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ROLLHOCKEY: 2. BUNDESLIGA
„So altbacken sind wir gar nicht“
Der Schweinfurter Jonas Knaup (rechts, hier im Spiel gegen Schwerte) fügt sich beim ERV in eine seit 1938 bestehende Tradition.
Foto: Marion Wetterich | Der Schweinfurter Jonas Knaup (rechts, hier im Spiel gegen Schwerte) fügt sich beim ERV in eine seit 1938 bestehende Tradition.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 02.04.2019 10:12 Uhr

Mit einem Ferienkurs hat Martin Krönert einst zum Rollhockey gefunden. Das war vor mehr als vierzig Jahren, zu einer Zeit, da der Sport in Bayern noch weiter verbreitet war. Heute muss man schon tief in die Nischen des Freistaats blicken, um noch ein paar Rollhockeyspieler zu entdecken. Beim ERV Schweinfurt wird der Sport auf Rollschuhen seit 1938 ununterbrochen angeboten. Seit knapp zwei Jahrzehnten leitet Krönert beim ERV die Abteilung, deren Spieler vorwiegend aus der Eishockey-Schmiede des Vereins, den Mighty Dogs, stammen. Im Interview spricht der 50-Jährige über die Reichweite und den Reiz des Rollhockeys, über eine verpasste Gelegenheit nach den Olympischen Spielen, und er korrigiert eine Falschmeldung.

Frage: Sind Ihre Fans ein Völkchen von Krawallmachern?

Martin Krönert: Nein – gar nicht. Wieso?

In Krefeld ermittelte vor zwei Jahren das Umweltamt wegen mutmaßlicher Ruhestörung gegen den Hülser SV. Anwohner hatten sich über den Lärm aus der Halle beschwert.

Krönert: Habe ich noch nie gehört. Ich kann es mir nur so erklären: Wir spielen ja mit einem Hartgummiball, und wenn der in der Halle gegen die Bande knallt, kann es schon mal laut werden. Aber grölende oder gewaltbereite Fans – bei uns, beim Rollhockey?

Alles friedfertige Leute?

Krönert: Ja, auf jeden Fall. Man darf nicht vergessen: Rollhockey ist Randsportart in Deutschland. Da hocken nicht Tausende Fans draußen. Wenn bei uns mal hundert Leute zuschauen, ist es viel – und das sind meistens Familienangehörige. Man kann Rollhockey auch nicht mit Eishockey vergleichen.

Beim Eishockey gebe es mehr Spektakel, hat der frühere Rollhockey-Trainer Ralph Stenger gesagt.

Krönert: Ja, das ist schon so. Wobei unsere Rollhockeyspieler zum Teil ja auch Eishockey bei den Mighty Dogs spielen.

Ach so.

Krönert: Ja, ohne Eishockey gäbe es in Schweinfurt nicht diesen Rollhockey-Boom. Die Spieler kommen alle vom Eishockey. Auch bei mir war das so. Eishockey geht von September bis März, Rollhockey von April bis in den Sommer.

Eishockey besteht aus Kampf und Körpereinsatz, Rollhockey aus Technik und Taktik. Kann man das auf diese Formel vereinfachen?

Krönert: Rollhockey ist schon eine andere Sportart. Da ist deutlich weniger Körper und mehr Kopf im Spiel als beim Eishockey. Es geht darum, Taktik und Technik zu vereinbaren, und das auf Rollschuhen. Rollhockey ist komplexer als zum Beispiel Fußball.

In Sven Steup war vor Jahren ein früherer Fußballprofi Rollhockey-Bundestrainer. Er ließ sich mit dem Satz zitieren: „Bisher war jeder Fußballer begeistert, wenn er ein Rollhockeyspiel live verfolgt hat.“ Wo ist der Reiz?

