Nach eineinhalb Minuten in der zweiten Runde geht Stanko Jermelic erstmals zu Boden. Kurz darauf wird der Kroate von Raphael Rogers mit zwei harten Körpertreffern gleich wieder auf die Bretter geschickt. Rogers, ein Kind des Schweinfurter Stadtteils Bergl, feiert an diesem Tag, dem 19. Dezember 2020, in München mit 34 Jahren sein Debüt im Profiboxen. Rogers dominiert seinen Gegner und gewinnt den Kampf nach vier Runden einstimmig nach Punkten.
„Er war völlig überfordert“, sagt der Live-Kommentar über Rogers Gegner. Raphael Rogers ist angekommen in einer neuen Episode seiner ungewöhnlichen Sportlerlaufbahn. Im Münchner Boxstall Lions Sport Promotions des früheren IBF-Weltmeisters Levent Cukur, möchte der Schweinfurter Supermittelgewichtler noch einmal herausfinden, was mit einem recht späten Einstieg im Profiboxen alles möglich ist. Der US-Amerikaner Bernard Hopkins, der mit 46 Jahren noch Weltmeister wurde, oder der Deutsch-Türke Firat Arslan, der letztes Jahr mit 49 um den WM-Gürtel kämpfte, zeigten ihm, dass Profiboxen auch etwas für Spätzünder sein kann.
Rogers glüht nur so vor Energie und Enthusiasmus, auf und neben dem Boxring. „Ich boxe, um die Welt zu verändern“, sagt er selbstbewusst. Schon als Kind träumte er davon, einmal im Ring zu stehen. Lange Zeit blieb das ein unerreichbarer Traum. „Meine Mutter wollte nicht, dass ich boxe.“ Dabei war sein Vater zu seiner Zeit bei der US-Army ein erfolgreicher Boxer. Der Anblick eines Pokals in der Wohnung, den sein Vater gewonnen hatte, inspirierte ihn, erinnert er sich zurück. Seine erste sportliche Liebe wurde aber der Fußball.
Nach Stationen in der Jugend beim FC 05 Schweinfurt und später unter anderem bei FT Schweinfurt, DJK Schweinfurt und dem VfL Frohnlach in der Bayernliga folgten fast zehn Jahre beim Landesligisten SV Euerbach-Kützberg, den er heute als seinen Heimatverein bezeichnet. 2019 hängte er seine Fußballschuhe nach einer sehr ordentlichen Amateurkarriere an den Nagel. Der ganze sportliche Fokus gilt seither dem Boxen. „Aber wenn mein Heimatverein mich braucht, bin ich immer da“, sagt er. Einen wie ihn, variabel einsetzbar auf allen Positionen, könnte eigentlich jedes Team gebrauchen. „Raphi, mach die Drecksarbeit“, sagten die Trainer. „Okay, kein Problem“, lautete jedes Mal Rogers Antwort.
Rassismus als Antrieb
Er erzählt die Anekdoten mit einer ansteckenden Begeisterung. Ein stringenter Sportler, der sich nur um seine Welt kümmert, verbirgt sich hinter ihm nicht. Er möchte mit Menschen etwas bewegen, der Gesellschaft etwas zurückgeben und auf Missstände aufmerksam machen. Um Geld und Prestige geht es ihm nicht. Themen wie Rassismus oder auch seine eigene Geschichte sind ihm wichtig. Sein Tattoo auf dem linken Oberarm, das einen Löwen und den Umriss Afrikas zeigt, sollen ihn immer an seine Wurzeln erinnern. Mit den USA, dem Heimatland des Vaters, kann er nicht viel anfangen. „Die USA sind für mich die Hochburg des Kapitalismus, den ich weit von mir weise.“
Einschneidende Erfahrungen mit Rassismus musste er bislang keine machen, erzählt er. Aber gerade der Alltagsrassismus ist da, betont er gleichzeitig. Für Black Lives Matter ging er auf die Straße. Er steht hinter der Bewegung, aber ihm sind alle Leben wichtig, fügt er an. „Für mich wäre es wichtiger, wenn wir hier bei uns Missstände erkennen und dagegen etwas tun“, sagt er.
„Du kannst alles schaffen, was du willst, wenn du bereit bist zu verzichten und Arbeit reinsteckst“, so Rogers Botschaft. Er hat es vorgemacht. Mit 23 Jahren begann er mit dem Kampfsport – Kickboxen, Sambo Combat, Boxen. Nur Fußball sei ihm zu eintönig geworden, er wollte seinen Körper voll ausreizen. Seit sieben Jahren liegt der Fokus nun auf dem Boxen, seiner großen Leidenschaft. Rogers ist mit seinen 1,86 Metern und 76,5 Kilogramm Kampfgewicht ein absoluter Modellathlet. Dafür trainiert er hart. Ein Dutzend Einheiten wöchentlich, Kraft-Ausdauer am Vor- und boxspezifisches Training am Nachmittag sowie eine bewusste Ernährung gehören zu seinem Standardprogramm.
Nach über 40 Amateurkämpfen, unter anderem in der Bundesliga für den TSV Windsheim unter Coach Igor Kotter, wechselte er 2020 zu den Profis. „Wenn ich im Ring stehe, bin ich immer glücklich“, erklärt er. Das Abenteuer bei den Profis unternimmt er vor allem, um die Sportart gesamtheitlich zu verstehen. Später will er sein Wissen und seine Erfahrung jungen Menschen weitergeben, am liebsten in einem eigenen Gym in Schweinfurt.
Als "Black Panther" im Ring
Die Box-Diaspora braucht etwas Wirbel. Dafür ist Rogers genau der Richtige. „Wir wollen hier mal Champions entwickeln“, kündigt er an. Seinen Kampfstil beschreibt er als „Russische Schule mit einem New Orleansischen Flair“. „Russische Schule“ ist auf seine vielen Trainer aus Osteuropa zurückzuführen. Und der Flair New Orleans' auf die Heimatstadt seines Vaters. Auch dort stand Raphael Rogers schon mal im Ring – eine kuriose Geschichte. Bei einem Urlaub dort ergab sich die Möglichkeit auf einen Kampf. Natürlich sagte er nicht nein. „Wann hast du schon mal die Chance vor deiner Familie zu kämpfen?“, fragt er und lacht. Die Nummer nahm einen etwas unerwarteten Lauf. „Die haben mir gleich den besten Kämpfer des Stalls hingestellt, einen State Champion“. Einen Sieg konnte er seiner Verwandtschaft nicht bieten, „aber es war eine coole Schlacht. Die Familie war stolz.“
Nach seinem Profidebüt vor drei Wochen möchte der „Black Panther“, so sein Kampfname – angelehnt an die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger und Siebziger in den USA -, bald wieder in den Ring steigen. „Am besten morgen“, sagt er. Aber Corona macht die Planungen für die Promoter schwierig. Hilfe bekommt er auch von seinem Manager Stephan Brunner. Irgendwann soll ein Titelkampf in Schweinfurt steigen. „Ich will etwas zurückgeben.“ Von Raphael Rogers wird man weiterhin hören. Aufhalten lässt er sich ohnehin nicht.