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Snowboard
Snowboard-Weltcupsieger Martin Nörl: "Man fühlt sich nicht ernst genommen"
Martin Nörl, 29, aus Sonthofen ist Deutschlands bester Snowboardcrosser. 2022 gewann er den Gesamtweltcup. Ein Gespräch über Erfolg, den Aufwand und fehlende Akzeptanz in der Öffentlichkeit.
Martin Nörl (l.)       -  Martin Nörl aus Deutschland (l), Leoni Tommaso (r) aus Italien und Loan Bozzolo (vorne) aus Frankreich in Aktion.
Foto: Valentin Flauraud/KEYSTONE, dpa (Archivbild) | Martin Nörl aus Deutschland (l), Leoni Tommaso (r) aus Italien und Loan Bozzolo (vorne) aus Frankreich in Aktion.
Andreas Kornes
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:29 Uhr

Wie fällt Ihre Bilanz des Jahres 2022 aus?

Martin Nörl: Ich würde sagen, ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Ich war insgesamt sechsmal auf dem Podium gestanden und hab den Gesamtweltcup geholt. Ist schon ganz gut gelaufen. 

Haben Sie 2022 also den Durchbruch in die Weltspitze geschafft? Oder war es eher eine Verkettung glücklicher Umstände?

Nörl: Ich würde zu beidem Ja sagen. Im Moment fahre ich konstant vorne rein, es passt aber auch gerade alles perfekt zusammen. Von den Brettern, die wahnsinnig schnell sind. Körperlich bin ich in einer guten Verfassung. Und die nötige Erfahrung habe ich jetzt eben auch. 

Ist es normal, dass man beim Snowboardcross mit 28, 29 Jahren den Durchbruch schafft?

Nörl: Es geht bei uns in alle Richtungen. Man hat immer wieder mal ganz junge Sportler, die schon wahnsinnig gut sind. Dann gibt es aber viele, die eher älter sind - also Mitte, Ende 20. 

Für Außenstehende ist das ein auffallender Unterschied zum Freestyle, wo auch 17-jährige Snowboarder schon sehr erfolgreich sein können.

Nörl: Uns mit Freestyle zu vergleichen ist, als würde man Eisschnelllauf mit Eiskunstlauf vergleichen. Die haben zwar beide Schlittschuhe an, aber ansonsten ist das einfach was komplett anderes. 

Beim Snowboardcross spielt die Erfahrung eine große Rolle. Renneinteilung. Renntaktik. Kann man das trainieren oder muss man dazu vor allem Rennen fahren?

Nörl: Es gibt mit Sicherheit technisch bessere Fahrer als mich. Wenn du am Start und auf der Strecke schnell bist, dann fährst du ja viel vorneweg und dein eigenes Rennen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin am Start meistens eher nicht so schnell. Das heißt, ich muss dann überholen. Und das lernt man einfach über die Jahre. Da geht es um Timing und das Auge für die Lücke. 

Was zeichnet also einen guten Snowboardcrosser aus?

Nörl: Am besten ist er ein Allrounder. Er ist spritzig und kann gut starten, kann das Brett aber auch gut laufen lassen. Im Optimalfall hat er dann auch noch entsprechend viel Gewicht, was für die Geschwindigkeit ganz gut ist. Bei mir ist es so, dass mir am Start die Spritzigkeit ein bisschen fehlt. Aber dann komm ich eben über das Gleiten und vor allem das Kurvenfahren. 

Stichwort Gewicht: Was wiegen Sie?

Nörl: Im Moment 95 Kilo. Viel mehr sollte es aber auch nicht sein, wir müssen uns ja auch noch bewegen können. 

In Ihrer sportlichen Bilanz fehlt eigentlich nur noch eine Medaille bei einem Großereignis.

Nörl: Ich bin echt froh, wie es momentan läuft. So ein Großereignis ist dann halt doch immer nur ein Rennen - Olympia alle vier Jahre, WM alle zwei Jahre. Klar will ich da was mitnehmen. Aber wie gesagt: Es ist halt nur ein Rennen. Bei uns im Boardercross kann es so schnell passieren, dass man ausscheidet. Es ist einfach ganz ganz schwierig, alles auf ein Rennen zu setzen. 

Würden Sie die sportliche Aussagekraft des Gewinns des Gesamtweltcups höher einschätzen, da er die Leistung über eine ganze Saison widerspiegelt?

Nörl: Mit Sicherheit. Bei uns kommt ja noch dazu, dass wir sehr unterschiedliche Strecken haben auf denen immer unterschiedliche Leute gut sind. Wenn man dann aber über den gesamten Weltcup diese Form halten kann und die meisten Punkte sammelt, ist das schon was wert. 

Bedeutet also, dass Sie noch so gut in Form sein können, wenn Ihnen die Strecke bei der WM nicht liegt.

Nörl: Ja, genau. Aber es kann auch sonst viel schief gehen. Bei Olympia zum Beispiel ist ein anderer Fahrer vor mir gestürzt und ich dann eben auch. Am Ende war ich Neunter. 

Was steht für Sie in diesem Winter noch an?

