Wenn Junadi Manaev die Matte betritt, gibt es kein zurück, nur den Sieg. „Junadi ist ein Kämpfertyp“, sagt Trainer Uwe Werner. „Und er ist mit seinen Fähigkeiten in unserer Mannschaft eine Ausnahmeerscheinung.“ Keiner konnte den 21-Jährigen bisher bezwingen. Sechs Gegner hat Manaev schon niedergerungen, seitdem er mit den Unterdürrbacher Landesliga-Ringern trainiert und an der Runde teilnimmt.
Im Juli ist er plötzlich in der Halle aufgetaucht, hatte ein paar notdürftig getapte Turnschuhe dabei und wollte ringen. Daran erinnert sich Werner noch gut. Neue, freilich gebrauchte Schuhe und ein Trainingsdress waren schnell gefunden. „Dass er was kann, war uns sofort klar“ – der Sport ist die gemeinsame Sprache. Lesen konnte der Asylbewerber Manaev das deutsche TVU-Hinweisschild am Kreisverkehr in Unterdürrbach nicht, doch die darauf abgebildeten Ringer erkannte er sofort und folgte dem Weg zum Training.
Auf der Matte braucht man kein Russisch oder Deutsch, sagt Trainer Werner: Einfach vormachen, direkt anpacken – mehr sei nicht nötig. Und Stück für Stück versucht der Tschetschene ein bisschen mehr Deutsch zu verstehen. Ein steiniger Weg, aber auch den will er nehmen. „Die Jüngeren können sich ganz viel von seiner Erfahrung abschauen, sich an ihm hochziehen“, sagt Werner, „Junadi will Teil von uns sein. Er ist es auch.“ In komplizierteren Fällen springen freilich Mannschaftskollegen als Dolmetscher ein, die ebenfalls aus Tschetschenien oder anderen russischsprachigen Gebieten stammen.
Seit Mai leben Manaev und seine kleine Familie in Deutschland, zunächst in der Erstaufnahmestation in Zirndorf (Lkr. Fürth) und seit Juli in der Gemeinschaftsunterkunft in der Veitshöchheimer Straße in Würzburg, unweit der TVU-Halle. In einem gemeinsamen Zimmer wohnt er in der ehemaligen Kaserne mit seiner Frau Shamat (21) und den Kindern Suliman und Sulim, erzählt Manaev. Spontan ist ihm für den Pressetermin ein Dolmetscher zur Seite gesprungen.
Die unsicheren Verhältnisse in seiner Heimat nahe der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und die Angst um seinen zweijährigen Sohn Suliman trieben die Familie nach Deutschland. Kein Arzt konnte Suliman zu Hause mit seiner undefinierten Knochenkrankheit helfen. Inzwischen turnt der Kleine wieder quietschfidel über die ausgelegten Matten.
Drei Mal pro Woche kommt Manaev mit dem Fahrrad von der Gemeinschaftsunterkunft zur Sporthalle des TVU gefahren. „Er hat sich super integriert, ist immer bei den Essen nach den Wettkämpfen dabei“, sagt Werner. „Wir haben wahnsinniges Glück, dass wir ihn haben.“ Schon in Zirndorf hatte sich Manaev dem dortigen Ringerverein angeschlossen. Mit Worten ausdrücken kann er (noch) nicht, was ihm der Sport bedeutet. Ein Stückchen Heimat in der Fremde vielleicht. Oder ein Stückchen Bestätigung in dem Land, in dem er bisher keine Arbeitsgenehmigung hat.
„Es kommen immer wieder Asylbewerber aus der Gemeinschaftsunterkunft zu uns“, sagt Dagmar Hemmerich, stellvertretende Vorsitzende des TVU. Integration gehöre zu den selbst gesteckten Zielen des Vereins. Manchmal bricht allerdings der Kontakt jäh ab, wenn die Sportler nicht mehr zum Training erscheinen. Was aus ihnen geworden ist? Weder Werner noch Hemmerich können das mit Sicherheit sagen. Die Abschiebe-Realität hinterlässt bittere Lücken.
Mit 14 begann Manaev mit dem Ringen. Um einiges anstrengender sei das Training in Deutschland mit den regelmäßigen Krafteinheiten. Die deutschen Gegner dafür meistens schwächer. Im Kaukasus ist Ringen Traditionssport. Wenn er der Tradition treu bleiben möchte, bleibt Manaev keine Wahl: Den nächsten Wettkampf will der 82-Kilo-Mann gewinnen – ganz egal, ob der Gegner 84 oder 96 Kilogramm wiegt. Für Manaev hat der Kampf seines Lebens begonnen – der um eine Aufenthaltsgenehmigung.