Jan Christian Müller, Fußballchef der „Frankfurter Rundschau“, ist anzuhören, wie ihn die Geschehnisse der vergangenen Nacht mitgenommen haben. Wie so oft zuvor war der Reporter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gefolgt, diesmal nach Paris zum Länderspiel im Stade de France gegen Frankreich.
Jetzt sitzt er im TGV, der ihn zurückbringen soll nach Frankfurt. „Paris wirkt wie eine Geisterstadt“, sagt Müller im Telefongespräch am Samstagvormittag, „die Straßen sind leer“. Am Gare de l’est, dem Bahnhof, sah er eine große Zahl an Militärkräften mit Maschinenpistolen. Wie nervös die Lage in der Stadt noch ist, zeigt das kleine Beispiel: Das Foto, das Müller mit seinem Handy vom Militär machte, musste er umgehend löschen.
Hinter dem Sportreporter liegt eine Nacht, die der Familienvater wohl nie vergessen wird. „Natürlich haben wir im Stadion gehört, wie es zweimal kurz hintereinander geknallt hat“, erzählt Müller. Aber wie das so ist als Reporter. „Man muss funktionieren.“ Schnell richten sich die Augen wieder auf das Spielfeld, mit dem Schlusspfiff muss der Text fertig sein für die Redaktion daheim in Frankfurt.
Erst nach der Pause erfahren die Sportreporter auf der Tribüne von den schrecklichen Geschehnissen, die sich unweit des Stadions zutragen und dabei sind, um die Welt zu gehen. Nach dem Schlusspfiff ist die Lage zunächst undurchsichtig: Der DFB stuft die Sicherheitslage als gefährlich ein, Mannschaft, Verantwortliche und Journalisten, die den Trip über das DFB-eigene Reisebüro gebucht hatten, bleiben im Stadion. Müller war mit Kollegen der „Stuttgarter Zeitung“, dem „Stern“, des „Kölner Stadtanzeigers“ selbst unterwegs. Gegen 1 Uhr entschied sich die Gruppe, sich auf den Rückweg ins Hotel in der Innenstadt zu machen. „Wir hatten sogar erwogen, die sieben Kilometer zu Fuß zu gehen“, erzählt Müller. Aber dann kam schließlich doch einer der Vorortzüge, die die Gruppe aus dem Stadtteil St. Denis zum Gare du nord brachten.
Die Angst fuhr mit. Sie wollten über Fußball berichten, und plötzlich schreiben sie übers Sterben. Übers Sterben in jenem Ausgehviertel von Paris, in dem sie selbst am Vorabend noch gesessen und gelacht hatten. Jan Christian Müller kann nicht schlafen. Er fasst seine Erlebnisse, seine Gefühle in einem ersten Bericht zusammen, den die „Frankfurter Rundschau“ am Samstagmorgen online stellt.
Er nennt den Artikel „Die traurige Nacht von Paris.“ Der Reporter des „Stern“ wird bleiben, soll für das Magazin weiter die Geschehnisse in der französischen Hauptstadt beschreiben. Müller steigt nach dem Frühstück in den Zug nach Deutschland. Er sagt, er würde immer noch etwas zittern.