An der ganz großen Gelegenheit auf einen versöhnlichen Abschluss der olympischen Fechtwoche haben die Florettmänner am Sonntagabend dann doch knapp vorbeigestochen, infolge einer dreifach hintereinander gegen sie getroffenen Kampfgerichts-Entscheidung: Zwar holten sie mit Bronze immerhin noch eine zweite Medaille für die Klingenkünstler, nachdem die Degenfrauen um Britta Heidemann am Samstagnachmittag mit Platz fünf im Teamwettbewerb enttäuscht hatten. Aber die deutschen Fechter waren mit höheren Erwartungen über den Kanal geflogen. „Durch dieses Bronze kommen wir mit einem blauen Auge davon“, erklärte ihr (offiziell noch zu bestätigen) künftiger Sportdirektor Sven Ressel aus Tauberbischofsheim: „Zwei Medaillen waren unser Mindestziel, bei zweien aber davon eine in Gold.“
Dieses Gold gab es indes nach zwei güldenen Plaketten 2008 in Peking diesmal nicht, sondern bloß besagte finale Bronzemedaille der Florettmänner nebst Silber für Britta Heidemann im Degen-Einzel. Wahrlich, da wäre mehr gegangen, wie es auch Ressel bewertete: „Eigentlich hatten wir in London eine stärkere Équipe als in Peking. Aber vor allem die Säbeljungs haben irgendwie nicht an sich geglaubt, sie wirkten, als hatten sie aufgrund des olympischen Drucks mentale Probleme. Und die Britta hatten wir, wenn ich ehrlich bin, als Beste gar nicht so sehr auf der Rechnung.“ Vor allem der doppelte K.o. des als Überflieger gehandelten Nicolas Limbach traf Ressel unerwartet. „Der Stachel sitzt extrem tief“, sagte er: „Da gibt es reichlich aufzuarbeiten für uns.“
Überfordertes Kampfgericht
Ohne die Florettmänner wäre der Frust also noch größer gewesen im nationalen Fechterlager. „Ach herrje, ich kann Ihnen sagen, was sich hier wieder für Dramen abspielen“, seufzte ARD-Fechtexperte Michael Drevenstedt bei der Livestream-Übertragung des Halbfinales der deutschen Florettmänner in voller Länge. Denn nur sechs Tage nach dem einstündigen Wirrwarr um Britta Heidemann kam es erneut zum dreifachen Video-Entscheid eines peinlichen und überforderten Kampfgerichts.
Zu viel Videobeweis kann auch von Schaden sein – für die Deutschen war er‘s jedenfalls, und vielleicht war's die Rache für Britta, wo die Sache umgekehrt ausgegangen war: Beim Stande von 40:40 des letzten Kampfs von Peter Joppich gegen den Japaner Yuki Ota ging es einmal mehr in den „sudden death“, diesen nervenraubenden Fight um den alles entscheidenden, letzten Punkt. Zweimal traf Joppich, zweimal drehte er jubelnd ab, zweimal musste er innehalten, zweimal galt der Treffer nicht. Dann trafen im dritten Anlauf beide Athleten fast gleichzeitig, der Punkt freilich ging an Japan, das damit den Deutschen möglicherweise zu Unrecht das Wunschfinale gegen Italien weggeschnappt hatte. Nicht nur Joppich ärgerte sich nach der 40:41-Niederlage mächtig und fühlte sich klar betrogen: „Das waren zwei ganz klare, korrekte Treffer von mir. Und das hat jeder gesehen.“
Im Finale wär's trotzdem womöglich auf Silber hinausgelaufen. Denn Italien gewann es gegen den Deutschland-Bezwinger erwartungsgemäß deutlich mit 45:39 und sicherte sich als beste Fecht-Nation sein drittes Gold, die insgesamt siebte Fechtmedaille, was Sven Ressel nicht wundert. „Die Italiener haben Bedingungen und Gelder, zumindest derzeit noch, von denen wir träumen. Jeder Athlet bekommt nach der Karriere einen Trainerjob oder eine gehobene Stelle in der Verwaltung zugesichert. Solche Sportler treten anders auf, weil sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.“
Den Kampf um Bronze gegen die USA vier Stunden nach dem Ärger um den wohl zu Unrecht erlittenen „plötzlichen Tod“ gingen die Bonner Kumpels Peter Joppich, Benjamin Kleibrink und Sebastian Bachmann aus dem Stall von Bundestrainer Uli Schreck dann jedoch so konzentriert und entschlossen an, dass sie rasch ausreichend hoch in Führung lagen. Vom ersten Moment an stellten sie ihren unbedingten Willen auf die Medaille dominant klar – vorbildlich angefeuert von André Weßels, der als nicht eingesetzter Ersatzmann den strengen Regeln gemäß keine eigene Medaille erhalten hätte, wäre er im siebten der neun Duelle nicht für den bis dato stark auftrumpfenden Bachmann eingewechselt worden, um einen nötigen Punkt zu landen. Bachmann war im Übermut bei einem Angriff von der Hochbahn gestürzt, kehrte aber schon zur Siegerehrung mit einem Strahlen aber an Krücken aufs Podium zurück.
Schöne Nebenstory für Weßels
Es waren exakt 15 Sekunden, die Weßels ihn in der Fechterstafette zu vertreten hatte, in denen er prompt den einen von ihm erwarteten fälligen Treffer zum 35:21-Zwischenstand setzte – und sich seine Bronzemedaille so auch formal vollendet verdiente. „Damit geht ein Kindheitstraum in Erfüllung“, freute sich der 30-jährige Westfale, der einst auch mal Tauberbischofsheim angehört hatte und mit seinem wertvollen Kurzeinsatz die schönste Nebenstory des Sonntags schrieb. 2002 war er als Newcomer bei der WM in Lissabon Team-Weltmeister und im Einzel Vize-Weltmeister gewesen. Dann ging es mit ihm plötzlich ab- statt weiter vorwärts. Doch gab er nicht auf und kämpfte sich über die Jahre mit ungeheurer Zähigkeit und neuer Ernsthaftigkeit noch mal zurück. „Ich war auf diesen Moment ja vorbereitet. Aber trotzdem war es ein Riesenschock, als der Bundestrainer zu mir sagte, André, los, geh' rein, hol' das Ding nach Hause!“
Fast war es schade, dass dieser überragende coole Fight mit einem verdienten Endstand von 45:27 ganz am Ende der zehn Londoner Fechtwettkämpfe stand, womöglich hätte er das restliche Team vorangetragen. „Wir waren im Bronze-Kampf klar überlegen, zum Glück. Jetzt ist es halt so, nicht mehr zu ändern. Aber nach dem definitiven Betrug im Halbfinale hatten wir erstmal die vier Stunden Pause gebraucht, um runterzukommen“, erzählte Benjamin Kleibrink: „Darüber werden wir noch lange nachdenken.“