
Aufgeben. Dieses Wort existiert nicht für Udo Hofer. Seit 1965 steht der Karateka auf der Matte, doch seinen größten Sieg feierte er im Leben. Das ihm auch seine schlimmste Niederlage bescherte. Er hat den Krebs bezwungen und seine Tochter an ihn verloren. Da bekommt der vor wenigen Wochen verliehene 7. Dan, den in Deutschland nicht viele Menschen in dieser Sportart tragen dürfen, eine zusätzliche Bedeutung: Er ist nicht nur Auszeichnung, er ist Würdigung.
Vor 78 Jahren wurde Udo Hofer geboren, der Militärdienst führte ihn in den 1960ern nach Wildflecken, wo er dort ebenfalls stationierte US-Amerikaner kämpfen sah. Karate. Mann gegen Mann, Disziplin, Achtsamkeit, Ehrerbietung und die asiatische Philosophie des Kämpfens - das begeisterte den jungen Mann derart, dass er kurz darauf selbst auf der Matte stand. Zurück in Schweinfurt, schloss er sich der TG 48 an, begab sich in die Obhut des japanischen Sensai (Lehrmeister) Hisatake.

Von 1967 bis 1971 war Hofer Mitglied der deutschen Nationalmannschaft, je einmal Zweiter und Dritter der deutschen Meisterschaft und EM-Fünfter. 1972 gründete er den Karateverein Schweinfurt, inzwischen in Budokan umbenannt und bis heute seine sportliche Heimat. Bu-do-kan: Die drei Silben stehen für Samurai (Krieger), den Weg und den Ort an dem der Samurai den Weg findet.
Wenn sich Japaner vor Udo Hofer verneigen
"Früher musste ich mich immer vor dem Kampf vor den Japanern verneigen. Heute müssen sich viele Japaner vor mir verneigen", sagt Hofer, den Stolz ins Gesicht geschrieben über die Anerkennung von Kämpfern aus dem Mutterland des Karatesports. Er trägt neben dem schwarzen "zu besonderen Anlässen") auch den rot-weißen Gurt (ab 6. Dan) - und nunmehr den 7. Dan.

Eine Auszeichnung, die man nicht eben bei einer Gürtelprüfung mit ein paar exakten Formenläufen abstauben kann. Ein Kandidat muss sich schriftlich bewerben, ein Jahr vorbereiten. Dann prüft der Deutsche Karateverband (DKV), die mit über 100000 Mitgliedern einzige vom IOC anerkannte nationale Dachorganisation, nicht nur die Qualifikation, sondern auch die Lebensführung. Neben dem sportlichen Programm ist eine schriftliche Ausarbeitung abzuliefern. Hofer schrieb über "Karate in Deutschland gestern und heute" - und überzeugte die Prüfer. Ein paar Handvoll Träger des 7. Dans gibt es hierzulande, den 9. Dan tragen lediglich zwei Deutsche, den 10. und höchsten Dan keiner. "Ich bin jetzt ein Kyoshi", sagt der kantige Typ ohne Haupthaar, spannt kurz die Muskulatur an und entspannt sofort wieder.
Krebs, Chemo und Bandscheiben-Op
Hofer ruht in sich. Eine Eigenschaft, die ihn der Sport gelehrt, und ihm im Leben schon mehrfach geholfen hat. Vor 25 drohte dem damaligen Verwaltungsangestellten der Stadt Schweinfurt eine Niederlage, wie er sie aus Wettkämpfen nicht gekannt hatte: Die niederschmetternde Diagnose nach einer Vorsorgeuntersuchung lautete Krebs. Es folgten die Entfernung des Magens, eine Chemotherapie und "fünf Jahre Schwebe: Wird das gut gehen". Es ging gut, Hofer gilt als geheilt. "Der größte Sieg meines Lebens." Nicht der einzige Triumph abseits der Sporthalle: Auch drei Bandscheiben-OPs von Hals bis Lendenwirbel und die Prognose "nie mehr Karate" hatten ihn nicht von der Matte gefegt.

Udo Hofer mag die Bezeichnung "harter Hund" nicht hören und scheint dennoch einer zu sein. "O.k., ich lag zig mal am Boden und stand immer wieder auf. Unser Vereins-Leitspruch lautet: Nicht aufgeben führt zum Erfolg." Dürfte er sich auch letztes Jahr gedacht haben, als sich der Krebs mit einem Ei-großen Lymphom am Hals zurückgemeldet hatte und eine neuerliche Chemo nötig wurde. "Die Chemo war brutal, da hast du erstmal keine Lust auf Lumpereien. Wenn du dann den Arzt fragst, wie lange es noch geht, er dir keine Antwort geben kann, dann aber nach Monaten Grünes Licht gibt, dann fliegst du aus der Praxis wie ein Kolibri."
Der schwere Weg ans Grab der Tochter
Vor sieben Jahren jedoch musste Udo Hofer leidvoll erfahren, dass auch schwere Niederlagen zum Leben gehören. Im Alter von nur 47 Jahren verstarb seine Tochter Petra, sein einziges Kind, an Bauchfellkrebs. "Meine größte Niederlage, ich habe heute noch große Schwierigkeiten, auf den Friedhof zu gehen." Drei Jahre lang waren er, seine Frau Heidemarie, mit der er seit 1964 verheiratet ist, sowie sein Schwiegersohn mit Petra durch ganz Deutschland gefahren, um Hilfe zu finden. Vergebens. Wie auch der letzte Versuch in der Uniklinik Würzburg, als der Frau die Innereien entnommen wurden, um den Bauchraum mit Chemo zu spülen. "Es war nichts mehr zu machen" - Udo Hofer kommen angesichts der Machtlosigkeit immer noch die Tränen.

