Sie waren zum Teil fast noch Kinder, als das Leben sie zwang, allzu schnell erwachsen zu werden. Sie flüchteten vor Krisen auf anderen Kontinenten, vor Krieg in ihren Heimatländern oder persönlichen Problemen. Und sie kamen nach Deutschland und landeten schließlich in Unterfranken. Dort fanden sie vielleicht nicht alle eine neue Heimat, aber ein zweites Zuhause im Sport.
2013 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) den 6. April zum Internationalen Tag des Sports für Entwicklung und Frieden erklärt – an diesem Tag waren 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen eröffnet worden. Seit seiner Gründung feiern Organisationen, NGOs und Verbände die Rolle, die der Sport in der Gesellschaft spielt – und seine Kraft zur Förderung von Dialog, Verständnis, Integration und Frieden. Sport biete eine "Alternative zu Konflikten und Kriminalität" und könne unter anderem Flüchtlingen "Hoffnung und Sinn geben", sagte der frühere IOC-Präsident Jacques Rogge damals. In Zeiten, in denen Millionen Menschen vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, eine nicht zu unterschätzende Botschaft.
Anlässlich des neunten Internationalen Tags des Sports für Entwicklung und Frieden an diesem 6. April veröffentlichen wir die Protokolle von zwei Fußballern und einem Schiedsrichter aus Afrika sowie einem Cricketspieler aus Afghanistan, die als Asylbewerber in unserer Region leben. In mehr oder weniger flüssigem Deutsch erzählen sie die Geschichten ihrer Flucht und wie der Sport ihnen half, hier anzukommen und sich zu integrieren.
1. Essa Ganes (21) aus Gambia, Fußballer beim FV 04 Würzburg
"Fußball hat mir sehr, sehr, sehr geholfen, hier anzukommen. Ich bin 2016 mit 15 Jahren aus Gambia geflohen. Der Grund war ein persönliches Problem. Mit vielen anderen flüchtete ich mit einem Schiff von Libyen nach Italien. Dort war ich neun Monate in einem Camp bei Neapel. Ich wollte nach Deutschland, um hier einen besseren Schutz zu finden.
Im Sommer 2017 kam ich in Oerlenbach an. Beim FC Bad Kissingen fing ich mit Fußball an. Ich spielte in der U 19 und durfte bei den Männern mittrainieren. In Gambia hatte ich ein bisschen auf der Straße gekickt. Wegen der Schule zog ich dann nach Schweinfurt um, ging auf die FOS und machte die Mittlere Reife. Danach kam ich nach Würzburg und zum FV. Nach Stationen in Aubstadt und Abtswind bin ich jetzt wieder dort.
Ich wohne noch im Camp (Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, Anmerkung der Redaktion) in der Veitshöchheimer Straße. Einen Ausbildungsplatz als Krankenpfleger im König-Ludwig-Haus habe ich schon, aber ich brauche noch eine Arbeitserlaubnis. Mein Wunsch ist es, hier zu bleiben und auch weiter Fußball zu spielen.
In den Vereinen waren bisher alle super nett zu mir und haben mir sehr geholfen. Ich habe dort nicht nur Freunde gefunden, sondern vor allem Deutsch gelernt. Das Training war, wie wenn ich zum zweiten Mal zur Schule gehe. Wenn man hier ankommen und sich integrieren will, dann ist das mein Tipp: zur Schule gehen und Sport mit anderen machen, da gibt es auch keine Grenzen, sondern verschiedene Kulturen in einem Team.
Für mich ist Fußball heute wie eine Heimat, vielleicht sogar mehr als ein Land. Beim Fußball fühle ich mich okay und vergesse die schrecklichen Zeiten."
2. Zahoor Jan (32) aus Afghanistan (geboren in Pakistan), Cricketspieler beim TSV Lengfeld
"Ich bin am 2. Oktober 2015 in Deutschland angekommen – nach 43 Tagen zu Fuß von Afghanistan über Pakistan, den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich. Nur über Grenzen bin ich manchmal in einem Auto mitgefahren. Ich habe unterwegs viel Schlimmes erlebt und viele Tote gesehen – erfroren im Schnee, gestorben ohne Essen und Trinken. Hier kam ich ohne einen Cent in meiner Tasche an. Von Regensburg ging es erst nach Schweinfurt, nach zwei Monaten weiter nach Würzburg.
Die Geschichte meiner Flucht vor dem Krieg werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen, aber nun bin ich ganz ruhig. Zu Hause hatte ich viele Probleme, hier hatte ich viel Glück. Ich lebe seit über sechs Jahren in Frieden, meine Frau und unsere drei Kinder sind bei mir, wir haben eine Wohnung, lernen Deutsch, ich arbeite als Küchenhilfe bei McDonald's – und ich spiele Cricket.
Das ist das Einzige, das so ist wie in meiner Heimat. Ein Kumpel aus Afghanistan hat mich damals mitgenommen zum TSV Lengfeld. Dort habe ich Wolfgang Merz kennengelernt (Cricket-Abteilungsleiter des TSV Lengfeld, Anmerkung der Redaktion). Er hat mir die ganze Zeit geholfen. Er hat mir sogar geholfen, meine Familie hierher zu holen, an Weihnachten 2020; wir hatten uns fünf Jahre nicht gesehen. Und er hilft uns immer noch, geht zum Beispiel mit den Kindern zum Arzt, einer meiner Söhne ist behindert. Wolfgang Merz ist ein echter Mensch und ich bin ihm für immer dankbar.
