
Jetzt gilt es für die Würzburger Kickers. Vieles in den Planungen war nach dem Abstieg in die Fußball-Regionalliga 2022 auf dieses zweite Jahr in der Viertklassigkeit ausgelegt – die Verträge mit Leistungsträgern und Verantwortlichen inklusive. In der abgelaufenen Spielzeit sei es darum gegangen, nach dem freien Fall der Vorjahre wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, so Sportdirektor Sebastian Neumann: "Jetzt wollen wir besser sein als in der vergangenen Saison", sagt er über die Ziele für das neue Spieljahr. Was das nach Platz zwei nun bedeutet, ist klar. Die Kickers wollen, auch wenn sie das Wort selbst noch nicht in den Mund nehmen, Meister werden. Womöglich müssen sie das sogar, um das große Projekt Profi-Fußball im zehnten Jahr nach dem Start unter dem damaligen Trainer Bernd Hollerbach am Leben zu halten. Wie die Chancen stehen – eine Analyse:
Die Mannschaft
Es war ein bei den Kickers gänzlich ungewohntes Gefühl, dass, als sich das Team zum Vorbereitungsstart wieder traf, lauter bekannte Gesichter auf dem Platz standen. Im wilden Auf und Ab der Vorjahre hatte es nie eine solche personelle Kontinuität gegeben. Mit dem von Erzgebirge Aue ausgeliehenen, dort vor dem Drittliga-Start aber schon wieder aussortierten Felix Göttlicher hat nur ein Stammspieler aus der Vorsaison den Klub verlassen. Die Geschlossenheit einer eingespielten Gruppe könnte denn auch ein entscheidender Vorteil in der neuen Saison werden, zumal bei den erwarteten Kontrahenten im Meisterschaftskampf FC Bayern München II und Drittliga-Absteiger SpVgg Bayreuth ein Umbruch stattfand.
Dass mit Maximilian Zaiser und Ivan Franjic zwei vermeintlich begehrte Kicker, die sicherlich zu den herausragenden Regionalliga-Akteuren der Vorsaison zählten, weiter die roten Hosen tragen, hat im Umfeld die Zuversicht genährt. Zusammen mit Abwehrroutinier Daniel Hägele und Angreifer Saliou Sané können sie, wenn Franjic nach einer Knieoperation im Mai schnell wieder in Topform kommt, eine Achse bilden, die in dieser Spielstärke in der bayerischen Regionalliga einmalig ist. Doch auch drumherum, sind die Kickers auf fast allen Positionen doppelt überdurchschnittlich besetzt. Der Kader ist, da gibt es keine Diskussion, der eines Top-Favoriten auf die Meisterschaft.
Die Neuzugänge

Sportdirektor Sebastian Neumann konnte gezielt nach Spielern Ausschau halten, die sich ins bestehende Konstrukt einfügen lassen. Die Mannschaft sollte am Ende im Ganzen stärker werden als in der Vorsaison. Es scheint, als sei die Leistungsdichte im Kader tatsächlich noch einmal deutlich höher geworden. Während unter den Abgängen viele Akteure waren, die über die Rolle eines Ergänzungsspielers nicht hinaus kamen, melden alle Neuen berechtigte Ansprüche an, regelmäßig zu spielen.
Da ist allen voran Fabian Wessig (FC Augsburg II), der, wie Trainer Marco Wildersinn feststellte, "agiert, als wäre er schon ewig bei uns". Wer für den feinen Linksfuß im Mittelfeld einen Platz frei machen muss oder ob sich der Neue trotz aller Qualität erst einmal hinten anstellen muss? Schwer zu sagen! Die Konkurrenz ist gewachsen, Wildersinn hat in der Zentrale noch einmal deutlich mehr Möglichkeiten als im Vorjahr.
Angreifer Tim Sausen (1. FC Nürnberg II) trauen die Kickers-Verantwortlichen alleine schon aufgrund seiner Regionalliga-Erfahrung zu, anders als der abgewanderte Franz Helmer (FV Illertissen) eine echte Alternative oder auch Ergänzung zu Saliou Sané zu werden. Mit Yannick Scholz (Wacker Burghausen) und Rückkehrer Aron Unrath (Leihe zum FC Nöttingen beendet) soll der Göttlicher-Abgang kompensiert werden. Abgeschlossen sind die Personalplanungen noch nicht. Zwei Feldspieler sollen bestenfalls noch kommen.
Bereits nachgelegt haben die Kickers im Tor. Dort wurde mit dem Drittliga-erfahrenen Norman Quindt ein Akteur verpflichtet, der Vincent Friedsam die Rolle als Nummer eins streitig machen könnte.
Der Trainer

