Wenn der TSV/DJK Wiesentheid (1. Platz/40 Punkte) und der TSV Forst (3./36) aufeinandertreffen, sind rassige Spiele garantiert. In den letzten vier Duellen gingen jeweils die Forster als Gewinner vom Platz. Am Sonntag stehen sich die beiden Kontrahenten ab 15 Uhr in Wiesentheid im Bezirksliga-Gipfeltreffen gegenüber. Ein Mann wird dabei besonders im Fokus stehen: Fazdel Tahir, der im Hinspiel noch für den Spitzenreiter Wiesentheid kickte und nun fast klammheimlich - kurz vor Wechselfrist - beim Tabellendritten Forst unterschrieb.
Spitzenspiel. Wiedersehen mit dem Ex-Klub. Ausreichend Gründe für reichlich Nervosität. Den 29-Jährigen kann man damit aber nicht einmal ansatzweise aus der Ruhe bringen. Dafür hat der Offensivspieler, der zum Einstand für den TSV vergangenes Wochenende beim 2:2 gegen die DJK Hirschfeld mit zwei Treffern gleich einen Traumstart hinlegte, im Fußball schon viel zu viel erlebt.
Das Talent wurde ihm schon fürsorglich mit in die Wiege gelegt. Vater Wallid Tahir, der mit der Familie Anfang der Neunziger während des Golfkriegs aus dem Irak nach Deutschland flüchtete, war ein populärer Fußballer in seiner Heimat, spielte als Stürmer für die Nationalmannschaft und in der ersten irakischen Liga. "Anscheinend war er wirklich ein Guter", erzählt sein Sohn - und lacht. Die alten Seilschaften des Vaters brachten die Karriere Fazdels dann nach der Jugendzeit beim FC 05 Schweinfurt auch richtig ins Rollen. Schon im Nachwuchs der Nullfünfer machte er als großes Talent auf sich aufmerksam, schaffte unter anderem mal den Sprung in den vorläufigen Kader der DFB-Juniorenauswahl.
Im zarten Alter von 18 Jahren wechselte er in die gerade neu gegründete jordanische Profi-Liga zum Klub Kufr Soom, der von einem alten Freund seines Vaters trainiert wurde. "Ich war jung und hatte überhaupt keine Ahnung, was da auf mich zukommt", berichtet er rückblickend. Plötzlich stand er bei Spielen vor über 30 000 Fans auf dem Platz. An sein "erstes Mal", bei einem Derby in Jordanien, kann er sich noch ziemlich genau erinnern: "Das war eine Katastrophe. Ich war sehr, sehr nervös, konnte fast gar nicht geradeaus laufen, meine Beine haben gezittert."
In der Halbzeitpause nahm ihn dann ein Gegenspieler zur Seite - es soll sich dabei um den damals besten Spieler Jordaniens gehandelt haben. Dieser erklärte ihm, dass er auf dem Spielfeld in den "Tunnel" müsse. Die ohrenbetäubenden Gesänge und Beschimpfungen der Fans und das ganze Drumherum müsse er komplett ausblenden und sich auf sein Spiel konzentrieren.
Zwei Jahre als Profi sind genug
"Das werde ich nie vergessen", sagt Tahir bei einem Kaffe in der Schweinfurter Innenstadt. Gerade die menschlichen Gesten bedeuten dem "Straßenkicker", wie er sich selbst bezeichnet, mehr als Ruhm und Erfolge. "Mir war es immer wichtig, ich selbst zu bleiben, nie abzuheben oder arrogant zu werden", erzählt er. Das verlangt er auch von anderen. Gerade im Königsstaat verdiente er als Youngster reichlich. Auf die starken Leistungen in der "Jordan League" folgten damals Einsätze für die U 19 seines Geburtslandes Irak, für die er dann auch bei der Asienmeisterschaft in China aufspielte. Zwei Jahre Abenteuer in der Ferne sollten aber genügen. Das Heimweh nach Deutschland wurde zu groß.
Mit "vielen Erfahrungen" im Gepäck ging es zurück nach Unterfranken, wo ihn Dieter Wirsching 2011 zu den Würzburger Kickers lockte. Erstes Tor im ersten Spiel, Aufstieg in die Regionalliga nach einem halben Jahr - so lautete Tahirs verheißungsvolle Startbilanz am Dallenberg. Nach der Saison 2012/13 mit 20 Einsätzen, aber insgesamt weniger Spielzeit als er es sich wünschte, wechselte der frühere Schweinfurter weiter zum Würzburger FV.
Der Sport kommt nur noch an dritter Stelle
Dass die Profikarriere wohl nicht mehr richtig Fahrt aufnehmen würde, war ihm da schon bewusst. "Irgendwann muss man einfach Realist sein", sagt er: "Dann muss man einen Schlussstrich unter das Kapitel ziehen." "Irgendwas" habe für den ganz großen Wurf hierzulande gefehlt, "vielleicht auch einfach die Kontakte. Ohne die geht es nicht." Sein großes Ziel hatte er ohnehin längst erreicht: "Ich wollte das schaffen, was mein Vater geschafft hat: Erste Liga spielen und Nationalspieler werden."
Heute haben sich die Prioritäten längst noch weiter verschoben. Der Fußball rutschte an die dritte Stelle, hinter Familie und Arbeit. Seit fünf Jahren ist Tahir glücklich verheiratet und lebt mit seiner Familie in Garstadt. Kürzlich durfte sich das Paar über die Geburt ihres dritten Kindes freuen. Auch im Job, als Arabisch-Dolmetscher, geht er voll auf.
Aber wenn er heute in der Bezirksliga auf dem Platz steht, ist es irgendwie wieder wie vor 30 000 Zuschauern in Jordanien - dann geht es ab in den "Tunnel". "Auf dem Platz vergesse ich alles", beteuert er. Der "Straßenkicker" geht eben immer noch voll zur Sache. "Ich bin nicht nach Forst gekommen, um nur etwas Spaß zu haben." Bei seiner Zusage versprach der offensive Mittelfeldmann übrigens, mit dem TSV aufzusteigen. "Und ich halte meine Versprechen - immer."