Man mache ein G klein und streiche einen Zwischenraum. So wurde auf Umwegen aus dem SV Türk Gücü München der SV Türkgücü München. Und aus einem Fußball-Verein, der 2001 hatte Insolvenz anmelden müssen, einer, bei dem Geld keine Rolle zu spielen scheint. Längst ist aus dem Münchner Migrantenklub nicht nur ein Verein, sondern ein Projekt geworden. Noch als SV Türkgücü-Ataspor im Sommer aus der Bayernliga aufgestiegen, stehen die Türken (ohne Ataspor) nun an der Spitze der Regionalliga Bayern, die sie als Durchgangsstation zur Zweiten Liga sehen. Am Montagabend (20.15 Uhr, Willy-Sachs-Stadion) wollen sie ihrem Traum vom Profifußball mit einem Sieg beim Tabellenzweiten FC 05 Schweinfurt ein Stückchen näher kommen.
Zwei Meisterschaften hintereinander soll der dritte Aufstieg möglichst gleich im ersten Jahr folgen. Schließlich hat SV-Präsident Hasan Kivran ("ich bin kein Verwalter, eher ein Entwickler") 2017 beschlossen, mächtig zu investieren und das nicht ohne Zielvorgabe: Türkgücü soll in München zweite Kraft werden, hinter den Bayern, vor dem TSV 1860. Der Geschäftsführer einer Leasing-Firma soll einen hohen sechsstelligen Betrag in die den Verein gesteckt haben, der in der aktuellen Saison über einen Etat von über 1,5 Millionen Euro verfügt. Vergleichbare Mittel hat in der Regionalliga lediglich der drei Punkte zurückliegende Titel-Konkurrent Schweinfurt.
Finanzkräftige Kooperationspartner
Dass die Dritte Liga unrentabel sei, hat Kivran ("dort gibt es die meisten Insolvenzen") bereits geäußert und offen die Zweite Liga ins Feld geführt. Potente Geldgeber hat der umtriebige Geschäftsmann ins Boot holen können, wie Global Player aus der Reise- (FTI) und Lebensmittel-Branche (Gazi), oder Trikotsponsor AON, der auch mit Manchester United kooperiert hatte und derzeit beim FC Parma wirbt. Für den Fall des ersten Aufstiegs eines türkischen Teams in den deutschen Profi-Fußball, also zunächst in die Dritte Liga, hat offenbar Turkish Airlines seinen Einstieg angekündigt - was der Verein hartnäckig nicht kommentieren will.
Bevor es so weit sein kann, müssen aber erst einmal die Angestellten der Türkgücü München Fußball GmbH, von der 99 Prozent der Geschäftsanteile Kivrans Firma HK Erste Vermögensverwaltungs- und Beratungs-GmbH hält, ihre Arbeit erledigen. Kaderplaner Robert Hettich hat seinen Job offenbar genauso vorzüglich erledigt wie Trainer Reiner Maurer: Die 20 Neuverpflichtungen bilden mit dem verbliebenen Rest von vier Spielern aus der Vorsaison bereits ein harmonierendes Team. Neue Leistungsträger wie Marco Holz (aus Saarbrücken gekommen), Patrick Hasenhüttel (Ingolstadt, 9 Tore), Benedikt Kirsch (Fürth) oder Mario Erb (Uerdingen) erfüllen die in sie gesetzten Erwartungen, Spieler wie Sechs-Tore-Mann Kasim Rabihic (Pipinsried) übertreffen sie gar. Da ist der ehemalige Zweitliga-Angreifer Karl-Heinz Lappe nur zweite Wahl.
Im Sommer dazu gestoßen ist auch ein Ex-Schweinfurter: Dominik Weiß, 2017 erst aus Burghausen zum FC 05 gekommen, zog es nach zwei für ihn wechselhaften Spielzeiten zum Aufsteiger. Bislang elf Mal wurde der offensive Außenbahn-Spieler bei den Münchnern eingesetzt, dabei gelangen ihm drei Tore. "Wir haben hier eine prima Mischung aus Teamgeist und herausragenden Einzelspielern", bereut er seinen Transfer nicht. "Natürlich würde ich gerne noch öfter spielen, aber hier ordnen sich alle dem großen Ziel Aufstieg unter. Egal, welchen Namen man hat, oder wie alt man ist."
Coach Reiner Maurer, der 146 mal für den TSV 1860 München gespielt und die Löwen auch mehrere Jahre (zuletzt 2010 bis 12) trainiert hat, wird gerne als Königstransfer bei Türkgücü gehandelt. Er übernahm den Aufsteiger in diesem Jahr von Andreas Pummer, der aber im Trainerstab verblieben ist. Weiß ist begeistert von dem 59-Jährigen: "Er geht korrekt mit uns um und hat in kurzer Zeit aus den vielen Neuen eine gut funktionierende Mannschaft gemacht."
Dass die jetzt Schweinfurt überholt hat, werde intern registriert, aber nicht überbewertet. "Wir sind froh, dass wir die Schweinfurter Patzer ausnutzen konnten, aber selbst ein Sieg am Montag wäre keine Vorentscheidung." Weiß will noch bis zur Winterpause an der Münchner Erfolgsstory mitwirken, dann soll er operiert werden. Unlängst wurden zwei Leistenbrüche bei ihm diagnostiziert. Im Frühjahr will der 24-Jährige wieder spielen können.
Noch zieht sein Klub, in dessen Kader mit nur fünf auffallend wenige türkisch-stämmige Akteure stehen, nicht das große Publikum. 444 Zuschauer sind's im Schnitt. Zum Vergleich: Der FC 05 hat über 1500 Fans bei seinen Heimspielen. Kivran ("wenn wir es schaffen, einen Verein zu installieren, der für die ganze Stadt steht, können wir auch die vielen türkischen Einwanderer mobilisieren") und Hettich schreiben das dem stadtfernen und nicht U-Bahn-angebundenen Spielort zu.
Stadionbau nicht ausgeschlossen
Die größten Sorgen bereitet Türkgücü München nämlich die Suche nach einer geeigneten Spielstätte. Allzu gerne wäre Kivran mit seinem Team, das bis zur Winterpause auf der Anlage des SV Heimstetten in Münchens Norden untergebracht ist, ins Grünwalder Stadion gezogen - das wurde ihm jedoch erst für die Restrunde 2020 zugebilligt. Das altehrwürdige Stadion ist mit dem FC Bayern München II, dem TSV 1860 München und den Bayern-Frauen ohnehin gut ausgelastet. Das Dante-Stadion, früher Heimat des SV Türk Gücü mit großem G und Zwischenraum, ist Spielort des American-Football-Teams Munich Cowboys und ein Umbau für die Dritte Liga würde Millionen verschlingen. Bliebe, und darüber wird in der Landeshauptstadt spekuliert, ein von Turkish Airlines unterstützter Neubau. Was am besten zu Kivrans Visionen - "think big" - passen würde.
Auswärts wird der Liga-Primus kaum unterstützt. Zuletzt beim TV-Live-Spiel in Burghausen verloren sich nur zwei Handvoll Türkgücü-Fans auf der Tribüne. Für die Partie in Schweinfurt am Montagabend (ebenfalls live ab 20.15 Uhr auf Sport 1) sind nach FC-05-Angaben 30 Gästeanhänger angemeldet. Die möglichst keinen Torjubel zu sehen bekommen sollten, wie zuletzt von türkischen Nationalspielern mit dem militärisch anmutenden Salut. "Solche Aktionen wird es bei uns nicht geben, weil wir uns auf den Sport fokussieren", sagte Hettich bereits im Vorfeld.