Krönert: Für mich als Spieler ist der Reiz, dass das Spiel unheimlich vielseitig ist. Beim Fußball müssen Sie sicherlich auch den Kopf ein bisschen einsetzen, aber ansonsten nur laufen und schießen. Im Rollhockey müssen Sie mehrere Sachen gleichzeitig tun. Vielleicht ist es das, was der Zuschauer als den Reiz dieses Sports erkennt. Man sieht Rollhockey auch nicht oft. Das ist etwas Außergewöhnliches in Deutschland, und wenn Sie sich mal unsere Rollschuhe anschauen, haben die etwas Altertümliches. Aber so altbacken sind wir gar nicht. Inliner tragen vier Rollen, die in einer Reihe angeordnet sind, bei uns sind diese vier Rollen versetzt auf dem Schuh – wie auf einem Quadrat. Das macht einen sehr wendig.

Ein Anfänger muss also erst mal lernen, Rollschuh zu fahren?

Krönert: Ja, das muss man lernen, am besten von klein auf. Eishockeyspieler haben es da leicht, weil dieses Skaten auf dem Eis vom Bewegungsablauf her ähnlich ist wie beim Rollschuhlaufen.

Die Kinder fahren heutzutage in der Regel Inliner. Viele kennen die klassischen Rollschuhe gar nicht.

Krönert: Das ist ja unser Problem. Rollschuhe gelten als altbacken, uncool. Ich glaube aber nicht, dass Rollhockey attraktiver würde, wenn man auf Inliner umstellte. Es gibt ja auch Inlinehockey.

1992 war Rollhockey Demonstrationssportart bei Olympia in Barcelona. Alle Spiele waren ausverkauft, was sonst keine andere Disziplin schaffte. Wieso hat sich der Siegeszug des Rollhockey nicht weiterverbreitet?

Krönert: In Ländern wie Brasilien, Portugal oder Spanien ist Rollhockey der Renner. Das Hauptproblem war, denke ich, dass es nicht ins olympische Programm aufgenommen wurde. Die Spanier wollten das damals pushen . . .

Voran der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, der in den 1950er Jahren mal spanischer Nationaltorwart gewesen war.

Krönert: Genau – gut recherchiert. Aber auch seine Initiative hat nichts bewirkt. Rollhockey hat es später nie mehr ins olympische Programm geschafft, sonst wären wir heute viel bekannter.

Immerhin gilt Schweinfurt als die Hochburg des Rollhockeys in Bayern mit einer Tradition, die bis ins Jahr 1938 zurückreicht.

Krönert: Das stimmt. Leider gibt es in Bayern nur noch vier Vereine, von denen nur zwei regelmäßig am Spielbetrieb teilnehmen. Das sind wir in der zweiten Bundesliga – und das ist Ansbach in der Regionalliga. Es gibt Rollhockey zwar auch in Regensburg und als Abteilung bei 1860 München. Aber die spielen nur vereinzelte Turniere. Früher gab es in Bayern zehn Mannschaften.

Sie brauchen auch die Infrastruktur. In Schweinfurt hat die Stadt gerade für fast 200 000 Euro die Rollsportanlage generalsaniert.

Krönert: Sie brauchen eine entsprechende Infrastruktur, das ist richtig. Aber bei vielen Vereinen war auch die Nachfrage nicht mehr da. Wir haben noch Nachwuchs, aber unser großer Vorteil ist, dass die Kinder vom Eishockey auch zu uns kommen können. Das ist in Deutschland fast einmalig. Andere Vereine müssen auf die Straße oder in die Schulen, um Nachwuchs zu finden. Das ist natürlich wahnsinnig schwierig.

Als Eishockeyspieler brauchen Sie meist eine teure Ausrüstung. Wie ist das beim Rollhockey?

Krönert: Ein Paar Rollschuhe kann schon mal 400 bis 1000 Euro kosten und ein Holzschläger, von denen Sie zwischen drei und fünf in der Saison brauchen, 50 bis 100 Euro. Für einen Ball müssen Sie auch etwa zehn Euro rechnen.

Bei der Recherche habe ich gelesen, dass Schweinfurt eine Zeit lang die meisten Spieler in der Rollhockey-Nationalmannschaft stellte.

