„Verdammt lang her“ – das ist der Titel unserer 20-teiligen Serie, in der wir große Sportlerinnen und Sportler von einst zum Interview gebeten und mit ihnen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geplaudert haben. Im neunten Teil kommt Rudi Cerne zu Wort, von dem nicht mehr alle Fernseh-Zuschauer wissen, dass der 53-Jährige vor seiner Zeit als ZDF-Moderator ein guter Eiskunstläufer war: In seinem stärksten Jahr (1984) war er Olympia-Vierter in Sarajevo, WM-Fünfter in Ottawa sowie EM-Zweiter in Budapest.
Rudi Cerne: Mit Krimis und mit Western bin ich groß geworden. Bonanza, Rauchende Colts, Straßen von San Franzisco. Bei solchen Sendungen hing ich regelmäßig vor der Glotze, wenn es die Zeit erlaubte. Mein Vater hat mich nämlich schon mit sechs Jahren aufs Eis gebracht. Er war Jahrgang 1920. Was er gesagt hatte, war eine Art Gesetz. Und als Eiskunstläufer war er selbst ziemlich begabt, ist allerdings mit 22 Jahren mit nur einem Bein aus dem Krieg wieder nach Hause gekommen. Ich bin das dritte von drei Kindern, und irgendwann hat er mich dann aufs Eis gestellt um das fortzuführen, was ihm verwehrt blieb. Auch wenn Sie sich wundern, ich bin ihm sehr dankbar dafür, obwohl er auch sehr streng war. Vor kurzem habe ich alte Filmaufnahmen entdeckt, wie er 1938 auf dem zugefrorenen Rhein-Herne-Kanal Schlittschuh lief. Der Mann hatte echtes Talent und wäre wahrscheinlich besser geworden, als ich es jemals war.
Cerne: Sehr, weil das eine sehr sehr trainingsintensive Sportart ist, mit der man früh beginnen muss. Ich höre oft von Sportlern, die in der Jugend Handball gespielt und dann zum Hochsprung gewechselt sind. Im Eiskunstlaufen geht das nicht, weil es auf einem anderen Medium stattfindet, auf glatten Eis, und da müssen sich Bewegungsabläufe ganz früh einprägen, quasi wie ein Reflex automatisiert werden, zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr. Eiskunstlaufen heißt auch, in den Sommerferien morgens um sieben Uhr auf dem Eis zu stehen und Kringel zu ziehen. Früher waren das Pflichtfiguren. Eigentlich ist das irre. Bei mir haben sich aber Erfolge recht schnell eingestellt. Mit elf Jahren war ich schon deutscher Juniorenmeister. Dann habe ich richtigen Ehrgeiz bekommen und einfach so weitergemacht.
Cerne: Überhaupt nicht. Die Leute im Ruhrgebiet sind aufgeschlossen. Vor allem gegenüber Sportarten, die ihnen exotisch erscheinen. Ich habe auch die Robin-Hood-Hosen nie angezogen, das war nicht mein Fall. Kleidung musste bei mir schon immer dezent sein.
Cerne: Das hat mir die Gewöhnung im späteren Leben sehr erleichtert. Auch im Journalismus erhält man selten eine objektive Bewertung. Was dem einen Leser gefällt, muss der andere längst nicht mögen. Die Fakten müssen stimmen, der Rest ist eine Frage des Stils und Geschmacks – das geht bekanntlich auseinander. Und wenn es dem Chef nicht gefällt, hast du Pech gehabt. Von daher war das sogar die beste Voraussetzung für meinen jetzigen Job. Ich sehe mich nicht ein einziges Mal als Opfer schlechter Bewertungen, und am Ende habe ich genau das gekriegt, was ich gewollt habe: eine Medaille bei Europameisterschaften.
Cerne: Das war damals saublöd. Ich lag bis zum letzten Läufer noch auf Platz drei. Dann läuft Josef Sabovcik die Kür seines Lebens und schmeißt mich auf den vierten Platz. Ich stand an der Bande und habe mir gedacht: Die Siegerehrung ist eh gleich vorbei. Ich habe also versucht, das Gute für mich aus der Situation rauszuziehen. Und im Nachhinein: Ich habe einen tollen Vertrag bei 'Holiday on Ice' bekommen. Wenn ich Dritter geworden wäre, wäre ich vielleicht noch länger beim aktiven Wettbewerbs-Sport geblieben und hätte nie meinen Weg in den Sportjournalismus gefunden.
