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London
Auch in Wimbledon ist der Krieg in der Ukraine zu spüren
Beim berühmtesten Tennisturnier der Welt sind Profis aus Russland und Belarus zurück. Der Druck wurde zu groß. Allerdings müssen sie viele Bedingungen erfüllen.
Aryna Sabalenka.jpeg       -  Die Belarussin Aryna Sabalenka darf in diesem Jahr wieder in Wimbledon aufschlagen.
Foto: Kirsty Wigglesworth, dpa | Die Belarussin Aryna Sabalenka darf in diesem Jahr wieder in Wimbledon aufschlagen.
Jörg Allmeroth
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:20 Uhr

Andrej Medwedew war einmal das bekannteste Gesicht des ukrainischen Tennis auf der internationalen Profitour. Der ehemalige Weltranglisten-Vierte und Grand-Slam-Finalist ist auch heute noch ein gefragter Mann, kürzlich war er bei den French Open und beim Geburtstagsturnier in Halle zu Gast. 30 Jahre ist es her, dass Medwedew im ersten Turnierjahr der damaligen "Gerry Weber Open" im Finale stand – und gegen Frankreichs Spaßvogel Henri Leconte verlor. "Es war eine schöne Zeit, die 90er. Im Tennis, aber auch daheim. Eine unbeschwerte Zeit", sagt Medwedew, "die Zukunft sah rosarot aus."

Und heute? Es gehe ihm genauso wie allen anderen ukrainischen Spielerinnen und Spielern, sagt Medwedew, inzwischen in der heimatlichen Territorialverteidigung aktiv, "du stehst ständig unter Spannung. Du schaust alle paar Minuten auf dein Handy, ob nicht wieder etwas Furchtbares passiert ist." Jeden Profi aus seinem Heimatland bewundere er dafür, "sich in dieser Situation auf den Platz zu stellen und seinen Job zu machen", so Medwedew, "auch, weil du eben ab und zu gegen einen Gegner antrittst, der aus Russland oder Belarus kommt. Leider auch in Wimbledon jetzt."

Tatsächlich gehört die Rückkehr der russischen und belarussischen Akteure zu den am heftigsten diskutierten Themen bei den an diesem Montag beginnenden Offenen Englischen Meisterschaften 2023. Im März hatten die Verantwortlichen des All England Club dem massiven Druck der Profiorganisationen nachgegeben und die Wiederzulassung der Spieler aus Russland und Belarus verkündet – auch weil Wimbledon mit massiven Sanktionen gedroht worden war. Schon 2022 war dem wichtigsten Wettbewerb des Wanderzirkus die sportliche Wertigkeit genommen worden, ATP (Männer) und WTA (Frauen) strichen jegliche Weltranglistenpunkte.

Protestaktionen sind in Wimbledon nicht ausgeschlossen

Nun ist – jedenfalls auf den ersten Blick – wieder alles beim Alten im Tingelbetrieb über die Kontinente, auch weil die Frauengewerkschaft WTA noch den kontroversen Fall Peng Shuai für erledigt erklärt hat und wieder im Herbst ins chinesische Riesenreich zurückkehrt. Doch bei der Rasenparty in London könnten noch einige Überraschungen drohen, vermuten Insider, Protestaktionen gegen die Teilnahme der russischen und belarussischen Spieler – vor den Toren der Anlage im Stadtteil SW 19. Oder auf dem "Heiligen Rasen" selbst. Spielen ukrainische gegen russische bzw. belarussische Profis, wird es wie in den letzten Monaten den verweigerten Handschlag geben. Pfiffe dafür sind allerdings in London nicht zu erwarten, anders als zuletzt beim französischen Publikum.

Sturmwolken über Wimbledon seien aufgezogen, bemerkte nun der erfahrene Daily-Mail-Kolumnist Mike Dickson beim Blick auf die kommenden Grand-Slam-Wochen. Nervosität herrsche an vielen Ecken, niemand wisse, ob und wie sich die Reizstimmung zwischen Spielern aus der Ukraine und Russland/Belarus entlade. Immerhin: Wimbledon verpflichtete russische und belarussische Akteure, eine Erklärung mit weitreichenden Verpflichtungen zu unterschreiben – etwa, keine Botschaften mit Unterstützung für RusslandsPräsident Putin oder den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko zu verbreiten. Auch seien alle Symbole, die den Krieg unterstützen, verboten. Zudem dürfe keiner der Profis von Unternehmen gesponsert werden, die auf Sanktionslisten stehen.

Dem WTA-Boss Simon wird Gefühllosigkeit vorgeworfen

Ukrainische Spielerinnen wie Elina Svitolina (spielt in Runde eins gegen Venus Williams) oder Marta Kostyuk begrüßten zwar die Formalien, zeigten sich aber dennoch mit ihrer eigenen Lage unzufrieden. "Man spürt allgemein wenig Mitgefühl. Die meisten wollen einfach weitermachen wie gewohnt und bloß nicht Stellung beziehen", sagt Kostyuk. Besonders in den Fokus der Kritik geriet dabei wiederholt der amerikanische WTA-Boss Steve Simon, dem von der Ukrainerin Lesia Tsurenko "Gefühllosigkeit" vorgeworfen wurde, "er sagte mir, wenn russische Spielerinnen den Krieg unterstützen, dann sei das deren Meinung. Und die müsse ich akzeptieren."

Medwedew, der frühere Star, kann da nur den Kopf schütteln: "Das ganze System darf bloß nicht gestört werden. Es muss funktionieren." Wer wisse, wie problematisch die Situation bei den Turnieren sei, könne den Tennissport auch nicht, wie IOC-Boss Thomas Bach, als Vorbild für den Umgang miteinander in Kriegszeiten bezeichnen. "Zum Lachen ist keinem unserer Leute zumute", sagt Medwedew. Man wisse halt, dass viele Gegner auf dem Platz auch diejenigen seien, die den Krieg befürworteten.

 
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