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Radsport:
Zum Tod von Edi Ziegler: Olympia spielte Schicksal
Am 19. März ist das Schweinfurter Radsport-Idol im Alter von 90 Jahren gestorben. 1999 hatte ihn die Sportredaktion für eine Serie über die "Schweinfurter Sportler des Jahrhunderts" porträtiert. Hier veröffentlichen wir diesen Beitrag noch einmal im Original.
Ein wenig verkniffen schaut er trotz der Bronzemedaille schon, Edi Ziegler (links) beim Siegerbild des Olympischen Straßenrennens von Helsinki 1952. Schließlich hatten ihm die beiden Belgier Andre Noyelle (Gold/Mitte) und Robert Grondelars (Silber/rechts) schwer zugesetzt.
Foto: Marr | Ein wenig verkniffen schaut er trotz der Bronzemedaille schon, Edi Ziegler (links) beim Siegerbild des Olympischen Straßenrennens von Helsinki 1952.
Hans Strauß
Hans Strauß
 |  aktualisiert: 10.05.2020 02:10 Uhr

Ein, zwei Mal in der Woche holt Edi Ziegler das Peugeot-Rennrad aus der Garage seines Hauses in Taufkirchen, südlich von München. Die Touren durch die Voralpenlandschaft sind gut für die Gesundheit des 69jährigen - wenn man sich dabei nicht gerade das Schlüsselbein bricht. Über das im Frühjahr passierte Malheur kann Ziegler schon schmunzeln: "Während meiner aktiven Zeit bin ich so oft gestürzt, aber nie habe ich mir dabei etwas gebrochen." Zwischen 1951 und 1956 war er der beste Amateurfahrer der jungen Bundesrepublik. Das ist lange her, aber nicht vergessen. Noch "viele Autogrammwünsche von jungen Leuten" erreichen Ziegler. Er schickt dann eine Fotokarte, die ihn mit dem mächtigen Siegerkranz eines seiner größten Erfolge zeigt: der deutschen Straßenmeisterschaft, errungen 1953 in Solingen.

"Sie zogen abwechselnd Spurts an, wollten mich kaputt machen. Es war klar, dass ich das nicht durchstehen konnte."
Edi Ziegler 1999 über das olympische Straßenrennen von Helsinki, in dem er Dritter wurde

Populärer aber hat Ziegler ein Stück Metall gemacht, dass er zusammen mit dem silbernen Lorbeerblatt des Bundespräsidenten im Wohnzimmerschrank verwahrt: die Bronze-Medaille der Olympischen Spiele von Helsinki 1952. Immerhin dauerte es danach 36 Jahre, bis für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bei einem olympischen Straßenrennen wieder Plätze auf dem Siegerpodest abfielen. Die Entscheidung von Helsinki liefert ein Paradebeispiel dafür, welch kluger Taktiker Ziegler im Radsattel war. 40 Kilometer vor dem Ziel war klar, dass die Entscheidung in der vierköpfigen Spitzengruppe fallen würde. Nur: Ziegler sah sich mit Noyelle, Grondelaers und Victor drei Belgiern gegenüber, die Blechmedaille schien für ihn reserviert. "Sie zogen abwechselnd Spurts an, wollten mich kaputt machen. Es war klar, dass ich das nicht durchstehen konnte", erinnert sich Ziegler. Er entschied sich dafür, "zwei fahren zu lassen und beim stärksten zu bleiben. Ich habe bestimmt, wer Gold gewinnt." Im entscheidenden Spurt um Rang drei distanzierte er Victor sicher.

Daheim in Schweinfurt gab es einen großen Empfang für Ziegler und Oskar Zeißner, seinen engen Freund und Vereinskameraden vom RV 89, der in drei Stürze verwickelt und dennoch Siebter geworden war. "Wäre ich nur bei dir geblieben, dann hätten wir Silber sicher gehabt", grämte sich Zeißner. Die ganze Stadt war auf den Beinen, als die beiden am Hauptbahnhof ankamen.

