
Der Blick ist atemberaubend. Christoph Henneberger genießt ihn ausgiebig, den Moment muss er festhalten: in Gedanken natürlich – und auch als Panoramafoto auf seinem Smartphone. Im Hintergrund verschwindet die 13-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul am Horizont. Nirgends in der Türkei leben mehr Menschen so dicht beisammen. Keine zweite Stadt der Welt befindet sich auf gleich zwei Kontinenten. Henneberger zeigt auf die Bosporus-Brücke, die mit ihrem an Stahlseilen gespannten Bogen Europa und Asien verbindet. Istanbul aber, so scheint es, will nicht enden. Unfassbar groß, alles dicht bebaut, Haus an Haus. Einzig das Nordufer das Marmarameeres setzt dieser Stadt auf den ersten Blick eine Grenze.
„Unglaublich“, sagt Henneberger (28) der seit der Geburtsstunde der s. Oliver Baskets Würzburg vor etwas mehr als fünf Jahren mit dabei ist. Der Würzburger hat die rasante Reise mitgemacht, von der Regionalliga hinauf in die Basketball-Bundesliga. Jetzt steht er, das Baskets-Urgestein, auf der Fähre von Yenikapi nach Yalova in die Provinz Balisikir, wo für die Baskets an diesem Mittwochabend beim BK Banvit Bandirma (ab 17.55 Uhr live bei TV touring) der zweite Auftritt im EuroCup-Wettbewerb ansteht.
Mehr als 13 Stunden Anreise
„Unglaublich“, wiederholt sich Henneberger. Er meint die Hagia Sophia, die Moschee, das UNESCO-Weltkulturerbe. Er könnte aber auch über seinen Klub reden, der tatsächlich erstmals für ein Pflichtspiel in Europa unterwegs ist. Früh um fünf beginnt der Tag bei einem Grad unter Null am Würzburger Dallenbergparkplatz, ein 74,5 Tonnen schwerer Lufthansa-Airbus des Typs A321 bringt den 17-köpfigen Baskets-Tross von Frankfurt nach Istanbul. Über München wird Rührei mit Käse, Spinat und Tomatensoße serviert, mit einer halben Stunde Verspätung kommt Flug LH 1298 in der Türkei bei knapp 20 Grad über Null und leichter Bewölkung an. Ab in den Bus, rauf auf die Fähre, rein in den Bus, raus ins Hotel. Am Abend, nach mehr als 13 Stunden Anreise, hat Würzburgs Trainer Marcel Schröder in der Kara Ali Acar Halle, die 3000 Zuschauer fasst und schon jetzt mit ihrer Enge andeutet, was da am Mittwochabend während des Spiels los sein kann, ein Training angesetzt. „Basketball ist hier eine echte Nummer“, sagt Schröder, „und mit den bekannt türkischen Emotionen kann das hier durchaus eine Hölle werden.“
Der türkische Kontrahent, der in dieser Sporthalle daheim ist, hat einen ähnlich rasanten Aufstieg hinter sich, seit er 1994 als eine Art Betriebssportgruppe von Arbeitern des Fleischverarbeitungs-Unternehmens Banvit gegründet wurde. Der Name ist geblieben, aber seit über zehn Jahren sind Profis am Werk – bezahlt von Banvit, das vornehmlich Geflügel- sowie Rindfleisch zerlegt und vermarktet. In den vergangenen drei Jahren stand der Klub aus der über 120 000 Einwohner zählenden Hafenstadt Bandirma dreimal in Serie im Play-off-Halbfinale um die türkische Meisterschaft, seit 2005 spielt Banvit ununterbrochen auf europäischem Parkett. In der abgelaufenen Saison erreichte das Team von Trainer Ene Orhun im EuroCup-Wettbewerb die Runde der besten 16 Teams.
Bandirmas starke Einzelspieler
Während die Würzburger vor acht Tagen überraschend den ukrainischen Vertreter aus Mariupol mit 81:77 besiegt hatten, verlor der aktuelle Tabellenvierte der türkischen Liga (vier Siege, eine Niederlage) beim FC Valencia mit zehn Zählern Differenz. „Bandirma ist ein Team mit sehr starken Einzelspielern, die reichlich Erfahrung in europäischen Wettbewerben haben“, weiß Marcel Schröder. Er meint etwa den früheren türkischen Nationalspieler Serkan Erdogan (34) oder Kenan Bajramovic. Der 31-Jährige aus Bosnien-Herzegowina verdiente seine Brötchen zuvor schon in Litauen und Italien und spielte auch schon für ALBA Berlin in der Bundesliga. In Valencia war der US-Amerikaner Chuck Davis mit 16 Punkten bester Werfer der Türken, sein Landsmann Kalin Lucas brachte es auf zehn Zähler. Dritter Amerikaner im Bunde bei Banvit ist Kapitän Keith Simmons. „Wir werden versuchen, unser Spiel zu machen“, sagt Schröder, „der aggressiv verteidigen“ lassen will. „Denn sonst kann es ganz schwer werden, gegen diese individuelle Klasse.“
Bei der europäischen Auswärtspremiere der s. Oliver Baskets weiß Schröder um die Reisestrapazen: „Wir müssen mit unseren Kräften haushalten und werden womöglich mehr Spielern von der Bank Einsatzzeit geben, um Alternativen zu haben.“ Möglichst schnell fit für die Bundesliga sollen die Baskets-Akteure Chris McNaughton und Maximilian Kleber werden. Die beiden machen beim Türkei-Abenteuer nicht mit, sondern arbeiten daheim in Würzburg weiter an ihrem Comeback. Der Fokus, so sagt Schröder, gelte dem Geschehen in der Bundesliga, wo am Samstag das Gastspiel in Hagen ansteht.
Für diesen einen Moment aber hat sich der Fokus bei Henneberger verschoben. Im Hintergrund verschwindet die 13-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul am Horizont. Unglaublich.