Auf dem Bild ist eine junge Frau zu sehen, die sich verzweifelt an einen Mann klammert, der erkennbar in einem Krankenhausbett liegt. Aus den Armen ragen Infusionsschläuche. Sein Gesicht ist nicht zu sehen, aber die fahle Hautfarbe lässt erahnen, dass er tot ist. Die Frau hat die Augen geschlossen. Es ist ein Abschied. Dieses berührende Foto voller Trauer und Verletzlichkeit postete die amerikanische Skifahrerin Mikaela Shiffrin am 2. Februar in den sozialen Netzwerken. Es war der dritte Todestag ihres Vaters Jeff. Bei einem Sturz vom Dach seines Hauses zog er sich vor drei Jahren tödliche Verletzungen zu. Unter dem Bild liefen mehrere tausend Beileidsbekundungen ein.
Im harten Kontrast dazu steht die sportliche Seite der 27-Jährigen. Längst schon ist sie im alpinen Rennsport das Maß der Dinge, auch wenn sie zum Auftakt der alpinen Ski-WM in Méribel patzte. Im Kombinationsslalom schied sie kurz vor dem Ziel, auf Gold-Kurs liegend, aus. Den WM-Titel holte stattdessen die Italienerin Federica Brignone vor Wendy Holdener (Schweiz) und Ricarda Haaser (Österreich). Die einzige deutsche Teilnehmerin Emma Aicher wurde Achte.
Der Ausfall zum Auftakt der WM dürfte für Shiffrin verschmerzbar sein
Für Shiffrin dürfte der Ausfall in der nur noch selten gefahrenen Kombination (die Zeiten aus jeweils einem Lauf Super-G und Slalom werden addiert) verschmerzbar sein. Sechs Titel hat sie schon gewonnen und will in Frankreich noch mindestens im Super-G, Riesenslalom und Slalom starten. Kaum ein Rekord, den sie nicht gebrochen hat. Unlängst auch den der erfolgreichsten Weltcupfahrerin. Mit inzwischen 85 Weltcupsiegen hat sie ihre Landsfrau Lindsey Vonn überholt, die das zähneknirschend zur Kenntnis nahm und erkennbar anstandshalber gratulierte. Denn anders als Shiffrin definierte sich Vonn immer in aller Konsequenz über den Sport. Quälte sich bis zur Selbstaufgabe, stürzte und verletzte sich mehrfach schwer, kehrte immer wieder zurück (zwischenzeitlich von einem Kamerateam begleitet) und beendete ihre Karriere erst, als ihr Körper kaum noch funktionsfähig war. Shiffrin dagegen wirkt, als könne sie von heute auf morgen irgendwo auch eine Strandbar eröffnen und Caipirinha verkaufen. Der Vonn'schen Verbissenheit setzt sie eine fast schon aufreizende Lässigkeit entgegen.
Offensiv gaben Kilde und Shiffrin ihre Beziehung bekannt
Es ist eine ganz spezielle Mischung aus schonungsloser Offenheit und dezenter Abschottung, mit der es Shiffrin schafft, trotz aller Prominenz gleichzeitig ein Mensch zum Anfassen und ein Mensch mit Privatleben zu sein. Die US-Amerikanerin gewährt immer wieder sehr persönliche Einblicke in die Tiefen ihrer Seele und bleibt doch schwer zu greifen. Damit befriedigt sie die Neugier ihrer Fans und bietet dem Boulevard gleichzeitig wenig Angriffsfläche. Für diesen Balanceakt nutzt sie mit feinem Gespür die Macht der sozialen Medien. Das gilt auch für den Umgang mit ihrer Beziehung zu dem norwegischen Speed-Fahrer Aleksander Aamodt Kilde. Offensiv hatten sie diese auf Instagram bekannt gegeben, noch ehe es die zugehörigen Gerüchte in die Klatschpresse geschafft hatten. "Ich habe das Gefühl, dass man sehr gut entscheiden kann, wie viel von seinem Privatleben man mit der Öffentlichkeit teilen möchte. Wenn Leute Fragen stellen, bei denen ich mich unwohl fühle, kann ich jederzeit sagen: Darauf möchte ich nicht antworten", sagte sie einmal der NZZ.
Shiffrin schreibt immer wieder über Selbstzweifel, Enttäuschungen und Druck
Wie kaum eine andere beherrscht Shiffrin das riskante Spiel mit der Öffentlichkeit. Offen spricht und schreibt sie immer wieder über ihre Selbstzweifel, Enttäuschungen und den Druck der Erwartungen, unter dem sie steht. Zum Beispiel, als sie nach den Olympischen Winterspielen in Pekingmit leeren Händen abreiste. Sechs Medaillen hätte sie gewinnen können, es wurden null - eine der größten Überraschungen dieser Spiele. "Ehrlich gesagt habe ich Olympia immer in meinem Kopf, das waren unglaublich enttäuschende Erlebnisse", sagte sie kurz vor der WM in Mèribel. Und lächelte dabei, denn es ist eine ihrer wichtigsten Eigenschaften, sich selbst und ihre Erfolge nicht zu wichtig zu nehmen. Zumindest erweckt sie diesen Eindruck. Wissen können das nur ihr engstes Umfeld und ihre PR-Berater. Vielleicht, man mag es nicht glauben, ist das alles auch nur das Ergebnis einer cleveren Marketingstrategie. Sicher ist, dass Shiffrin der wahrscheinlich größte Star des Skisports ist und dementsprechend gut dotierte Werbeverträge hat.
Nicht geplant war allerdings, was schon jetzt die lustigste Anekdote dieses Winters ist. Während eines Live-Interviews im ORFhatte sie offen darüber gesprochen, dass sie gerade in einem ungünstigen Zeitpunkt ihres monatlichen Zyklus sei. "Deshalb bin ich noch müder als sonst." Der Simultanübersetzer des österreichischen Fernsehens allerdings verwechselte "monthly cycle" mit "to cycle", und so bekamen die Zuschauer in Österreich Folgendes zu hören: "Ich komme nicht einmal zum Radfahren, weil ich zu müde bin." Das Gelächter war groß. Shiffrin nahm es mit Humor und reagierte cool. Wenig später veröffentlichte sie ein Video, das die 27-Jährige auf einem Fahrrad zeigt. Im Hintergrund lief der alte Queen-Klassiker „Bicycle Race“.