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Handball: Zweite Bundesliga
Die zwei Gesichter des Sebastian Kraus
So kennen ihn die Rimparer Handballfans: Sebastian Kraus ist auf dem Handballfeld immer mit hundert Prozent Einsatz und Emotion dabei.
Foto: Uwe Beck | So kennen ihn die Rimparer Handballfans: Sebastian Kraus ist auf dem Handballfeld immer mit hundert Prozent Einsatz und Emotion dabei.
Natalie Gress
 |  aktualisiert: 28.02.2014 12:16 Uhr

Dieser Tunnelblick. Man kennt ihn, aber man sieht ihn selten im Mannschaftssport. Dieses in sich Versenken. Diese totale Fokussierung. Wie ein Schwimmer, ehe er auf den Startblock steigt. Wie ein Hochspringer, ehe er Anlauf nimmt. Oder wie ein Turner, ehe er sich auf den Schwebebalken schwingt. Diesen Tunnelblick hat auch Sebastian Kraus vor dem Anpfiff eines Handballspiels. Ein wenig sieht der Spielmacher von Zweitligist DJK Rimpar Wölfe dann aus, als hätte er Drogen genommen. „Handball ist für mich auch wie eine Droge“, sagt er und lächelt. „Wenn dem nicht so wäre, dann würde ich diesen Sport nicht mit so viel Leidenschaft, Intensität und Aufwand betreiben.“

Der 29-Jährige, der früher auch im Fußball und Tennis aktiv war, ist eines der Gesichter der Rimparer Handballer. Seit den Minis ist er dabei, mit den Männern durchlief er sämtliche Klassen bis in die Zweite Liga. Sein Tunnelblick prägt dieses Gesicht. Und noch etwas ist darin vor dem Anpfiff zu lesen. Anspannung. Angriffslust. Und pures Adrenalin. „Das Adrenalin brauche ich, um meine Leistung zu bringen“, sagt Kraus. Er ist voll damit, bis obenhin. Manchmal zu voll. Dann spritzt es förmlich aus ihm heraus. Und dann werden die „Nickligkeiten, die ich auch brauche, um mich zu pushen“, schon mal zur Provokation. Dann wird die „gewisse Härte“, die er auch gegen sich selbst richtet, schon mal zu hart. Dann kippt die ungeheure Leidenschaft, mit der er spielt, schon mal in schiere Unbeherrschtheit. So, wie zuletzt gegen Bad Schwartau, als Kraus den Schiedsrichter anmaulte und nach 20 Minuten bereits seine zweite Zeitstrafe kassierte. In solchen Situationen polarisiert er.

„Es ist ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege“, das weiß Sebastian Kraus selbst. „Aber das ist mein Spiel, das ist mein Stil.“ Bei alledem ist er sich bewusst: „Wenn mir die Sicherungen durchbrennen, dann schade ich meinem Team. Und das ist natürlich das Letzte, was ich will.“ Deswegen hat er in den vergangenen Jahren gelernt, sich besser „in den Griff zu kriegen“. Früher sei er noch viel hitzköpfiger gewesen, erzählt Kraus, doch vor allem seine Trainer Heiko Karrer und Jens Bürkle hätten ihm klar gemacht, dass er damit niemandem helfe – nicht sich selbst und schon gar nicht seinem Team. „Und der Mannschaftserfolg steht über allem.“

„Privat bin ich ein Schisser“

Der Hunger und der Wille nach Erfolg sind die Motoren, die den Handballer Sebastian Kraus antreiben. In den meisten Fällen stellt er sich damit zu hundert Prozent in den Dienst seines Teams. Kaum einer spielt mit mehr Emotion und Einsatz als er. Bezeichnenderweise standen nach besagter Partie gegen Bad Schwartau nicht nur vier Strafminuten in seiner persönlichen Statistik, sondern auch neun Tore. Auf der Mittelposition kann er ein Spiel leiten und lesen, und wenn er auf Linksaußen eingesetzt wird und Konter läuft, dann hält den pfeilschnellen 1,73-Meter-Mann keiner auf.

