Wie haben Sie die letzte Nacht verbracht? Nicht gerade eine Frage, die sich bei Fremden geziemt. In diesem Fall ist sie erlaubt. Familie Beck hat die vergangene Nacht so verbracht wie die zum vergangenen Samstag: am Livestream mitfiebernd mit der Tochter und Schwester, die nun Doppelweltmeisterin ist. "Um 2 Uhr hätte ich nicht mein Nachbar sein wollen", scherzt Vater Alexander Beck. Der Jubel zu Hause im Würzburger Frauenland scheint laut gewesen zu sein, nachdem Leonie Beck bei der Freiwasser-WM im fernen Japan auch über fünf Kilometer zu Gold schwamm.
"Unglaublich! Ich hätte niemals gedacht, dass ich jetzt noch Gold gewinnen kann", sagte die 26-Jährige danach in der Interviewzone des Momochi Seaside Parks in Fukuoka. Drei Tage zuvor hatte sich die gebürtige Augsburgerin bereits über zehn Kilometer den Titel und damit zugleich das Ticket für ihre dritten Olympischen Spiele 2024 in Paris gesichert. Am frühen Dienstagmorgen demonstrierte sie über die kurze Distanz bei mehr als 30 Grad Außentemperatur und 28,2 Grad Wassertemperatur noch einmal ihre starke Entwicklung. Lea Boy, Becks Vereinskollegin beim SV Würzburg 05, schwamm nach Platz sieben am Samstag diesmal nicht mit, sondern fieberte im Zielbereich mit ihrer Freundin mit. Auf den Plätzen zwei und drei landeten die Mitfavoritinnen Sharon van Rouwendaal (Niederlande) und Ana Marcela Cunha (Brasilien).
Wellbrock und Beck holten bereits vier deutsche WM-Titel
Florian Wellbrock legte später nach und holte über fünf Kilometer in 53:58,0 Minuten ebenfalls seinen zweiten WM-Titel vor den Italienern Gregorio Paltrinieri und Domenico Acerenza. Der gebürtige Bremer ließ sich von der brennenden Sonne und 28,2 Grad Wassertemperatur nicht aus dem Konzept bringen. Zu keinem Zeitpunkt zeigte er eine Schwäche. Wellbrock und Beck posierten für gemeinsame Goldfotos. Beide hatten sich mit ihren Siegen über zehn Kilometer am Wochenende bereits für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifiziert. Das Hauptziel war erreicht. Bei den Frauen hatte es nach der letzten Wende um eine der großen Bojen herum zunächst so ausgesehen, als habe Beck mit ihren Hauptkonkurrentinnen im Schlepptau die falsche Richtung eingeschlagen, ehe die Würzburgerin auf dem letzten Kilometer keinen Zweifel daran ließ, dass sie auch dieses Rennen gewinnen würde. Am Ende schlug sie nach einem erneut beeindruckenden Schlussspurt nach 59:31,7 Minuten mit eindeutigem Vorsprung als Erste an.
"Stolz und Freude" empfinde er angesichts der Erfolge seiner Tochter, sagt Vater Alexander Beck. Eigentlich wäre er selbst wohl wieder als Mannschaftsarzt des deutschen Teams mit in Japan gewesen, wäre er nicht an Fronleichnam bei der Gartenarbeit von der Leiter gestürzt, hätte sich das Fersenbein gebrochen und würde immer noch Krücken brauchen. Vor allem aber verspüre er auch "eine große innere Dankbarkeit": Dafür, "dass sich Leonie für ihr akribisches, ernsthaftes und diszipliniertes Training belohnt, für ihre harte Arbeit an ihrem Traum".
Becks Vorbild Thomas Lurz verfolgte das Rennen im Livestream
Nicht nur Familie Beck schlug sich wieder die Nacht um die Ohren, auch Thomas Lurz verfolgte das WM-Rennen zu Hause in Würzburg. Der frühere zwölffache Freiwasser-Weltmeister, mit dem Leonie Beck beim SV 05 trainiert hatte, als sie noch klein war. Dem sie den erfolgreichen Wechsel vom Becken ins Freiwasser nachmachte. Ihr großes Vorbild, wie sie immer wieder betont. Wie Lurz früher erntet Beck nach sportlichen Höhen und Tiefen nun die Früchte für ihren Fleiß der vergangenen Jahre.
Und das an dem Ort, an dem Lurz 2001 sein erstes internationales Freiwasser-Rennen bestritten und als Elfter nach eigener Aussage "viel taktisches Lehrgeld bezahlt" hatte. "Ich bin damals viel zu schnell gestartet und wurde am Ende von einigen überholt", erinnert sich der heute 43-Jährige, der seine Karriere 2015 beendet hat. Für seine sportliche Nachfolgerin ist der SV-05-Präsident voll des Lobes: "Leonie hat in den vergangenen Jahren unheimlich viel an Erfahrung, Taktik und Selbstbewusstsein gewonnen."
Das sieht auch Alexander Beck so. "Dank ihrer langjährigen internationalen Erfahrung und auch dank der blauen Augen, die sie in Rennen kassiert hat, verfügt Leonie inzwischen über große mentale Stärke. Sie ist nicht mehr das Küken, das Angst hat, am Anfang nicht vorne mitzuschwimmen, sondern hält sich erst mal taktisch im Mittelfeld, um am Ende nach vorne zu gehen", erklärt Beck und nennt die Schlussspurts seiner Tochter in Japan "gigantisch".
Bereits 2022 war Leonie Beck aufgrund eines starken Finishs im italienischen Lido di Ostia, einem Vorort von Rom, in dem sie seit Oktober 2021 trainiert, Europameisterin geworden. Bei Olympia in Tokio 2021, als die 26-Jährige Fünfte wurde, sei Leonies Schalter zum Freiwasserschwimmen umgelegt worden, sagt ihr Vater. "Seither hat sie richtig Spaß daran gewonnen und sich enorm weiterentwickelt." Lurz prophezeit schon jetzt: "Paris werden nicht ihre letzten Olympischen Spiele sein." Und auch das zweite Gold in Fukuoka muss nichts das letzte gewesen sein: In der Nacht zum Freitag (1 Uhr deutscher Zeit) kann Beck noch mit der Staffel um die Titelverteidigung kämpfen.
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit Leonie Beck an: