische Übertragungen von einem Fußballspiel, ohne das ein Kameramann die Regie führt.
Die Bilder sind auf dem Amateursportportal „Sporttotal.tv“ zu sehen, einer hundertprozentigen Tochter der Wige Media, die unter anderem die Übertragung von Großveranstaltungen für Fernsehsender gewährleistet, darunter auch die Fußball-Bundesliga.
Nun geht es ein paar Klassen runter: Mit der Partie Drochtersen/Assel gegen 1. FC Germania Egestorf-Langreder (Sonntag, 15 Uhr) startet das Kölner Medienunternehmen mit den Partnern Telekom und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) einen bemerkenswerten Großversuch: Liveübertragungen oder auf Abruf im Internet aus der vierten Liga gab es in dieser Form bislang nicht. Aus der Nord-Regionalliga beteiligen sich der TSV Havelse, SV Meppen, VfB Oldenburg, BSV Rehden, VfV Hildesheim und Lupo Martini Wolfsburg.
Eingebunden werden zur Rückserie ferner die Oberliga Niedersachsen sowie die Bayernligen Nord und Süd. Wenn Bundestrainer Joachim Löw kommenden Dienstag zum Neujahrstreffen des Niedersächsischen Fußball-Verbandes nach Barsinghausen kommt, werden ihm solche Sequenzen gezeigt, die sich auf Smartphone, Tablet, Laptop oder Fernseher abrufen lassen. Der User kann dabei sogar zwischen verschiedenen Ausschnitten wählen – und die Qualität ist beachtlich.
Wie von Geisterhand gesteuert
Kurios: Als die Macher von „Sporttotal.tv.“ nach einer passenden Übertragungstechnik fahndeten, wurden sie nach intensiver Suche in Tel Aviv fündig. „Wir arbeiten mit einem israelischen Startup-Unternehmen zusammen, das sich auf automatisierte Sportübertragungen spezialisiert hat“, erzählt Projektleiter Ben Lesegeld. Wie von Geisterhand gesteuert, fängt die in der Regel auf Höhe der Mittellinie an einem Mast oder unter dem Dach befestigte 180-Grad-HD-Kamera das Zentrum des Spielgeschehens ein. Die Techniker, die dafür die Algorithmen über das Schwarmverhalten von Menschen schrieben, hatten es zunächst zur Grenzüberwachung entwickelt. Nun soll damit der deutsche Amateurfußball revolutioniert werden.
Der DFB sieht einen Mehrwert
Bislang guckt derjenige ja in die Röhre, der unterklassig beispielsweise ein Auswärtsspiel seines Lieblingsvereins verfolgen und nicht mitreisen möchte. Auch für die Gegner- und Spielerbeobachtung ergeben sich innerhalb der Amateurligen ganz neue Möglichkeiten. DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius sagte bei der Präsentation auf dem Sportbusinesskongress Spobis in Düsseldorf: „Wir haben ein Interesse, etwas für den Amateurfußball zu tun.
Es ist für uns ein Mehrwert, wenn zusätzliches Interesse generiert wird und vielleicht neue Sponsoren darüber gefunden werden.“ Dabei sei der Verband finanziell nicht an dem Portal beteiligt, wird aber die Übertragungen auf seiner Plattform „Fussball.de“ pushen. Curtius: „Wir wären fahrlässig, wenn wir diese Chance nicht ergreifen würden.“
3000 Kooperationsvereine bis 2020?
Es geht um Bewegbildangebote und letztlich auch um die Rechte von Amateurfußballspielen. Keine dumme Idee in Zeiten, in denen die Kosten an den Premiumprodukten des Profifußballs ins Unermessliche steigen. Bis Mitte des Jahres sollen 50 deutsche Amateurklubs dabei sein, bis Ende des Jahres bereits 200. Ehrgeiziges Ziel im Businessplan: 3000 Kooperationsvereine bis 2020. Die Kosten für die Kamera von 10 000 Euro sowie denselben Betrag für die Installation zahlt zunächst Wige. Den Klubs wird lediglich eine monatliche Mietgebühr von 9,90 Euro auferlegt. Für den User soll das Angebot kostenfrei bleiben und sich über Werbung refinanzieren – nur wer später die werbefreie Version will, muss zahlen. Wie hoch dieser Betrag dann sein wird, steht noch nicht fest.
Wige-Chef Peter Lauterbach will damit gänzlich neue Geschäftsfelder erschließen: „Die Margen im klassischen Geschäft sinken. Wir haben nach einem Modell in der Sportübertragung gesucht, das skalierbar ist.“ Curtius hat für den Verband bereits viele positive Rückmeldungen vernommen. „Die Vereine wollen es, das Interesse ist groß. Außerdem ist es eine Chance für den Breitensport und andere Sportarten.“ Dass mal wieder der Fußball mit seiner massenhaften Magnetwirkungen den Anfang macht, versteht sich fast von selbst.