München (dpa) - Junior-Künstler Lamine Yamal warf voller Erleichterung seine blaue Wasserflasche auf den Rasen, seine spanischen Teamkollegen fielen sich glücklich in die Arme und tanzten ausgelassen vor den Fans. Als der EM-Finalist vor der Kurve für ein Mannschaftsfoto posierte, war Frankreichs Kapitän Kylian Mbappé längst bitter enttäuscht vom Platz geschlichen.
Deutschland-Bezwinger Spanien um den jüngsten EM-Torschützen Yamal hat auch Frankreichs Minimalisten-Fußballer aus dem Weg geräumt und will sich nun zum EM-Rekordsieger krönen. In einem hochintensiven Halbfinal-Kräftemessen bezwang die Mannschaft von Nationaltrainer Luis de la Fuente den zweimaligen Titelträger um den endlich von der Maske befreiten Mbappé mit 2:1 (2:1).
„Es ist unglaublich”
„Wir sind im Finale, das ist die Hauptsache. Jetzt geht es Richtung Titel”, sagte Yamal nach dem Einzug ins Endspiel. Das Wochenende könnte für den Teenager neben dem 17. Geburtstag am Samstag auch die silberne EM-Trophäe am Sonntag (21.00 Uhr) bringen. „Es fehlt noch ein Schritt. Es ist unglaublich. Wir verdienen es, im Finale zu sein”, sagte Torschütze Dani Olmo von RB Leipzig. Besonders lobend hob auch er Teamkollege Yamal hervor: „Lamine hat ein Super-Tor geschossen.”
Spanien peilt nach 1964, 2008 sowie 2012 den vierten EM-Triumph an. Im Finale von Berlin wollen sich die spanischen Fußball-Artisten um Zauberlehrling Yamal, der vor rund 65.000 Zuschauern in München mit gerade einmal 16 Jahren und 362 Tagen den Ausgleich erzielt hatte, auch nicht von England oder den Niederlanden entzaubern lassen. Auf die Frage nach einem Wunschgegner sagte Olmo: „Das ist egal.”
Imposante Frankreich-Serie endet
Das Führungstor der Franzosen durch den ehemaligen Frankfurter Randal Kolo Muani in der 9. Minute schreckte die Spanier im sommerlichen München nicht sonderlich. Jungstar Yamal, der zum Spieler des Spiels gewählt wurde, mit einem traumhaften Schlenzer (21.) und Olmo (25.) bescherten der Équipe Tricolore die erste K.-o.-Niederlage nach 90 Minuten seit 2014. Damals war im WM-Viertelfinale Endstation gegen den späteren Titelträger Deutschland (0:1) gewesen.
Wenn das begeisternde und nervenaufreibende Viertelfinale zwischen EM-Gastgeber Deutschland und Spanien (1:2 nach Verlängerung) das vorgezogene Finale war, was war dann dieses Halbfinale der Iberer gegen Frankreich? Auch nicht weniger als ein vorgezogenes Finale. Ein Kracher mit sehenswerten Toren und hoher Intensität. Von Beginn an.
Superstar Mbappé trat erstmals nach seinem Nasenbeinbruch, den er im französischen Eröffnungsspiel gegen Österreich (1:0) erlitten hatte, wieder ohne Maske auf. Der neue Star von Real Madrid wirkte wie von einer Last befreit und stellte den schon 38 Jahre alten Jesus Navas - neben Nacho und dem Leipziger Olmo einer von drei Neuen in der Anfangsformation der La Roja - auf der rechten spanischen Abwehrseite vor eine Daueraufgabe.
Dauerpfiffe gegen Cucurella
Eine Nervenprobe erlebte auf der linken Seite Marc Cucurella. Der Außenverteidiger mit dem mächtigen Lockenkopf wurde deutlich hörbar bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Warum? Das hatte mit dem Deutschland-Aus zu tun.
Viele Fans verübelten dem Abwehrspieler des FC Chelsea sein Handspiel im Viertelfinale. Cucurella hatte einen Schuss von Jamal Musiala an die nicht direkt am Körper anliegende Hand bekommen. Einen Elfmeter hatte es dafür nicht gegeben. Spanische Anhänger reagierten auf die Pfiffe und initiierten mehrmals Cucurella-Sprechchöre.
Der erste Jubelschrei gehörte aber Frankreich, das sich mit einem biederen Fußball-Ansatz und zuvor nur drei Treffern durch das Turnier gemüht hatte. Eine Flanke Mbappés versenkte Kolo Muani aus fünf Metern mit dem Kopf - es war der Auftakt eines rassigen Fußballabends.
Yamal schießt sich in EM-Rekordbücher
Die Spanier konterten mit einem genialen Moment von Supertalent Yamal, dessen Traumtor aus 25 Metern den linken Innenpfosten touchierte und im Kasten des machtlosen Schlussmanns Mike Maignan landete.
Das Juwel des FC Barcelona löste mit seinen 16 Jahren den Schweizer Johan Vonlanthen als jüngsten EM-Torschützen ab. Vonlanthen war 2004 bei seinem Treffer beim 1:3 der Schweiz gegen Frankreich 18 Jahre und 141 Tage alt gewesen.
„Ich fühle mich gut, die Mannschaft fühlt sich gut. Wir wollen eine klare Botschaft an unsere Fans senden: Nämlich dass wir Zuversicht haben und gut spielen wollen”, sagte Dani Olmo vor dem Start in das Gigantenduell.
Der Leipziger, gegen Deutschland mit einem Tor und einer Vorlage der entscheidende Akteur, unterstrich seine couragierten Aussagen auch auf dem Rasen. Eine abgefälschte Flanke von Jesus Navas landete im Sechzehner vor seinen Füßen. Den wuchtigen Schuss konnte auch Frankreichs rechter Außenverteidiger Jules Koundé kurz vor der Torlinie nicht mehr abwehren.
Deschamps-Wechsel ohne Wirkung
Spanien hatte auch nach dem Wechsel die Franzosen weitgehend im Griff. Gefährlich wurde die Équipe Tricolore vor allem nach Standards. Die Kopfbälle von Aurélien Tchouaméni (53.) oder Dayot Upamecano (63.) brachten Torhüter Unai Simon aber nicht in Bedrängnis. Der Schuss von Mbappé (56.) aus acht Metern auf das Tor des spanischen Schlussmanns hatte schon Seltenheitswert.
Didier Deschamps musste reagieren. Endlich kam Wahl-Spanier Antoine Griezmann, der schon mit 14 Jahren Frankreich verlassen hatte, aber diesmal zunächst gegen Ousmane Dembélé auf der Bank hatte Platz nehmen müssen. Viel fiel ihnen in der Offensive aber weiter nicht ein. Auf einen genialen Moment Mbappés hoffte Frankreich vergeblich.