„Basti schwebt oft zwischen Genie und Wahnsinn“, hat sein Halbbruder Matthias Obinger einmal über ihn gesagt. Der Coach des Drittliga-Süd-Spitzenreiters und mutmaßlichen Aufsteigers HSC Bad Neustadt, auf den die Wölfe im Falle des Klassenerhalts in der nächsten Saison wieder treffen würden, hat ihn selbst früher trainiert, von der B-Jugend bis zu den Aktiven. „Er hat mir viel Selbstbewusstsein als Spieler gegeben und immer an meine Stärken geglaubt“, erinnert sich Kraus.

Wie Sebastians zweiter Bruder Stefan, der ihn stets mit den „Supporters Rimpar“ im Fanblock anfeuert, so kennt auch Obinger das andere Gesicht von Kraus, das private. „Einen freundlichen Menschen“ hat er ihn mal genannt, und nichts anderes ist Sebastian Kraus, wenn man ihm im Gespräch gegenübersitzt. Er redet ruhig und reflektiert, und man kann sich leicht vorstellen, dass die Menschen ihn mögen, die er in seinem Beruf als Hörgeräteakustiker bedient. „Ich kriege viele Lebensgeschichten erzählt, manchmal weinen Kunden auch, weil sie in schwierigen familiären Situationen sind“, erzählt der 29-Jährige. „Da muss man gut zuhören können und eine gewisse Sensibilität mitbringen.“

Das Adrenalin, das braucht er nur im Handball. „Sonst bin ich ein totaler Schisser“, platzt es aus ihm heraus, so dass er selbst lachen muss. „Ich würde zum Beispiel nie Bungeejumping machen oder Fallschirmspringen! Eigentlich mag ich's eher gemütlich.“ Er überlegt. Dann sagt er: „Ich glaube, ich bin privat auch noch nie ausgerastet.“

Das wiederum ist schwer vorzustellen, wenn man Sebastian Kraus nur als Handballer kennt, dem das Herzblut gerne in den Hitzkopf schießt. Mit diesem Gesicht, dessen Tunnelblick verschleiert, ob er der Schwimmer sein wird, der gewinnt – oder untergeht. Der Hochspringer, der die Latte überspringt – oder sie reißt. Der Turner, der die Balance auf dem Balken wahrt – oder fällt. Nach einem Spiel aber zeigt sich recht schnell auch sein anderes Gesicht. Dann geht er freundlich auf seine Gegner zu und gibt ihnen die Hand. Wenn die Droge Handball aus seinem Körper weicht, dann ist er eben ein anderer Mensch.

DJK Rimpar Wölfe – ASV Hamm-Westfalen (Samstag, 20 Uhr, Dreifachsporthalle)

„Ein Sieg ist drin“, sagt Sebastian Kraus vor dem Heimspiel der DJK Rimpar Wölfe (17./13:29) gegen den ASV Hamm-Westfalen (6./25:19). „In der Hinrunde dort haben wir uns schon nicht so dumm angestellt.“ Im Gegenteil: Die Wölfe verloren damals nach beherztem Kampf etwas unglücklich mit 21:24. „Mit dem eigenen Publikum im Rücken haben wir definitiv eine Chance“, meint daher Spielmacher Kraus – „vorausgesetzt, wir vermeiden unsere eigenen Fehler.“ Die Gäste sind mit drei Siegen nach der Winterpause in die Rückrunde gestartet, am vergangenen Wochenende allerdings endete der Höhenflug mit einer 24:28-Heimniederlage gegen den TV Neuhausen. Dennoch liebäugelt Hamm mit einem Aufstiegsplatz, auch wenn darüber offiziell niemand spricht. Nicht umsonst lieh sich der Klub zwei Bundesliga-Akteure mit Zweitliga-Spielrecht aus: Markus Fuchs von GWD Minden und David Wiencek, Bruder von Nationalspieler Patrick Wiencek, vom TVB Lemgo. Gefährlichster Werfer im Team von Trainer Kay Rothenpieler ist Matthias Struck im rechten Rückraum; mit 130 Treffern in der laufenden Saison belegt er Platz sechs in der Torjägerliste der Liga. Auch ihn werden die Wölfe stoppen müssen, wenn sie die dringend benötigten Punkte im dramatischen Abstiegskampf in Rimpar behalten wollen. Für die DJK bestreitet Torwart Max Brustmann am Samstag sein 250. Spiel.

 
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