Irgendwie hat Linus Straßer das Gefühl, als sei der vorige Winter erst jüngst zu Ende gegangen. Jenes Ski-Jahr mit seinem tränenreichen Triumph in Kitzbühel, dem Double gleich danach in Schladming, den drei weiteren Podestplätzen, dem zweiten Platz in der Slalom-Gesamtwertung. „Gefühlt war die Saison eigentlich erst gestern vorbei”, sagte der Münchner zuletzt.
Das war natürlich etwas geflunkert: Deutschlands bester Skirennfahrer hat im Sommer viel trainiert, unter anderem vier Wochen in Argentinien. Nebenher kaufte er mit seiner Frau am Münchner Stadtrand ein Haus, renovierte dieses und genoss die Zeit mit der kleinen Tochter. Mit dem Weltcup-Slalom im finnischen Levi am kommenden Sonntag (10.00/14.00 Uhr/MEZ/BR und Eurosport) wird es für Straßer nun aber wieder ernst.
Lieber Kristall als Edelmetall
Die Saisonziele sind groß: Klar, WM-Edelmetall im Februar in Saalbach-Hinterglemm wäre schick. Noch größeren Wert legt der Sportler des TSV 1860 München aber auf den Weltcup, nachdem er vorige Saison die kleine Kristallkugel für den Jahresbesten im Torlauf knapp verpasst hatte. „Ich würde die Kugel immer einer Medaille vorziehen”, sagte er.
Der Weltcup sei viel schwieriger zu gewinnen. „Eine Kugel kann nicht passieren, da kannst du nicht mal einen glücklichen oder guten Tag erwischen wie bei Großveranstaltungen. Da musst du konstant über eine Saison gut fahren.”
Und das kann Straßer inzwischen, nachdem er jahrelang sein großes Talent verschwendet hatte. Der Sportler mit dem Lockenschopf hat die Coolness gefunden, um seinen schnellen Schwung auch in Rennen ganz unaufgeregt in den Schnee zu setzen.
Endet deutsche Durststrecke nach dreieinhalb Jahrzehnten?
Einer, der weiß, wie es Straßer auf der Piste geht - und der früher immer wieder mit dem Teamkollegen haderte - ist Felix Neureuther. Straßer galt stets als Kronprinz hinter dem deutschen Weltcup-Rekordsieger. „Für mich ist er ein Anwärter auf die Kugel und bei der WM der Medaillenkandidat schlechthin”, sagte Neureuther der Deutschen Presse-Agentur.
Straßer kann etwas schaffen, das selbst Neureuther misslang: Seit 1990 hat kein männlicher DSV-Athlet mehr eine Kristallkugel gewonnen. Damals - als Straßer noch gar nicht geboren war - holte Armin Bittner seinen zweiten Slalom-Gesamtsieg nacheinander. 1986 hatte Markus Wasmeier in der Super-G-Wertung gejubelt - und das war's schon mit den Kristallkugeln für deutsche Männer. Endet bald die lange Durststrecke?
„Der Linus war die Nummer zwei im Slalom, also gibt es nur noch ein Ziel”, meinte Chefcoach Christian Schwaiger. Im Vorjahr hatte Straßer gegenüber dem Österreicher Manuel Feller wegen eines schwachen Saisonbeginns viele Punkte verloren. Das soll diesmal in Levi und eine Woche später in Gurgl besser klappen, „darauf liegt mein größter Fokus”, sagte Straßer zu dem Rennen am Polarkreis kurz nach seinem 32. Geburtstag.
DSV-Fokus nach etlichen Ausfällen noch mehr auf Straßer
Der Druck ist gewachsen. Nach den Rücktritten der Abfahrer Thomas Dreßen und Josef Ferstl sowie den gesundheitlichen Problemen bei Andreas Sander und Parallel-Weltmeister Alexander Schmid steht Straßer im deutschen Team noch mehr im Fokus. Zusammen mit Lena Dürr, die in Levi am Samstag (10.00/14.00 Uhr/MEZ/BR und Eurosport) ebenfalls als Mitfavoritin antritt, ist er der DSV-Hoffnungsträger. Er gibt sich dennoch gelassen: „Mir ist es ohnehin seit Jahren egal, was für Erwartungen von außen kommen.”
Was für Gegner kommen, das spiele ebenfalls keine Rolle. Kugel-Verteidiger Feller etwa wird wieder angreifen, die Norweger sowieso - und dann ist ja auch Lucas Pinheiro Braathen als Slalom-Bester von 2022/23 unter brasilianischer Flagge zurück. Ein Routinier wie Linus Straßer aber lässt sich durch das Comeback des Szene-Stars nicht verunsichern: „Wenn du irgendwo gewinnen willst oder gut sein willst, dann musst du halt den auch schlagen.”