Nörl: Ende Januar geht es mit dem nächsten Weltcup weiter. Danach fahren wir noch einen in Italien. Dann geht es zur WM nach Georgien. Der Fokus liegt zwar auf der WM, aber ich wollte natürlich schon im Dezember fit sein und das dann bis Februar halten. Wir hatten über den Jahreswechsel noch mal eine Lücke im Kalender, in der wir athletisch ein bisschen was ins Training einbauen konnten. 

Wie groß ist denn der Aufwand, den sie als Hochleistungssportler betreiben?

Nörl: Mein Jahr sieht so aus, dass ich am 1. Mai mit dem Training beginne. Bis Ende August mache ich fast nur Athletik. Sechs Tage die Woche, zwei bis drei Einheiten am Tag. Dann gehen wir ab September auf Schnee. Drei von vier Wochen bin ich dann unterwegs. Das geht bis Dezember, wenn die Wettkämpfe beginnen. Dann wird es ein bisschen ruhiger, was das Training betrifft. Es ist ein Vollzeitjob. 

Und wer kümmert sich um das Material?

Nörl: Wir haben drei Techniker bei uns im Team, die für uns die Bretter machen. 

Wie viele Snowboards haben Sie?

Nörl: Ungefähr acht, mit denen ich gerade aktiv fahre. Bis auf eins haben die aber immer die Techniker mit dabei. Nur mein Trainingsbrett habe ich bei mir. 

Die Techniker kümmern sich dann also darum, dass die Bretter für die jeweiligen Bedingungen angepasst werden?

Nörl: Genau. Ich kenne mich da auch nur bedingt aus. Die wählen aus und sagen am Schluss: Damit fährst du jetzt. Und das machen die ganz gut. 

Im Langlauf beispielsweise ist das Material extrem wichtig. Die Norweger betreiben da einen extremen Aufwand und sind tonangebend. Ist das im Snowboardcross auch so?

Nörl: Es spielt wahnsinnig mit rein. Gerade wenn du überholen willst, ist ein Brett, das läuft, schon enorm hilfreich. Ich würde jetzt zwar nicht sagen, dass wir einen riesigen Technikvorsprung haben. Aber wir haben bei jedem Rennen extrem schnelle Bretter. Das ist immer klar. Viele andere Nationen haben auch gute Bretter, aber die haben eben auch mal einen Ausreißer nach unten drin, wenn das ganze Team plötzlich schlechte Platzierungen fährt. Das kommt bei uns in den letzten Jahren quasi nicht vor. 

Der Aufwand als Snowboard-Profi ist ganz offensichtlich enorm. Wie kommt man den finanziell damit über die Runden?

Nörl: Ich habe ein paar Sponsoren, die mich auch gut unterstützen. Vor allem bin ich aber bei der Bundeswehr als Sportsoldat. Ohne die würde es überhaupt nicht funktionieren. 

Ist die Bundeswehr auch für die Zeit nach der Karriere eine Option?

Nörl: Schön wäre es. Ich würde gerne bei der Bundeswehr bleiben. 

Sie sind Familienvater und haben zwei Kinder. Wie bekommen Sie den Sport und die Familie unter einen Hut?

Nörl: Letztendlich macht meine Frau wahnsinnig viel. Im Winter bin ich einfach oft unterwegs. Ein bisschen gleicht es sich über das Frühjahr und den Sommer wieder aus, weil ich da eher zuhause bin. Ich lebe und trainiere dann in Sonthofen und habe kurze Wege. Trotzdem ist es für meine Frau schon ein riesiger Aufwand. Andererseits gibt es eben auch Leute, die sind das ganze Jahr auf Montage. Im Vergleich zum normalen Bürojob bin ich aber schon viel unterwegs. 

Fühlen Sie sich für den Aufwand und die Erfolge ausreichend gewürdigt? Oder fahren die Snowboarder zu weit unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung?

Nörl: Wir merken schon, dass wir keine wirkliche Aufmerksamkeit bekommen. Als ich letztes Jahr den Gesamtweltcup gewonnen habe, war das dem ZDF ganze zehn Sekunden wert. Das ist schon bitter. Früher haben wir uns immer eingeredet, dass das alles anders wird, wenn wir vorne mitfahren, weil der Zuschauer Erfolge sehen will. Mittlerweile haben wir die Erfolge, aber wir kommen trotzdem nicht vor. Es wird ein bisschen besser, aber sehr schleppend. Wirklich ernst genommen fühlt man sich in Deutschland nicht. Das ist in anderen Nationen wie den USA zum Beispiel ganz anders. Australien ist da auch sehr gut. Gefühlt ist eigentlich jede Nation besser als Deutschland. 

Warum ist das so?

Nörl: In Deutschland wird sehr viel Wert auf die traditionellen Sportarten gelegt. Da kommt an einem Wintersportwochenende ganz klassisch Biathlon, Skispringen, Ski alpin, dann Rodeln und Bob und dann wird’s schon dünn. Letztendlich muss man aber auch sagen, dass wir uns im Vergleich zum Sommersport – Fußball ausgeklammert – gar nicht so sehr beschweren dürfen. Die haben ja teilweise noch schlechtere Medienpräsenz. Da wird vielleicht mal ein Großereignis gezeigt und sonst gar nichts. 

 
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