Edi Ziegler im 75. Lebensjahr
Foto: Marr | Edi Ziegler im 75. Lebensjahr

Mit 16 Jahren erlebte Ziegler im Schweinfurter Willy-Sachs-Stadion sein erstes Aschenbahn-Rennen, das von aus dem Krieg heimgekehrten Profis bestritten wurde. Es war der Auslöser für ihn, sich über Bekannte ein Rennrad zu besorgen und in den RV 89 einzutreten. "Mit wenig Trainingsaufwand hatte ich sofort gute Erfolge." Und er lebte für seinen Sport. Das bekam auch seine spätere Frau Ruth, die er 1952 kennen lernte, schnell mit. Als erstes Geschenk erhielt sie ein Fahrrad, das Edi aus gewonnen Sachpreisen zusammen gebaut hatte. "Nach Weihnachten gab es keine gemeinsamen Spaziergänge mehr, da begann seine Saisonvorbereitung und ich musste ihn auf dem Rad begleiten."

Die Verbindung mit Fichtel& Sachs brachte optimale Bedingungen. Ziegler war mit drei weiteren Fahrern des RV 89 in der Naben-Versuchsabteilung angestellt. Sie fuhren Tests auf der Langstrecke oder am Berg, um die Naben auf Verschleiß und Bruchfestigkeit zu prüfen. Mit einem Reklame-Fahrzeug der Firma ging es zu den Rennen. "Der blaue Sachs-Hanomag war gefürchtet", sagt Ziegler, denn dann wussten die anderen Fahrer, sie würden einen schweren Stand haben. Es war Firmenpolitik, dass die 89er die Torpedo-Nabe mit Rücktrittbremse fahren mussten. "Die war dreimal so schwer wie die Naben der Konkurrenz", schmunzelt Ziegler. Die leichte Leerlauf- Nabe hatte Sachs für den Profi- Sport reserviert, "aber wir haben uns daran gewöhnt."

Die Dominanz der Schweinfurter "Nabenknaben"

Härte mussten die Fahrer ohnehin mitbringen. Die Straßen waren schlecht, Betreuung durch Materialwagen unbekannt. Für den häufigen Fall eines Defekts hatte jeder Fahrer einen Schlauchreifen umhängen. Wenn allerdings die Gabel brach, wie es Ziegler bei der Weltmeisterschaft 1953 in Lugano passierte, dann war das Rennen schlicht und einfach beendet. Ohnehin bildeten die sechs Weltmeisterschaften in Folge ein rabenschwarzes Kapitel. Stets passierte etwas, nie kam Ziegler durch. Konstanz der positiven Art zeigte er dagegen im Straßenvierer des RV 89, den er als Kapitän zu sieben deutschen Meisterschaften führte. Die Dominanz der Schweinfurter "Nabenknaben" war "nur durch Freundschaft" (Ziegler) möglich. Und wenn mal einer entkräftet vom Rad kippte wie Otto Karrlein 1953 kurz vor dem Ziel in Augsburg, dann zerrten ihn die anderen wieder in den Sattel und schoben ihn mit zum Sieg.

Edi Ziegler bei einem Radrennen in den fünfziger Jahren
Foto: Manfred Marr | Edi Ziegler bei einem Radrennen in den fünfziger Jahren

Die Olympischen Spiele von Melbourne 1956 sollten der zweite Höhepunkt in Zieglers großer Karriere werden. Dass er nicht für das vierköpfige, gesamtdeutsche Aufgebot nominiert wurde, läutete ihr Ende ein. Ziegler war ein Härtefall: in den ersten vier Qualifikationsrängen hatte er nicht genug Punkte sammelt, die letzten beiden wurden aus finanziellen Gründen abgesagt. Auf der anderen Seite war Ziegler 1956 insgesamt nochmals erfolgreichster West-Fahrer. "Unsere Funktionäre haben sich gegen die aus dem Osten nicht durchgesetzt", sagt er noch heute. Seine Motivation war schlagartig weg, er fiel in ein tiefes Loch. Der Wechsel zu den Berufsfahrern war "eine Trotzreaktion", aber Ziegler wurde nicht mehr der Alte und stellte das Rad gerade 27-Jährig in die Ecke.

