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Augsburg
Leichtathletik, Radsport, Rudern, Schwimmen: Die Weltspitze ist längst enteilt
Deutschlands Spitzensport steckt in einer Krise, das hat nicht zuletzt die Leichtathletik-WM in Budapest gezeigt. Jetzt soll auch noch die Sportförderung gekürzt werden.
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Foto: Marcus Brandt, dpa | Der deutsche Spitzensport liegt am Boden, hier zu sehen bei Zehnkämpfer Leo Neugebauer.
Reinhard Köchl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:39 Uhr

Alles Schönreden hilft nichts, keine Ausrede, und sei sie noch so sorgsam zusammengebastelt, ändert etwas an der brutalen Tatsache: Der deutsche Sport befindet sich im Augenblick auf dem Tiefpunkt. Dies manifestiert sich vor allem nach der blamablen Null-Nummer der deutschen Leichtathletik bei den jüngsten Weltmeisterschaften in Budapest, aber auch am unverkennbaren Abwärtstrend anderer Sportarten wie Radsport, Rudern, Schwimmen. Die vielstimmig aufgebrandeten Diskussionen in den vergangenen Tagen zeigen, dass Deutschland um Antworten für den Niedergang einer der ehedem führenden Sportnation ringt, die in Budapest im Medaillenspiegel noch hinter Grenada, Botswana oder Burkina Faso zurückfiel.

Probleme im Sport kommen nicht allein von den Bundesjugendspielen

Mit einem Mal poppten feurig-populistische Analysen von Experten hoch, die die Diskussion um die Abschaffung des Leistungsgedankens bei den Bundesjugendspielen als eine der Hauptursachen ausgemacht haben. Dabei geht es bei der geplanten Anpassung lediglich darum, in den Jahrgangsstufen eins bis vier künftig die Wahl zwischen bewegungsorientiertem und leistungsorientiertem Wettkampf zu ermöglichen. 

Die Probleme im Spitzensport an den Bundesjugendspielen festzumachen, hält Johannes Herber, Geschäftsführer der Sportlervereinigung Athleten Deutschland e. V., für eine „groteske Verkürzung der Debatte“. Bundesjugendspiele spielten bis dato für keinen Olympiasieger eine prägende Rolle. Es gehe vielmehr darum, dass Kinder überhaupt in Bewegung kommen würden, zum Beispiel über eine dritte Sportstunde und inspiriert durch motivierende und qualifizierte Sportlehrer, argumentiert Herber.

Andere Länder stecken mehr Geld in den Spitzensport

Genau hier liegt das Grundproblem: Der Sport als markantes Instrument der Persönlichkeitsentwicklung bei jungen Menschen verliert an Bedeutung. Festzumachen ist dies an den jüngsten Plänen der Bundesregierung, im allgemeinen Spardiktat von Finanzminister Christian Lindner auch die Sportförderung um 27 Millionen Euro zu kürzen. Zwar scheint in dieser Hinsicht das letzte Wort nicht gesprochen, ein seltsames Signal ist es allemal, in Zeiten, in denen immer mehr Länder den Sport als tragendes Element einer funktionierenden Gesellschaft erkannt haben und mehr Gelder in wissenschaftliche Forschung, Strukturen oder den Ausbau von Trainingszentren stecken. 

Selbstverständlich sollen die Sportler auch in Deutschland Profis sein. Aber tatsächlich agiert, lebt und entwickelt sich der allergrößte Teil wie Amateure, sie gehen zur Arbeit oder müssen sich mit ein paar Hundert Euro monatlicher Unterstützung durch die Sporthilfe begnügen. Kaum jemand hat so viel Glück wie die ehemalige Ingolstädter 400-Meter-Läuferin Alica Schmidt, die sich ihren Sport durch 4,5 Millionen Follower auf Instagram selbst finanzieren kann. 

Der Alltag sieht bescheidener aus. In Olympiastützpunkten wie München gibt es zu wenige Physiotherapeuten, die Bundeskaderathleten durchschnittlich nur ein bis zwei Mal pro Woche behandeln können. In Budapest brachten viele Sportlerinnen und Sportler zwar ihre besten Leistungen, mussten aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass die Weltspitze längst enteilt ist.

Der Jahresetat für den olympischen Sport in Deutschland soll nach Kürzung der Bundesmittel 276 Millionen Euro betragen. Eine Menge Geld? Eher ein Hohn angesichts der Zahlen, die die neue Zehnkampf-Hoffnung Leo Neugebauer bei seinem Besuch in der alten Heimat von seiner Uni in Austin/Texas mitbrachte. Dort soll der Sportetat einer einzigen Universität schon rund 200 Millionen Dollar betragen.

Die Entlohnung der Trainer ist ein großes Problem

Hierzulande gibt es kein klares Konzept mehr, wie noch in Zeiten des Kalten Krieges, als Sport noch die Funktion eines Muskelspiels der Systeme besaß. Seit sich Russland selbst ins Aus manövriert hat, zeigen kleine Länder wie Norwegen, die Schweiz oder die Niederlande, wie es funktionieren kann. In Berlin würden schlicht die Sport-Lobbyisten fehlen, beklagt Jürgen Kessing, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).

Mehr als eine Randerscheinung der finanziellen und strukturellen Misere ist die Bezahlung der Trainer. Ohne Sponsoren, Preisgelder und adäquate Entlohnung steht zu befürchten, dass die besten Trainer ins Ausland gelockt werden könnten, wo sie mit dem Fünffachen ihres deutschen Gehalts rechnen können – wie bei dem indischen Speerwurf-Olympiasieger und Weltmeister Neeraj Chopra, der seinen Erfolg dem deutschen Trainer Klaus Bartonietz verdankt. Expertise verschwindet. Auch fordern immer mehr deutsche Leichtathletinnen und -athleten, in internationalen Trainingsgruppen trainieren zu dürfen, um im täglichen Training Konkurrenzdruck zu bekommen. Doch Bundestrainern ist das bis dato verboten, weil sie nur für das Training deutscher Athleten bezahlt werden.

Nicht nur Johannes Herber fragt deshalb: „Worum geht es wirklich im Kern des Spitzensportsystems? Um die Menschen! Also um die Athletinnen und Athleten und deren Trainer“. Mehr als 80 Prozent der Arbeit an einem künftigen Olympiasieger passiert in den Vereinen. Auch diese Strukturen bedürfen einer Analyse.

 
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