
Als die Cricket-Mannschaft des TSV Lengfeld sich am Samstagmittag am Rande des Spielfelds versammelte, war die Stimmung ausgelassen. Das Team bekam keine 24 Stunden vor dem schwierigen Auswärtsspiel gegen den FC Bayern München neue Trikots überreicht. Keine Selbstverständlichkeit in einer Sportart, die hierzulande komplett unter dem Radar läuft. Ein indisches Restaurant aus Estenfeld ließ die neue Spielkleidung springen. Inhaber Goverdhan Gopal ist selbst Cricket-Fanatiker und wird die Mannschaft künftig auch trainieren.
Es war für die 2016 gegründete Abteilung (eine von insgesamt nur drei Cricket-Teams in Unterfranken) auch irgendwie ein Zeichen: Es geht weiter! Eine vielleicht absolut überfällige Motivationsspritze für die gebeutelte Mannschaft. Nach dem Abstieg aus der Bundesliga müssen die Lengfelder seit diesem Jahr in der Regionalliga ran. Die Mission Wiederaufstieg, die man so gerne mit vollem Elan angenommen hätte, erfuhr im Verlauf des bisherigen Jahres aber weitere Rückschläge. Zahlreiche Spieler, darunter sportliche Leistungsträger, waren sprichwörtlich über Nacht weg. Weit weg.
Spieler sind von heute auf morgen weg
Das Gros des Teams besteht aus afghanischen Flüchtlingen, die ab 2015 nach Deutschland kamen. Immer wieder kommt es seither dazu, dass Spieler abgeschoben werden oder sich selbst auf dem Weg in andere europäische Länder machen, in denen sie für sich bessere Perspektiven sehen. 45 Spieler aus der Cricket-Hochburg Afghanistan waren es einmal, berichtet Abteilungsleiter Wolfgang Merz. Davon sind heute nur noch 15 im Verein. Aus dem letztjährigen Kader wanderten in letzter Zeit viele in Richtung Frankreich und Belgien ab. Bedrückende Umstände für alle Beteiligten. "Das ist der Psyche der Leute, aber auch der Politik geschuldet", versucht Merz die Situation aufzudröseln: "Manche bekommen keine Arbeitserlaubnis mehr. Die wandern dann ab in ein anderes Land, in der Hoffnung, dass sie dort weiterkommen." Mit vielen seiner ehemaligen Spieler steht er heute noch in Kontakt. "Das läuft völlig unkontrolliert ab, wenn meine Spieler das Land verlassen. Die sind von heute auf morgen weg."
Was aus ihnen geworden ist, erfährt Merz oft erst viel später über seine verbliebenen Spieler. Vize-Kapitän Isakhaan Zazai erzählt, dass alle in ständiger Angst leben, dass einer von ihnen "morgen oder übermorgen abgeschoben wird." Cricket hilft den jungen Männern ihr Leben zu bewältigen. "Wenn wir auf dem Feld stehen, vergessen wir für ein paar Stunden alles, was hinter uns liegt. Da zählt nur, das Spiel zu gewinnen und hinterher dann hoffentlich gemeinsam den Sieg zu feiern", umschreibt Zazai die Bedeutung des Sports für ihn und seine Mitspieler, die für ihn längst zu guten Freunden geworden sind.
Neben den menschlichen Schicksalen, die alle in der Abteilung beschäftigen, schlägt sich die fortwährende Abwanderung von Spielern natürlich auch auf das sportliche Leistungsvermögen nieder. Zazai, der derzeit eine Ausbildung als Elektronik- und Betriebstechniker absolviert, trauert etwas der Bundesliga hinterher. "Wir hätten das eigentlich geschafft", ist er sich sicher, wäre der Kader nicht während der Saison arg dezimiert worden.

Aber der Blick geht nach vorne. Ab Juni durften Zazai und Co. wieder das Training aufnehmen, auch der Spielbetrieb lief kurz darauf wieder an. In der coronabedingten Pause versorgte Zazai seine Teamkollegen mit selbstgedrehte Videos, in denen er Cricket-Übungen zeigte, die jeder problemlos alleine durchführen konnte. Im kontaktlosen Cricket nur wenige Vorkehrungen zu treffen, um auch während der Pandemie wieder in den Wettbewerb einsteigen zu können. Der Spielmodus wurde vom Verband von T 40- auf T 20-Turniere angepasst. Kurz gesagt heißt das: jede Mannschaft hat sechsmal 20 Würfe, anstatt wie sonst sechsmal 40. Das sparrt Zeit und ist somit kompatibler in der derzeitigen Lage.
In einer Vierergruppe mit Erlangen, Nürnberg und Schweinfurt – als Ersatz für die abgesagte Hauptrunde – konnte sich der TSV Lengefeld als Zweiter für die Endrunde qualifizieren. "Die Gegner sind meist erfahrener als wir", erzählt Merz: "Aber wir sind stark. Wir sind jung und mittlerweile ein schön durchgemischtes Team."
Verrückt nach Cricket
Für frischen Wind im Team sorgten der ein oder andere Neuzugang, wie zwei indische Studenten von der Würzburger Hubland-Uni sowie Deutsche mit indischen und pakistanischen Wurzeln aus Kürnach und Kitzingen. Einer der Studenten ist Praveen Kumar Rai. Ein 28-Jähriger, der schon immer verrückt nach Cricket war. Angekommen in Würzburg, entdeckte er schnell über die sozialen Medien, dass es beim TSV Lengfeld ein Team gibt. In Unterdürrbach spielt er zudem noch Badminton. "Für mich ist es sehr wichtig, dass ich auch hier weiter Cricket spielen kann", sagt er.
Die Bundesliga-Rückkehr ist der neuformierten Truppe im ersten Jahr nach dem Abstieg erst einmal nicht geglückt. "Alle Träume geplatzt", sagte Merz am Sonntagabend nur kurz und knapp. Das KO-Spiel in München ging mit 62:122 verloren, womit die Saison 2020 für den TSV, mit all ihren widrigen Umständen, ihr Ende findet.
