Aschenbrödel schön und gut und Kevin war jetzt schon oft genug allein in New York zu Hause oder sonst wo. Die Tage zwischen den Jahren bieten sich geradezu an, Stunden vor dem Bildschirm zu verbringen. Dankenswerterweise macht das Wetter nicht das Angebot, viel Zeit draußen zu verbringen. Es kann ja aber nun auch mal Ulle statt Sissi sein. Will sagen: Es gibt allerhand sehenswerte Sport-Dokus, die graue Tage gemütlich vor dem Fernseher verbringen lassen – ohne einen der Klassiker bemühen zu müssen. Eine kleine Auswahl
Jan Ullrich - Der Gejagte" (Amazon Prime)
Jan Ullrich war einer der beliebtesten Sportler Deutschlands. Tour-de-France-Sieger 1997. Das ist vor und nach ihm keinem anderen Deutschen gelungen. Ullrich elektrisierte die Nation mit seinen Erfolgen auf dem Rad. Doch 2006 kam der Absturz. Nach Dopingvorwürfen suspendierte ihn sein damaliges T-Mobile-Team. Ullrich stürzte tief. Zigaretten, Alkohol, harte Drogen. Er sei so tief gefallen, wie es einem Menschen überhaupt möglich ist, sagt Ullrich an einer Stelle. Ohne die Physis eines Hochleistungssportlers hätte er das wohl nicht überlebt.
Doch das Geständnis, dass er gedopt habe, brachte er in all den Jahren nicht über die Lippen. Erst kurz vor seinem 50. Geburtstag, den Ullrich am 2. Dezember feierte, machte der gebürtige Rostocker reinen Tisch. In einer vierteiligen Doku gewährt er einem Filmteam um Regisseur Sebastian Dehnhardt tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Gemeinsam besuchen sie wichtige Stationen seines Lebens. Das ist packend, spannend und perfekt inszeniert. Dabei geht es nicht darum, Ullrich in einem möglichst guten Licht dastehen zu lassen. Die Doku ist schonungslos ehrlich. Und gerade deshalb so sehenswert. (ako)
Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter (ARD)
Wenn Tausende Menschen einen auspfeifen und beschimpfen, muss man das abkönnen. Seit jeher dient der Schiedsrichter auf und neben dem Platz als Prügelknabe der Nation, muss herhalten, wenn der Frust über die eigene Leistung und die der eigenen Mannschaft unbändig groß ist. Erleichtern sollte die Tätigkeit der Videoschiedsrichter (VAR), doch selbst über vier Jahre nach seiner Einführung ruckelt und zuckelt es noch. "Unparteiisch" betreibt Aufklärung. Zeigt Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, wie man sie nie zuvor gesehen hat: als Menschen mit Stärken und Schwächen. Authentisch, aber auch erstaunlich emotional.
Vor allem Aufnahmen mit Deniz Aytekin, der unaufgeregt, zugleich aber höchst professionell agiert, tragen dazu bei, das Verständnis für das Schiedsrichterwesen zu erhöhen. Wer sich die Doku-Serie ansieht, bei dem wird sich das Bild von unnahbaren, arroganten Schiedsrichtern verändern. Gerade die Tonaufnahmen während eines Bundesligaspiels, aber auch die Gespräche in der Halbzeitpause oder mit Klubverantwortlichen, gewähren unbekannte Einblicke in ein höchst interessantes Aufgabengebiet. Eindrucksvoll dokumentiert wird zudem, dass Spieler und Schiedsrichter oft unterschiedliche Meinungen haben, dies ein kollegiales Miteinander aber nicht ausschließen muss. (joga)
The Last Dance (Netflix)
Blöd war ja nur, dass es lediglich zehn Folgen gab. Damals, 2020. Corona, Lockdowns und allerhand Zeit, die zu füllen war. Es war nicht die erste Sport-Doku, auch nicht die erste über einen Superstar, aber niemals zuvor hatte sich ein Filmteam derart intensiv einem Sportler gewidmet. Michael Jordan, erste globale Marke des Spitzensports. Und ausgewiesenes Ekel, folgt man den Aussagen von Gegnern, Mitspielern und Funktionären.
Aber: Wer gewinnt, hat recht. Kaum einer gewann mehr als Jordan. Die Serie widmet sich der letzten Saison Jordans bei den Chicago Bulls. Zu einem letzten gemeinsamen Tanz verabredete sich das Team, das hernach auseinanderbröckeln sollte. Jordan steht natürlich im Mittelpunkt der Doku, im Sessel sitzend, gutsherrenartig verfügend, wer würdig war, im Schatten seines Glanzes Titel auf Titel zu holen. Dafür aber auch mit seiner Würde bezahlen musste. Der durchgeknallte Dennis Rodman, Zen-Buddha-Trainer Phil Jakson, Lieblingsgegner Isiah Thomas – sie alle kommen zu Wort. Das ist vergnüglich und reicht genau für die Weihnachtszeit. (time)
Die Generation Wembley (Amazon Prime)
Das Ende ist bekannt. Der Weg dorthin auch. Allzu viel Neues an Fakten kann in den sechs Folgen gar nicht vermittelt werden. Überraschend aber, welch unterhaltsamer Erzähler Mario Gomez beispielsweise ist. Der war beim Triumph der Bayern in Wembley nur Statist, war das Jahre zuvor auch unter Louis van Gaal. Das ist auch die Zeitspanne, die in der Serie behandelt wird. Eine Heldengeschichte typischer Natur mit dem retardierenden Moment ein Jahr zuvor. Die Dortmunder als Nemesis und natürlich das Finale dahoam. Arjen Robben, Philipp Lahm, van Gaal und viele erinnern sich. Auch BVB-Boss Watzke. Ausgespart werden unter anderem die Indiskretionen beim Götze-Transfer. Erhebt ja aber auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ist einfach gute Unterhaltung – vor allem für Fans des FC Bayern. (time)
All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar (Amazon Prime)
Der Grusel-Tipp unter den Streaming-Empfehlungen. Wer sehen möchte, wie Bundestrainer Hansi Flick von Graugänsen als Krafttier schwadroniert, Spieler Wörter wie "Leidenschaft" mit demselben Verve aussprechen wie ein Steuerberater die Vokabel "Pflichtveranlagung", wie selbst zur Besprechung vor dem entscheidenden Gruppenspiel Nationalspieler verspätet und gelangweilt hereinschlurfen, ist hier richtig. Dazu ein DFB, der zwischen Regenbogenbinde und sportlichem Anspruch umherirrt. Manche Befürchtungen, die man während der völlig verkorksten WM hat, werden bestätigt – andere sogar noch übertroffen. Am Ende erscheint das deutsche WM-Aus alles, nur nicht überraschend. Für Bundestrainer Flick kam das Erscheinen der Doku zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: Veröffentlicht wurde das Dokument des Total-Versagens zwischen den Länderspielen gegen Japan und Frankreich. Gegen Japan saß Flick noch auf der Bank, gegen Frankreich schon Rudi Völler. Für Flick und DFB ist die Wahl zwischen "All or nothing" recht deutlich ausgefallen. (eisl)