Cerne: ARD und ZDF haben ihre Verträge bis zur letzten Sendeminute erfüllt. Fakt ist, dass die Einschaltquoten nicht mehr die waren wie zu den besten Zeiten, beispielsweise eines „Team Telekom“. Durch die Dopingproblematik haben viele Zuschauer dem Radsport den Rücken gekehrt. Unsere Sinne sind geschärft. Irgendwie habe ich seit einiger Zeit selbst eine Art Schere im Kopf, nach dem Motto: Warte doch erst mal ab, was die Dopingprobe bringt, ob diese tolle Leistung auch morgen noch Bestand hat. Eine merkwürdige Entwicklung. Da hat sich der Sport auch ein Stück weit selbst geschadet.
Cerne: Genauso war es. Mich hat Hans Janke, damals Fernsehspielchef beim ZDF, angerufen. Ich dachte erst, irgendwann kommt jetzt Frank Elstner mit der versteckten Kamera aus dem Busch. Aber es war schnell klar, dass es den Herrschaften sehr ernst war – inzwischen bin ich zehn Jahre dabei.
Cerne: Da haben auch Zufälle eine Rolle gespielt. Ich hatte damals Andrea Kiewel beim Fernsehgarten vertreten und im Rahmen dieser Sendung gab es eine Hundestaffel von der Samariter-Unfallhilfe. Ich habe die Hundeführerin gefragt, wann ihr Hund zuletzt im Einsatz war. Sie antwortete: Als die kleine Julia bei Gießen gefunden wurde. Ein Mädchen, das entführt, sexuell missbraucht und verbrannt wurde. Ein ziemlicher Kontrast in einer durchweg fröhlichen Sendung. Mir erschien das als Fingerzeig. Dann habe ich Eduard Zimmermann angerufen und zugesagt.
Cerne: Der Fall eines Mädchens aus Cuxhaven, das nur acht Jahre alt wurde. Opfer eines Sexualstraftäters. Sie kam von der Schule nach Hause, hatte ihren Schlüssel vergessen und vor dem Elternhaus gewartet. Dort hat sie der Täter mitgenommen, später missbraucht und ermordet. Die kleine Darstellerin war dem Mädchen wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Fall konnte später aufgeklärt werden.
Cerne: Wenn man die Straftaten sieht, mit denen ich zu tun habe, relativiert sich vieles. Es gibt mir eine gewisse Gelassenheit gegenüber einem zu frenetischen Jubel, weil Sport nach wie vor eine fantastische, aber nur die schönste Nebensache der Welt ist.
Cerne: Man muss in der aktuellen Weltspitze sicher einen Vierfach-Sprung im Repertoire haben, das hatte ich nie. Aber der dreifache Axel war damals schon der Königssprung – und ich war einer der ersten, die ihn gesprungen haben.
Cerne: Den Blick hinter die Kulissen habe ich gar nicht. Ich kenne Aljona Savchenko und Robin Szolkowy recht gut von den Meisterschaften. Ein faszinierendes Paar. Da Eiskunstlaufen aber nicht mehr so häufig im Fernsehen vorkommt, bin ich auch nicht mehr so nah dran. Meine Sportart liegt, ebenso wie Tennis, leider nicht mehr so im Trend. Die Einschaltquoten führen uns das gnadenlos vor Augen. Da ist der Zuschauer der Preisrichter. Und wenn der keine 5,8 zieht, sondern eine 3,4, ist das die Quittung.
Rudi Cerne
Geburtsdatum: 26. September 1958 in Wanne-Eickel.
Wohnort: Rodenbach bei Hanau.
Familienstand: verheiratet, eine Tochter.
Beruf: Fernsehmoderator.
Sportliche Laufbahn: 1964 Beginn als Eiskunstläufer beim Herner EV, 1984 Rücktritt, danach Profi bei der Eisrevue „Holiday on Ice“.
Erfolge: 1984 EM-Silber in Budapest, Platz vier bei Olympia in Sarajevo und Platz fünf bei der WM in Ottawa, 1978 und 1980 deutscher Meister.
Beruf: zunächst freier Mitarbeiter bei WDR und HR; Abbruch der Ausbildung zum Eiskunstlauftrainer; ab 1992 Moderator von ARD-Sportsendungen; 1996 Wechsel zum ZDF; 1999 bis 2006 Moderation „Aktuelles Sportstudio“; seit 2002 Moderator der Fahndungssendung „Aktenzeichen XY“, durch die er am 11. Januar zum 120. Mal führen wird.