Marco Wildersinn hat das geschafft, was keinem Kickers-Trainer seit Michael Schiele mehr gelungen ist. Er hat nicht nur eine ganze Saison überstanden, sondern sich auch das Vertrauen der Fans erarbeitet. Der gebürtige Karlsruher lässt sich im bisweilen unruhigen Kickers-Umfeld eigentlich nie aus der Ruhe bringen, kann als guter Kommunikator Dinge verständlich erklären, hinterfragt aber auch sich und die eigene Arbeit regelmäßig.
In der vergangenen Saison hat er es geschafft, einen völlig neu zusammengestellten Kader rasch zu einem Team zu formen und Spieler, die in ihrer Kariere vermeintlich in einer Sackgasse steckten, wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Nun freilich geht es an das Meisterstück. Wildersinn muss zeigen, ob er das Team auch zu Titel und Aufstieg pushen kann. Auf sich aufmerksam gemacht hat der 42-Jährige ohnehin. Sein Vertrag läuft zum Saisonende aus. Auch das könnte noch ein Thema werden, das die Kickers irgendwann beschäftigt.
Die Vorbereitung
Wann ist eine Vorbereitung gelungen? Zunächst einmal sollten größere Verletzungen ausbleiben, wird jeder Trainer sagen. Die sind bei den Kickers ausgeblieben. Dann geht es darum, die Neuen ans Team heranzuführen. Auch da scheinen die Rothosen auf dem richtigen Weg zu sein. Also alles in Butter? Dass bei den Härtetests gegen Regionalligist Erfurt (2:2) sowie gegen die Drittligisten Ulm (1:2) und Mannheim (1:3) keine Siege gelangen, mag als kleiner Stimmungsdämpfer gelten, hat aber auch die Sinne geschärft. Vor allem an der Effizienz muss das Team weiter arbeiten.
Deutlich zu erkennen ist indes, dass die Kickers fußballerisch die gleichen Mittel wählen wollen, wie in der Vorsaison. 4-3-3 lautet weiterhin die Aufstellung der Wahl, statt lange Bälle will Wildersinn weiter lieber gefälliges Passspiel sehen.
Das Umfeld

Der neue Anteilseigner Dominik Möhler musste nach seinem Einstieg im Winter schon so manches Finanzloch stopfen. Die Kosten wurden durch Personaleinsparungen im administrativen Bereich und den Umzug des Profiteams von den gemieteten Trainingsplätzen in Randersacker auf das Vereinsgelände auf der Sieboldshöhe gesenkt.
Ein Zuschussgeschäft bleibt der Profi-Betrieb für Möhler trotzdem. Inzwischen ist mit André Herber ein Geschäftspartner des Hauptgeldgebers als Vorstandsvorsitzender für die Profi-Abteilung verantwortlich. Noch immer belastet manche Altlast das Gesamtbudget. Am Budget für die Spieler wurde jedoch nicht geschraubt, wie sich an der Zusammensetzung des Teams erkennen lässt. Vom Erfolg dieser Saison wird abhängen, welchen Weg die Kickers im nächsten Jahr gehen.
Die Prognose
Wer, wenn nicht die Kickers? Wann soll die Drittliga-Rückkehr noch gelingen, wenn nicht jetzt? Die Rothosen sind zurecht Topfavorit und scheinen diese Rolle auch annehmen zu wollen. Entscheidend wird sein, wie das Team mit der Drucksituation umgeht und ob es sich schneller von Rückschlägen erholt als im vergangenen Frühjahr, als die Kickers mit einigen schwachen Leistungen nach dem Neustart ihre Meisterschaftschancen verspielten. Eine Erfahrung, die das Team zusammenwachsen ließ. Die Meisterschaft muss diesmal das Ziel sein. Vor dem Aufstieg stünde dann freilich noch ein Kräftemessen mit dem Regionalliga-Meister aus dem Norden.