Sie war an einem 9. Februar geboren, an einem 9. Februar verließ sie diese Welt. Ihr behandelnder Arzt Walter Hippold, ein Karateschüler Hofers und inzwischen ebenfalls verstorben, sah darin Schicksal: "Es gibt Menschen, die bestimmen ihren Todestag selbst." Sie wählte offenbar den Geburtstag - da waren Familie und Freunde im Haus. Der Papa fragt auch heute noch "nicht nach Gerechtigkeit". Nur: "Warum stolpere ich alter Sack noch rum?" An Weihnachten ist es jedenfalls still im Hause Hofer, wo das Ehepaar lediglich den verwitweten Schwiegersohn zu Gast hat und sich auf diese Weise "wenigstens keine Sorgen um die Corona-Einschränkungen machen muss".
Eine andere Sorge plagt den 78-Jährigen, der in seinem Leben schon so viel gesehen und erlebt hat, jedoch: "Die Welt wird immer verrückter und rücksichtsloser." Was er auch im Alltag festmacht. Zusammenhalt sei Egoismus, zwanglose Geselligkeit einer aggressiven Grundstimmung gewichen. Hofer geht Ärger aus dem Weg, sieht sich jedoch als Kampfsportler mehr als noch vor 20, 30 Jahren in seiner Beschützerrolle gefordert. Die Beispiele hätten sich gehäuft. Wie das von den beiden Halbwüchsigen, die seine Frau und ihn in der Schweinfurter Innenstadt provozierten, mit einem Butterfly-Messer wedelten. "Ich habe lange zugeschaut, dann habe ich Heidemarie vorausgeschickt, den einen umgehauen, so dass der zweite lieber aufgab." Hin und wieder sehe das anders aus, wenn er offenkundig bedrängten Mädchen Hilfe anbietet: "Sie taxieren mich dann und winken ab - ja, ja, das Alter."

Das war nicht immer so. Udo Hofer war zu seiner Glanzzeit ein respektierter Kämpfer. "Im Wettkampf meines Lebens", erinnert er sich an 1968, "habe ich Dominique Valera besiegt. Da stand das riesige Leichtathletik-Stadion Stade de Coubertain in Paris Kopf." Der Franzose, in seiner Heimat eine Legende, war sechsmal Welt-, elfmal Europa- und 17 Mal Landesmeister und trägt heute den 9. Dan. Im EM-Halbfinale führte Frankreich uneinholbar mit 4:0, als Hofer den Ehrenpunkt holte und von Tausenden gnadenlos ausgebuht wurde.
Ein übermächtiger Gegner aus den USA
In Würzburg, Anfang der Siebziger, lief es mal nicht ganz so gut für den Schweinfurter. Gegner in einem Schaukampf war der berühmte US-Amerikaner Joe Corley, genannt "The Battle of Atlanta". "Der Typ war hoch und breit wie ein Kühlschrank" - Hofer hatte keine Chance. Er kämpfte damals in der offenen Klasse, im klassischen Karate. Da sind zwar harte, aber dosierte Körpertreffer erlaubt, nicht jedoch Kopftreffer. Anders als es im heute populären Mixed Martial Arts üblich ist, wo der K.o. das Ziel ist. "Das können die ja machen, wenn sie Spaß dran haben", urteilt Hofer diese Ultimate-Fighting-Kämpfe nicht ab, gibt jedoch zu bedenken: "Das sind Profis. Wenn du Arbeitnehmer bist, kannst du am Montag nicht verhautem Kopf auftauchen."

Auch die legendären Karate-Kid-Filme oder die Streifen mit Bruce Lee oder Chuck Norris zieht Hofer keinesfalls ins Lächerliche: "Die Aussage der Karate-Kid-Filme ist: Wer viel trainiert, kann viel ertragen; wer viel erträgt, wird viel Erfolg haben. Da geht es um Schnelligkeit und Präzision, aber nicht um hemmungsloses prügeln." Lee, der selbst nie einen offiziellen Wettkampf bestritten hatte, attestiert er "eine exzellente Technik", Norris "eine enorme Fighter-Mentalität", die er im Vollkontakt-Karate, das es so in Deutschland kaum gibt, auch benötigt habe.
Die freudvolle und edle Senioren-Truppe
Selbst kämpft Udo Hofer längst nicht mehr. Mit 50 bestritt er seinen letzten Masters-Cup. "Da haben sie mir die Nase durchgehauen, da war mir klar, dass ich das nicht mehr brauche. Da gehen selbst Siebzigjährige noch zu verbissen rein, während ich lieber alte Cracks zum Babbeln getroffen habe." So gab er seine Technik und Erfahrung lieber als Trainer weiter, Kindern wie Senioren. Vor vier Jahren gründete er die Jukuren-Gruppe, deren Mitglieder über 50 sein müssen - und die mittlerweile so zahlreich wie ihr Alter sind. "Das ist die freudvollste und edelste Truppe, die ich je trainiert habe."
Der respektvollen Umgang mit dem Alter ist "Mister Karate" wichtig: "In Japan genießen ältere Menschen ein Vorrecht, werden ehrenvoller wahrgenommen als in Europa." Wenn der Vater seinem kleinen Kind etwas sage, antworte dieses "Akari-mas" - "ja, Papa". Udo Hofer reicht es, wenn Jüngere zu ihm sagen: "Für dein Alter bist du echt gut."
