Joshua Kimmich hat bei einem großen Turnier endlich mal wieder Spaß. Der ehrgeizige Bayern-Profi, der bei den drei Murks-Turnieren von 2018 bis 2022 als Anführer einer neuen Spielergeneration stets ein Gesicht des deutschen Misserfolgs war, steht mit der Fußball-Nationalmannschaft im EM-Achtelfinale gegen Dänemark.
Auch wenn sich seine Rolle auf dem Platz verändert hat, könnte sich im 30. Lebensjahr Kimmichs so sehnlicher Wunsch nach einem Turnier, das seinen Ansprüchen gerecht wird, erfüllen.
Kimmichs gute Laune erleben auch die Teamkollegen im EM-Quartier. Ein Video auf Instagram zeigt ihn in der Dunkelheit am Swimmingpool. „Genauso wie du bist, jetzt Köpfer rein”, ruft Robert Andrich im Stile eines Animateurs im All-Inclusive-Urlaub. Der angesprochene Kimmich schaut kurz, übergibt dann sein Handy, geht die paar Schritte zum Beckenrand und springt tatsächlich im Trainingsanzug kopfüber ins Wasser.
„Ey Junge, du bist doch nicht ganz dicht”
Begleitet vom Gelächter einiger Kollegen und Andrichs Kommentaren schwimmt Kimmich im Bruststil die wenigen Meter zur anderen Beckenseite. „Ey, das ist ein Wahnsinn, Junge. Du bist doch nicht ganz dicht”, kommentiert ausgerechnet der Anstifter Andrich die Szene.
Ähnlich spektakuläre Aktionen sind Kimmich in den EM-Stadien noch nicht gelungen, auch wenn er beim 1:1 gegen die Schweiz nah dran war. „Ich hatte in der zweiten Halbzeit noch die beste Chance mit dem Linksschuss”, sagte Kimmich selbst. Fast wäre ihm in seinem 89. Länderspiel der siebte Treffer gelungen. Aber sein Schuss wurde geblockt. Kimmich musste mit dem Jubeln bis zur Nachspielzeit warten, als Niclas Füllkrug traf.
„Es war ein bisschen zäher, wir waren nicht so gefährlich”, analysierte Kimmich nach dem Schlusspfiff. „Wir waren über 90 Minuten nicht ganz so zwingend.” Das führte er auch auf den trockenen Platz im Frankfurter Stadion zurück, der das Fußballspiel langsam gemacht habe. „Wir wollten aber unbedingt noch ein Tor machen. Das haben wir geschafft.” Und darum geht Kimmich mit einem guten Gefühl in das K.o.-Spiel gegen Dänemark.
Andere Position, unveränderte Rolle
Der Mann, der sich als Anführer versteht, muss bei der Heim-EM damit leben, dass er qua Position eher zu einer Randfigur geworden ist. Im Zentrum sind Toni Kroos und Pool-Animateur Andrich die Macher. Egal. Kimmich geht es bei seinem vierten großen Turnier seit der EM 2016 vor allem darum, endlich Erfolg mit dem DFB-Team zu haben. „Meine Rolle sehe ich relativ unverändert. Natürlich hat sich die Position etwas verändert.” Trotzdem bleibe es wie früher im Mittelfeld sein erklärtes Ziel, „mit guten Leistungen voranzugehen”.
Spekulationen um Bayern-Zukunft
Julian Nagelsmann hat ihn im EM-Jahr nach rechts versetzt. So wie es auch Thomas Tuchel beim FC Bayern tat. „Als Rechtsverteidiger ist das Anforderungsprofil etwas anders als auf der Sechs. Ich habe die Position schon mal gespielt. Und dementsprechend habe ich mich da schnell wieder zurechtgefunden”, sagte er in den EM-Tagen.
Komplizierter wirkt die Situation gerade im Verein. Außenverteidiger? Sechser? Bevor der neue Bayern-Trainer Vincent Kompany diese Kimmich-Frage beantworten kann, muss wohl geklärt werden, ob Kimmichs Zukunft überhaupt noch in München liegt. Viel wird spekuliert über einen Bayern-Abschied in diesen Sommer oder ablösefrei nach dem Vertragsende in einem Jahr. „Alles spricht für ein Kimmich-Aus bei Bayern”, titelte die „Bild”-Zeitung.
Die ZDF-Doku „Anführer und Antreiber” über Kimmich vertiefte den Eindruck, dass die frühere Musterbeziehung zum Verein nach neun Jahren nicht mehr innig ist. Die gegenseitige Wertschätzung hat gelitten. Auch wenn Kimmich kritische Anmerkungen zum Umgang des Vereins mit ihm in der Impfdebatte während der Corona-Pandemie abschwächte.
Veränderter Bosse-Zirkel
„Generell ist es zwei, drei Jahre her, zu einer Zeit, wo natürlich auch andere Leute da die Verantwortung hatten”, sagte Kimmich in Frankfurt mit indirektem Verweis auf Oliver Kahn oder Hasan Salihamidzic, die inzwischen nicht mehr zum Münchner Bosse-Zirkel zählen.
Das Thema Vereinszukunft vertagte Kimmich vor dem EM-Start auf die Zeit danach. „Und da ist der FC Bayern bestimmt mein erster Ansprechpartner”, sagte er. Eine Profi-Floskel? Wichtig sei für ihn auch die Meinung von Neu-Coach Kompany. Noch mehr interessiert ihn aber die Antwort auf andere Fragen: „Wie denkt der Verein? Was möchte der Verein?” Es gibt einige Optionen: Verkaufen? Verlängern? Oder die Zukunft auf 2025 vertagen?