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Schweinfurt
Wie ein Kampfkunst-Mix helfen soll, ein besserer Mensch zu werden
Eine deutsch-niederländische Freundschaft sorgt dafür, dass Brazilian Jiu-Jitsu auch in Schweinfurt angekommen ist. Was hat es damit auf sich?
Im Brazilian Jiu-Jitsu, hier Uwe Reinhard und Gheorghe Catranji (oben) beim Training, braucht's viel Konzentration.
Foto: Alexander Metzger | Im Brazilian Jiu-Jitsu, hier Uwe Reinhard und Gheorghe Catranji (oben) beim Training, braucht's viel Konzentration.
Steffen Krapf
 |  aktualisiert: 14.02.2022 02:19 Uhr

Kemail Verhoeven nippt an seinem Glas mit Gin, nickt anerkennend und kippt das bereitstehende Fläschchen Tonic dazu. Der 53 Jahre alte Niederländer blickt am vergangenen Samstagabend zufrieden in die neunköpfige Runde in einem Schweinfurter Tex-Mex-Lokal. Er ist der einzige Nicht-Schweinfurter am Tisch, aber Verhoeven scheint auf der ganzen Welt zuhause zu sein, er lacht und feixt, alle Blicke der Gruppe sind meist auf ihn gerichtet.

"Der Schwarzgurt hat bei uns immer das Sagen. Wir sind keine Demokratie", sagt er und zwinkert mit einem Auge. Vorangegangen war ein gemeinsames Seminar im Brazilian Jiu-Jitsu – kurz: BJJ, abgehalten in Unterdürrbach von Verhoeven, einem absoluten Crack dieser Sportart, die ab 2024 olympisch werden könnte und sich immer größer werdender weltweiter Popularität erfreut.

Nicht alles ist erlaubt

Bei BJJ handelt es sich um eine Abwandlung und Weiterentwicklung der japanischen Kampfkünste Judo und Jiu Jitsu. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf dem Bodenkampf, aber auch auf Wurftechniken. Geschlagen und getreten werden darf nicht. Der Kampf wird durch Hebel und Griffe mit Armen und Beinen in verschiedensten Positionen im Eins gegen Eins bestritten. Angewandt wird BJJ auch im Mixed Martial Arts (MMA), dem Kampfsport, in dem nahezu alles erlaubt ist. Ohne die Verteidigung am Boden, die das BJJ lehrt, kommt dort kaum einer aus.

Verhoeven direkt gegenüber sitzt Alexander Metzger. Ohne den 35-Jährigen aus dem Schweinfurter Stadtteil Bergl wäre es nie zu diesem niederländisch-unterfränkischen Austausch gekommen. Dabei führte der gemeinsame Weg aber eigentlich über einen Brasilianer, der in New York lebt und eine wahre Legende in seiner Welt ist: Renzo Gracie.

Lernen vom Großmeister

Wer sich mit BJJ beschäftigt, stößt unweigerlich auf den Familiennamen "Gracie". Die Brüder Carlos und Hélio Gracie galten Anfang 1900 als die Urväter der Kampfsportart. Die Nachkömmlinge führten die Dynastie fort. Noch heute führt im BJJ kein Weg an den Gracies vorbei.

Metzger, der zuvor schon im Kampfsport daheim war, unter anderem im Combat Sambo und MMA, wollte unbedingt BJJ erlernen. Dazu schrieb er ganz frech Renzo Gracie eine E-Mail, dass er von ihm lernen möchte. Die Antwort aus New York war zuvorkommend, hatte aber einen Haken: Der Schweinfurter hätte dazu in die USA ziehen müssen.

Lernen vom Großmeister: BJJ-Seminar mit den 'Renzo Gracie Schweinfurt'-Kids und Headcoach Kemail Verhoeven (links im Bild) von 'Renzo Gracie Holland'.
Foto: Alexander Metzger | Lernen vom Großmeister: BJJ-Seminar mit den "Renzo Gracie Schweinfurt"-Kids und Headcoach Kemail Verhoeven (links im Bild) von "Renzo Gracie Holland".

Verhoeven ging diesen Weg. Er lebte fünf Jahre am "Big Apple" und saugte das Wissen Renzo Gracies in sich auf. Zurück in Europa, durfte er den Namen des Großmeisters benutzen und künftig auch anderen verleihen. So kommt es, dass sich am vergangenen Wochenende "Renzo Gracie Holland" und "Renzo Gracie Schweinfurt" trafen.