Krönert: (schmunzelt) Das habe ich auch gelesen.

Stimmt nicht?

Krönert: Nein, das ist eine Falschmeldung. Wir hatten in den 1950er Jahren mal einen Nationaltorwart in Schweinfurt. Aber viel mehr gab es da nicht.

Und dass Schweinfurt 14 Mal Meister in der zweiten Liga war . . .

Krönert: . . ., ist fast korrekt. Inzwischen sind wir 15 Mal Meister geworden. Diese 14 Titel stammen aus der zweiten Bundesliga Süd. Dann wurden die Süd- und die Nordweststaffel zu einer eingleisigen Liga zusammengeführt, weil es zu wenig Teams gab. Und in dieser eingleisigen zweiten Liga waren wir vergangenes Jahr auch Meister.

Dadurch haben Sie jetzt deutlich weitere Fahrten.

Krönert: Ja. Früher war die weiteste Reise nach Gera oder an den Bodensee. Jetzt fahren wir in den Ruhrpott, wo sich die deutsche Rollhockey-Szene ballt.

Von den Fahrten her würde ein Aufstieg in die erste Liga aber keinen Unterschied machen, oder?

Krönert: Das stimmt. Aber da kommen noch andere Aspekte dazu. Wir bräuchten eine Halle, da sich die Saison in der ersten Liga über den kompletten Winter zieht. Das ist von den Kosten her vielleicht mal ein Jahr zu bewältigen, aber nicht länger. Dann ist da noch der sportliche Aspekt. Der Klassenunterschied ist gewaltig. Wir hatten im Februar ein Pokalspiel ge-gen den Vierten der ersten Liga, das wir 1:14 verloren haben. Wir würden deshalb auf unser Aufstiegsrecht verzichten. Schweinfurt stand zwischen 1995 und 1999 zweimal in der ersten Liga und hat sogar mal als Sechster abgeschlossen. Wir müssten uns verstärken, aber wir können keine Profis bezahlen.

Gibt es in Deutschland überhaupt Profi-Rollhockeyspieler?

Krönert: Unter deutschen Spielern nicht. Aber es gibt inzwischen einige ausländische Spieler – hauptsächlich Spanier oder Portugiesen –, die beim Rollhockey ihr Geld verdienen. Einige Klubs können sich das leisten. Es gab vor vielen Jahren auch mal ein, zwei Deutsche, die als Profis in Portugal spielten.

Sie spielen zum Teil selbst noch in der ersten Mannschaft für Schweinfurt. Bis zu welchem Alter kann man Rollhockey spielen?

Krönert: Das ideale Alter liegt zwischen 20 und 30. Aber wenn man fit ist und regelmäßig trainiert, geht das schon länger. Und Rollschuhfahren verlernen Sie nicht. Das ist wie Fahrradfahren.

Stichwort Rollhockey

Das Spiel: Je fünf Spieler einer Mannschaft (vier im Feld und ein Torwart) versuchen einen 170 Gramm schweren Hartgummi-Ball mithilfe von Hockeyschlägern im gegnerischen Tor unterzubringen. Sieger ist das Team mit den meisten Toren. Anders als im klassischen Hockey dürfen dazu beide Seiten des Schlägers benutzt werden. Eine Partie gliedert sich in zwei Hälften von je 25 Minuten Spieldauer. Verglichen mit dem sehr körperbetonten, als hart empfundenen Eishockey gilt Rollhockey als kultivierter, technisch ausgereifter und damit dynamischer.

Das Finale: Einen Sieg ist der ERV Schweinfurt noch vom Gewinn der Meisterschaft in der zweiten Bundesliga entfernt – und der soll an diesem Sonntag im zweiten Play-off-Duell mit dem VfL Hüls (Westfalen) gelingen. Anpfiff auf dem Rollhockeyplatz über dem Icedome ist um 15.30 Uhr. Die erste Partie entschied Schweinfurt vor einer Woche mit 7:5. Unterliegt der ERV, wird ein drittes Spiel nötig.

 
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