Cricket spielen ist großer Spaß. Wir sind eine Mannschaft mit Afghanen, Pakistanis, Indern, ich bin der Kapitän. Wir trainieren einmal in der Woche und machen viel Party. Nach Spielen bringen wir Essen und Trinken mit und auch unsere Familien. Meine beiden Söhne spielen Cricket, aber auch Fußball. Ich habe ihnen gesagt: In Deutschland müsst ihr Fußball spielen. Meine Tochter will immer malen.
Wenn ich die Bilder aus der zerstörten Ukraine sehe, dann denke ich, das ist wie in meinem Land. Ich habe für die Menschen dort Sachen gekauft, Essen und Trinken, um ihnen zu helfen, wie auch mir hier geholfen wurde.
In unserer Turnhalle in Lengfeld, in der vor ein paar Jahren Flüchtlinge aus Afghanistan untergebracht waren, sind jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine. Ich kann nicht gut mit ihnen reden, aber ich sehe Frauen und Kinder weinen und ich weiß, wie sie sich fühlen. Aus der Heimat fliehen zu müssen, ist sehr traurig. Man kann das nicht vergessen, aber man kann trotzdem wieder sehr, sehr, sehr glücklich werden. So, wie ich es jetzt bin. Ich hoffe, ich darf hier für immer in Frieden bleiben."
3. Abdifatah Muse Mohamud (24) aus Somalia, Fußball-Schiedsrichter
"Ich habe am 4. April 2019 ganz alleine meine Heimat Somalia verlassen, das weiß ich noch ganz genau. Es gab viel Unruhe, Krieg und persönliche Probleme; ich musste weg. Sechs bis sieben Monate hat die Flucht gedauert, oft war ich im Bus, Auto oder Zug unterwegs. Bis zu 32 Kilometer am Tag bin ich auch gelaufen, wenn es nicht anders weiterging. Das war, glaube ich, die längste Strecke.
Mein Glück war, dass ich, als ich am Ende meiner Flucht von Ostafrika über die Türkei, Griechenland und Italien in Schweinfurt angekommen bin, Kontakt zu den Schiedsrichtern bekommen habe. Meine Schiri-Unterlagen, auch ein Fifa-Zertifikat, hatte ich mitgenommen. Heinrich Keller, der Schweinfurter Gruppenobmann, hat mich bei seinem Verein DJK Hergolshausen angemeldet, für den ich immer noch unterwegs bin. Aber auch Lehrwart David Kern, Burkhard Böhm und Bernd Alm haben mir geholfen, in der Schiedsrichtergruppe anzukommen. Ich konnte damals ja noch gar kein Deutsch sprechen.
Ich mag meinen Job als Schiedsrichter. Der Sport hat mir auch geholfen, mit Deutschen zu interagieren und ihre Kultur zu verstehen, was beides als Asylbewerber oft schwierig ist. Zu den Sportplätzen fahre ich meist mit dem von meinem ersten hier verdienten Geld gekauften Fahrrad, weil ich noch meinen Führerschein mache.
Früher war ich Wirtschaftsstudent, Zweitliga-Schiri und Assistent in der höchsten somalischen Liga, einer der besten Schiedsrichter im Land. In Somalia habe ich auch Fußballerinnen trainiert, ihre Spiele auch mal gepfiffen.
Heute arbeite ich als Verpackungsmaschinist bei einer Großbäckerei und würde auch gerne hier in Schweinfurt bleiben, am liebsten auch noch in höheren Ligen pfeifen. Ich bin derzeit Kreisliga-Referee, vielleicht komme ich in der nächsten Saison in die Bezirksliga. An sich möchte ich mich aber auch schon jetzt für alles bedanken."
4. Mohamed Conte (20) aus Guinea, Fußballer beim FV 04 Würzburg
"Es ist schwierig hier für mich. Noch schwieriger wäre es ohne Fußball.
Ich bin seit 2016 alleine unterwegs, familiäre Probleme haben mich zur Flucht gezwungen. Als 14-Jähriger habe ich mich in unserer Heimat Guinea von meiner Mutter getrennt. Ich ging für ein Jahr in den Senegal, dann nach Mauretanien und weiter nach Marokko.
Von dort bin ich mit vielen anderen Flüchtlingen in einem kleinen Boot nach Spanien gekommen. Nicht alle haben das überlebt. Eine oder zwei Personen sind unterwegs gestorben.
Nach vier Wochen in Spanien landete ich im Juni 2018 in Deutschland, im Kolpinghaus in Ochsenfurt. Am Anfang hatte ich viele Probleme und habe viel geweint.
Seit Februar arbeite ich in der Kommissionierung bei Bavaria Yacht. Ich wohne in einer WG in Heidingsfeld, aber wenn ich nicht arbeite oder Fußball spiele, bin ich trotzdem die meiste Zeit alleine.
Ich denke viel an meine Mutter. Sie fehlt mir sehr. Ich wollte sie besuchen, aber das hat leider nicht geklappt.
In Heidingsfeld habe ich kurz beim SV Fußball gespielt, seit drei Jahren bin ich beim WFV. Ich bin Stürmer (und aktuell der beste Torschütze des FV 04 Würzburg, Anm. d. Red.). Das Training und die Spiele mit dem Team sind eine gute Zeit, aber sie ist nur kurz, immer nur zwei Stunden oder so. Danach bin ich wieder allein.
Wie gesagt, es ist schwierig für mich hier. Der Fußball macht es ein bisschen leichter."