"Zwischen uns liegt ein weiter Weg. Schwer zu laufen, aber möglich", sagt Verhoeven und lacht herzlich dabei. Als Headcoach von "Renzo Gracie" in Westeuropa ist er ständig auf Achse für seine große Leidenschaft BJJ. In der Heimat betreibt er zwei BJJ-Schulen und betreut 13 Ableger in Europa.

Den eigenen Körper verstehen

Eine davon seit gut einem Jahr in Schweinfurt. Mit einer Trainingsgruppe aus rund zehn Männern und einer Frau treffen sie sich seither mehrmals die Woche zu verschiedenen Trainingsformen in ihren Räumlichkeiten des AC 82 am Bergl. "Wir sind ein ganz buntgemischter Haufen", berichtet Metzger. Vorkenntnisse oder Erfahrung im Kampfsportbereich braucht es keine. Ein Mitglied, das mittlerweile in Australien lebt, kam etwa, um etwas gegen seine Depressionserkrankung zu tun. "Das half ihn sehr, um mit seinem Körper klarzukommen", erklärt Metzger.

Auch regelmäßige Reisen zu Verhoeven ins 555 Kilometer entfernte Breda gehören für die Schweinfurter dazu. Der Niederländer dient als Lehrmeister und "Spirit Animal" zugleich. Metzger, der mittlerweile den lilafarbenen Gurt trägt, sagt: "Durch ihn brenne ich noch viel mehr für BJJ. Wir trainieren hart, wir lachen gemeinsam und nach dem Training..."

"Unsere Sportart ist so anders, dafür kannst du dich vorher gar nicht fit machen."
Großmeister Kemail Verhoeven über Brazilian Jiu-Jitsu

Verhoeven zeigt auf sein Glas und bestellt sich seinen zweiten Gin Tonic. Die Chemie zwischen den Kämpfern müsse immer stimmen, erklärt er. "Die Schweinfurter sind auf einem guten Weg." Wichtig sei es, dass die Kämpfer ruhig auf der Matte werden, Fehler vermeiden und die Bewegung des eigenen Körpers lernen zu verstehen.

Alexander Metzger (rechts) aus Schweinfurt zu Besuch im niederländischen Breda bei 'Renzo Gracie Holland' bei seinem Headcoach Kemail Verhoeven.
Foto: Metzger | Alexander Metzger (rechts) aus Schweinfurt zu Besuch im niederländischen Breda bei "Renzo Gracie Holland" bei seinem Headcoach Kemail Verhoeven.

"Du brauchst einhundert Prozent Konzentration für den Sport, weil er so komplex ist – aber gleichzeitig auch lustig. Es bringt dir Ruhe in deinen Kopf", findet Verhoeven. "Es ist ganz schwarz-weiß. Jiu-Jitsu magst du oder eben nicht. Du musst es ausprobieren." Die körperlichen Voraussetzungen spielen keine Rolle. "Unsere Sportart ist so anders, dafür kannst du dich vorher gar nicht fit machen."

Einen großen Vorteil hätten daher Kinder, für die Hinfallen, sich rollen und miteinander rangeln, noch etwas völlig Natürliches darstelle. Auch in Schweinfurt gibt es eine Kindergruppe, trainiert von Alexander Metzger. Der gelernte Erzieher schwärmt vom Training mit den Kids, von denen die jüngsten erst drei Jahre alt sind.

Das Seminar als Highlight

Als Jahres-Highlight wurden die Kinder am Freitag in einem Seminar von Verhoeven trainiert. Einige bekamen dabei ihre ersten Auszeichnungen. "Das war mega", sagt Metzger: "Man konnte die Begeisterung in den Augen der Kindern sehen, wie sich über das Erfolgserlebnis gefreut haben."

Durch BJJ werde außerdem das Selbstvertrauen der Kinder gestärkt, auch um etwa gegen Mobbing in der Schule vorzugehen, ist Verhoeven überzeugt. Überhaupt gilt im BJJ – für Jung und Alt: "Wir wollen jedem dabei helfen, ein besserer Mensch zu werden", sagt Verhoeven, lehnt sich zufrieden zurück und blickt auf seine Schweinfurter Jungs.

 
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