Christian Kukuk schlug im Moment des Triumphs die Hände vors Gesicht und ging in die Knie. Als der deutsche Springreiter seinen Gold-Coup bei Olympia realisierte, rannte Schwester Jennifer als Erste auf ihn zu und sprang ihm in die Arme. „Wahnsinn, einfach Wahnsinn”, kommentierte sein Chef Ludger Beerbaum.
Kukuk verbrachte nach seinem Gala-Auftritt im Schlossgarten von Versailles einige bange Minuten auf dem Abreiteplatz, ehe das erste deutsche Springreiter-Gold seit 24 Jahren und die insgesamt 100. deutsche Pferdesport-Medaille bei Olympia perfekt war. Sein Pferd Checker, das unter anderem Fußball-Star Thomas Müller gehört, hatte ihn zu Gold getragen.
Der Reiter sah auf der großen Leinwand in gut dreißig Meter Entfernung, wie erst der Niederländer Maikel van der Vleuten und der später mit Silber dekorierte Steve Guerdat aus der Schweiz patzten. „Da bin ich wirklich zusammengesackt”, sagte der Sieger später. „Es sind ein paar Tränen geflossen, ich war sehr angefasst.”
„Nullkommenull nervös”
„Es ist einfach ein emotionaler Moment”, berichtet Kukuk. „Goldmedaillengewinner zu sein und in die Geschichtsbücher einzugehen, dass muss ich erstmal sacken lassen.” Erstaunlicherweise war er vor den Ritten „nullkommenull nervös”, berichtete er. Seine Taktik als erster Reiter des Stechens war: Er habe die beiden Konkurrenten mit einer flotten Runde „unter Druck gesetzt. Das ist den beiden zum Verhängnis geworden.”
Dabei half eine besondere Fähigkeit. Er könne sich „gut konzentrieren und meine Anspannung kanalisieren”, sagte Kukuk. „Ich bin nicht der Hibbelige. Ich bin sachlich und versuche, die Sachen so einzuordnen, wie sie sind.” Jetzt ist es so, dass er die Jubiläums-Medaille für Deutschland gewonnen hat.
Pferd gehört auch Fußballer Thomas Müller
„Die Performance, die wir hier abgeliefert haben, war einfach genial”, sagte Kukuk. In der Tat zeigte er als einziger Reiter sowohl im ersten Umlauf als auch im Stechen einen fehlerfreien Ritt. Checker, das Pferd von Ex-Fußball-Weltmeister Müller und Beerbaum-Mäzenin Madeleine Winter-Schulze, zeigte sich auf den Punkt topfit.
Entsprechend groß war der Jubel im deutschen Team. Und Kukuk hatte reichlich Unterstützung dabei, seine ganze Familie und viele Freunde waren vor Ort. „Die Einzige, die nicht da ist, ist meine Oma„, sagte Kukuk. „Aber die sitzt vor dem Fernseher und ist - glaube ich - am Heulen.” Bei der Siegerehrung kamen dem Sieger dann selber die Tränen.
„Das war sehr emotional”
„Das war sehr emotional”, sagte Bundestrainer Otto Becker, der auch schlucken musste. „Das ist natürlich mega. Dass Christian das so nach Hause geritten hat, macht mich auch sehr glücklich und sehr happy.” Die Erleichterung sei „groß, dass die sportliche Durststrecke bei den Spielen beendet sei. Beckers olympische Bilanz nach 16 Jahren als Bundestrainer „war bisher ausbaufähig. Das Gefühl ist unbeschreiblich.”
Mit dem vierten deutschen Gold in Versailles - vor den Augen von IOC-Boss Thomas Bach - sind die deutschen Reiter-Festspiele in königlicher Umgebung perfekt. Zuvor hatte Michael Jung in der Vielseitigkeit triumphiert, ehe es in der Dressur sowohl in der Mannschaft als auch im Einzel durch Jessica von Bredow-Werndl Gold gab.
Als Praktikant angefangen
„Ich muss das erstmal sacken lassen”, kommentierte Beerbaum. Die nervliche Anspannung sei für ihn größer gewesen als früher, als er noch selbst im Sattel saß, räumte der viermalige Olympiasieger ein: „Da war man auf das Reiten fokussiert.”. Bei Beerbaum hatte Kukuk als Praktikant im Sport- und Handelsstall angefangen und ist seit 2012 als Bereiter angestellt.
Mit Kukuks Sieg ging für die Springreiter eine lange Durststrecke zu Ende: 2000 in Sydney gab es das letzte Gold in der Mannschaft. Im Einzel liegt der letzte Olympiasieg durch Ulrich Kirchhoff gar 28 Jahre zurück.
Es war ein extrem schwieriges Springen, nur drei Reiter hatten es überhaupt ins Stechen geschafft. „Ich habe noch nie so einen Parcours gesehen”, kommentierte Kukuk den schweren ersten Umlauf. Dort sicherte er sich schon vor dem Stechen Edelmetall. „Das ist echt irre”, sagte der Medaillengewinner. Weltmeister und Topfavorit Henrik von Eckermann, früher Kukuks Kollege, stürzte mit seinem Pferd King Edward und schied aus.
Weishaupt vom Teamkollegen begeistert
Sein Teamkollege Philipp Weishaupt schwärmte über Kukuk: „Der ist unheimlich fokussiert, immer sehr konzentriert und immer 100 Prozent vorbereitet. Der überlässt nichts zum Zufall. Der plant seinen Tag von morgens bis abends, gibt alles für den Sport - und der Erfolg gibt ihm recht.”
Weishaupt selbst war zuvor mit Zineday wegen fünf Strafpunkten ausgeschieden, ihm unterlief „ein dummer Fehler, der normalerweise nicht passiert”. Weil es mit der Mannschaft zuvor nur zu Rang fünf gereicht hatte, sei seine persönliche Woche bitter verlaufen. Aber immerhin habe Kukuk „die Ehre der Springreiter gerettet”.