
Er ist mehrfacher Deutscher Meister und Doppel-Olympiasieger. Er lacht gern. Sieht gut aus. Ist sympathisch und ehrgeizig. Seine großen Ziele sind die Welt-Winterspiele 2022 im russischen Kasan und die Welt-Sommerspiele 2023 in Berlin. Was ihn antreibt, nach der Arbeit stundenlang ans körperliche Limit zu gehen? Stefan Weidner legt den Kopf ein bisschen schief, überlegt. Dann sagt er: "Ich will zeigen, was ich draufhabe."
Schon holt er wieder Schwung. Stillstehen ist nicht Stefans Ding. Mit geübter Handbewegung sticht der Würzburger die orangeroten Skistöcke in den verbliebenen Schnee. Im Skyline-Park, hoch über den Dächern Würzburgs, zieht er auf seinen Langlauf-Skiern feine Spuren. Sein Vater Herbert Weidner, der zugleich sein Trainer und Service-Mann ist, beobachtet ihn. Ab und zu rufen die beiden einander etwas zu. Kleine Haltungskorrekturen können wichtige Sekunden einsparen.
Von kleinauf hungrig nach Bewegung
Mit eisernem Willen und einem jungenhaften Lächeln: Stefan Weidner, der fränkische Ausdauersportler, ist ein Sunnyboy, der den Schattenseiten des Lebens trotzt. Am 25. Juni 1976 kam er zur Welt, Wochen vor dem errechneten Termin. Von Geburt an hatte der heute 44-Jährige eine geistige Behinderung.

"Stefan war schon als Kind hungrig nach Bewegung", erinnert sich sein Vater. Zum Glück hatte der kleine Kerl eine sportbegeisterte Familie: Herbert Weidner, damals Schwimmtrainer der Triathlonabteilung des TSV Gerbrunn, nahm Sohn Stefan schon früh mit ins Schwimmbad, wo nicht nur Stefans jüngere Schwester Anne rasch feststellte: "Der ist ganz schön schnell. Und Ausdauer hat der!"
Gefördert von der Familie
Als 16-Jähriger startete Stefan Weidner erstmals bei den Deutschen Triathlon-Jugend-Meisterschaften. Es folgten Marathons und Halbmarathons – Stefan lief die 21,1 Kilometer in 1,27 Stunden. Er finishte den berühmt-berüchtigten Triathlon in Roth, den Ironman (vier Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer laufen) und ließ dabei viele Sportler ohne Handicap hinter sich.
Seine Familie förderte ihn stets nach Kräften. Vater, Mutter und Schwester fuhren mit ihm zu Trainingslagern und Seminaren, wachsten seine Ski, legten Steaks auf den Grill oder kochten kohlenhydratreiches Essen, wenn der Sportler abends nach vollbrachtem Tagwerk hungrig zurück zum Wohnwagen auf dem Campingplatz kam.
Über Abu Dhabi und Kasan nach Berlin
"Es ist unglaublich beeindruckend, wozu Menschen fähig sind, auch wenn sie ein Handicap haben", sagt Schwester Anne. Die 39-Jährige reiste 2019 auf eigene Kosten zu den Special Olympics nach Abu Dhabi, um ihren Bruder anzufeuern. "Wegen der hohen Kosten habe ich erst gezögert, ob ich das machen soll. Aber ich bin so froh, dass ich dabei war. Es war ein absolut unvergessliches Erlebnis voller Emotionen!" Stefan Weidner holte im 1600-Meter-Freiwasserschwimmen und in der 4-x-100-Meter-Staffel jeweils die Goldmedaille.

Im Frühjahr 2020, kurz vor dem Corona-Ausbruch, qualifizierte der Würzburger sich mit einem Doppelsieg im Langlauf-Skating bei den Deutschen Meisterschaften in Berchtesgaden für die nächsten Welt-Winterspiele. Im Januar 2022 werden, wenn Corona es zulässt, rund 2000 Spitzensportler aus 110 Nationen im russischen Kasan gegeneinander antreten. Anderthalb Jahre später möchte Stefan sich einen weiteren Traum erfüllen: "Triathlon ist meine Lieblingsdisziplin. Bei den Sommerspielen 2023 in Berlin möchte ich aufs Treppchen."
Umfangreiches Training
Stefan weiß: "Mit 44 bin ich nicht mehr der Jüngste." Aber er sagt auch: "Wenn du, wie ich, ein Ziel hast, dann gibst du alles dafür." Er trainiert derzeit drei- bis viermal pro Woche – nach seiner Arbeit in den Mainfränkischen Werkstätten. Auf das Krafttraining im Fitnessstudio, das im Winterhalbjahr stets auf dem Programm steht, muss er Corona-bedingt zwar verzichten, dafür ist Stefan im Freien umso aktiver. Nicht nur rund um Würzburg kann man ihn beobachten, sondern auch beim Höhentraining in der Rhön, im Roten Moor. Wenn kein Schnee liegt, nutzt er Roller-Skier, zudem läuft er und fährt Rennrad. "Hoffentlich kann ich bald wieder ins Schwimmbad", sagt er fast flehentlich. Das Bad ist, ebenfalls wegen Corona, derzeit geschlossen.

"Sport tut mir einfach gut", zieht Stefan Weidner Bilanz. "Er macht mich ausgeglichener und glücklicher." Sein Vater Herbert hat in den vielen Jahren an Stefans Seite erfahren: "Wenn es darum geht, an seine Grenzen zu gehen, ist Stefan ein echtes Vorbild – für alle Menschen."
Keine Sportförderung
Trotz seiner großen sportliche Erfolge bekommt Stefan – anders als "normale" und Para-Sportler – keine Sportförderung. Zwar unterstützt ihn sein Arbeitgeber, die Mainfränkischen Werkstätten, wo immer es geht, "und auch der Radladen Velo Momber ist sehr großzügig", sagt Stefan ganz stolz. Trotzdem muss er zusammen mit seiner Familie fast alle Kosten für Material, Reisen und Trainingscamps selbst tragen. "Ein bisschen finanzielle Anerkennung und Wertschätzung für seine Leistungen – das wäre gerecht", meint sein Vater. "Und gut fürs Selbstbewusstsein!"
Letzteres kann Stefan für seine Mission brauchen: Nach dem Olympiasieg in Abu Dhabi will er auch aus Kasan und Berlin Edelmetall mit heim nach Würzburg bringen. Er würde die Medaillen der Inklusion widmen, ohne dass er dieses Wort benutzt: "Jeder sollte willkommen und akzeptiert sein. Im Sportverein und auch sonst überall."