Heute ist die Verbitterung natürlich gewichen. Die zehn Jahre Radsport hätten ihm, sagt Edi Ziegler, "große Anerkennung und viele Freunde bis heute" gebracht.

Von Geyer bis Stumpf: Die Schweinfurter Erfolge im Radsport
Es gibt keine andere Sportart, in der Athleten aus dem Raum Schweinfurt im abgelaufenen Jahrhundert so erfolgreich waren wie im Radsport. Die Erfolgsgeschichte der Fahrer, die überwiegend aus dem RV 89 Schweinfurt kamen oder für ihn fuhren, ist eng mit der industriellen Entwicklung der Stadt verbunden. Mit der Erfindung der Stahlkugel-Schleifmaschine durch Friedrich Fischer und der Konstruktion der Torpedo-Freilaufnabe durch Ernst Sachs begann das Fahrrad seinen Siegeszug. Der Rennsport war der beste Prüfstein für die technischen Neuerungen der Schweinfurter Industrie, die Sportler genossen großzügige Unterstützung.
Lange, schwere Rennen waren die Domäne von Ludwig Geyer, der früh Profi wurde und 1934 mit dem Sieg bei der Tour de Suisse seinen größten Erfolg feierte. Fünfmal bestritt Geyer die Tour de France, fünfmal kam er an. Ebenfalls 1934 errang er mit dem siebten Platz sein bestes Ergebnis. Der große Schweinfurter Amateur der 30er Jahre war Fritz Scheller. 1936 und 1937 holte er sich jeweils die deutsche Straßenmeisterschaft. Als Vierter des olympischen Straßenrennens auf der Berliner Avus verpaßte Scheller 1936 knapp eine Medaille, bei der Weltmeisterschaft im gleichen Jahr in Kopenhagen reichte es zu Bronze. Bei den Berufsfahrern holten der Hesse Walter Löber (1939) und der Hambacher Otto Schenk (1948) zwei deutsche Meisterschaften nach Schweinfurt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Stern von Edi Ziegler und Oskar Zeißner gleichzeitig auf. Als Ziegler 1952 im olympischen Straßenrennen von Helsinki Bronze gewann, kam Zeißner nach drei Stürzen als Siebter ins Ziel. Mitte der fünfziger Jahre war Günther Ziegler der beste deutsche Bahnfahrer, obwohl er zu Hause in Schweinfurt keine Möglichkeit zum Bahntraining hatte. 1955 wurde er deutscher Flieger- Meister, ein Jahr später holte er zusammen mit dem Herpersdorfer Fritz Neusser den Titel im Tandem. Bei den Olympischen Spielen in Melbourne büßten beide durch eine Kollision mit einem russischen Paar ihre Medaillen-Chancen ein. Als Profi wurde Ziegler 1958 noch einmal deutscher Flieger-Meister und bestritt 42 Sechs-Tage-Rennen.
Zu den stärksten westdeutschen Straßenfahrern gehörte auch der für den RMC 50 Schweinfurt fahrende Reinhold Pommer. Der Haßfurter gewann 1956 in Melbourne die Bronzemedaille im Mannschaftswettbewerb, zusammen mit den Ostdeutschen Gustav "Täve" Schur und Horst Tüller. Absolute Domäne des RV 89 war das Mannschaftsfahren der Amateure über 100 Kilometer. Zwischen 1929 und 1959 gingen alleine elf deutsche Meisterschaften in dieser Disziplin an die Schweinfurter.
In der jüngeren Vergangenheit schafften es noch einmal zwei Dittelbrunner, an diese großen Erfolge anzuknüpfen. Der aus der SG hervorgegangene Dieter Burkardt wurde 1982 im Trikot der RSG Nürnberg deutscher Straßenmeister. RTC-Spross Remig Stumpf, 1987 und 1988 zweimal deutscher Meister im Zeitfahren, wechselte nach seiner Teilnahme an den Olympischen Spielen in Seoul ins Profi-Lager. Im Team Telekom wurde er bei der Tour de France 1991 zweimal Etappen-Zweiter.
 
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