In der Schweiz heißt dieser Sport Radquer. Aber da sagt man ja auch parkieren statt einparken. Radquer also. In Deutschland war der winterliche Rad-Wettkampf im Gelände bis in die späten Achtziger hinein ein Sonntagnachmittag-Klassiker im bayerischen Fernsehen und hieß Querfeldeinrennen. Klaus-Peter Thaler oder Rolf Wolfshohl waren Weltmeister, später Mike Kluge. Nun, heute hat das Ganze den internationalen Namen angenommen und heißt Cyclocross. Richtig gut umgehen mit dem Rennrad kann auf meist glattem, holprigem Geläuf ein Grettstadter: Sven Baumann. Anfang Januar hat er die Bundesliga gewonnen.
Baumann ist 39 Jahre alt, fährt in der Mastersklasse. Schon bei den Aktiven in der Elite-Klasse war der gebürtige Thüringer aus der Nähe von Suhl Stammgast in den Top Ten, öfter auch mal auf dem Podest vertreten. Bei den jüngsten Senioren führen in Deutschland die Siege nur über ihn: Zehn der letzten 15 Rennen hat er gewonnen, mit sieben ersten und zwei zweiten Plätzen am Ende auch die Bundesliga-Serie. Die wird traditionell von Oktober bis Januar ausgetragen, in Vechta machte Baumann den Titel perfekt - natürlich mit einem Sieg.
Gefahren wird in Runden und auf Zeit
Gefahren wird Cyclocross auf einem modifizierten Straßen-Rennrad mit vergleichsweise dünnen Reifen. Anders als mein Mountainbiken geht es nicht ins Gebirge, ein paar Anstiege und Abfahrten über Hügel reichen für die etwa zwei bis drei Kilometer langen Runden, die solange durchfahren werden, bis in der Elite 60, bei den Masters 40 Minuten absolviert sind - dann wird die aktuelle Runde bis ins Ziel ausgefahren. Ob's, gemäß der für gewöhnlich ungemütlichen Witterung, schlammig oder eisig ist, spielt für Baumann keine Rolle: "Ich kann beides gleichermaßen gut."
Wer fünfmal Thüringer Landesmeister und Dritter des Deutschland-Cups in der Eliteklasse war, sowie bei den Masters unter anderem drei Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften geholt hat, darf das behaupten. Und auch: "Auch wenn das Gelände nicht so extrem wie beim Mountainbiken ist, Cyclocross fordert mehr den ganzen Athleten. Man muss nicht nur treten können, sondern auch steuern. Zudem Hindernisse überwinden, das Rad auch mal schultern und sprinten." Letzteres kostet um die 7000 Euro, doch braucht es mindestens zwei davon und, zum Wechsel, noch mehrere Laufräder mit unterschiedlichen, aufgeklebten Reifen zu jeweils rund 1000 Euro.
Keine Teamwertung wie bei Bahn und Straße
Kein Wunder, dass Baumann in der Region, wo mit dem TSV Werneck und dem RV 89 Schweinfurt zwei Klubs bevorzugt Straßenradsport und Mountainbiken anbieten, keine Vereinsmannschaft um sich hat, sondern Individualist ist. Bei den Rennen zähle eh nur der Kampf Sportler gegen Sportler, Teamwertungen wie auf Bahn und Straße gibt es im Gelände nicht. "Das ist auch gut so. Da kann sich Niemand hinter Anderen verstecken."
Massenstart ("ich bin nicht der beste Starter"), Gerangel um eine gute Ausgangsposition, immer auf der Hut sein müssen, nicht auf dem dürftigen Profil auszugleiten - in den Neunzigern war das etwas aus der Mode gekommen, Mountainbikes wurden dagegen der letzte Schrei. Inzwischen bekommt die Querfeldein-Szene jedoch die zweite Luft. Rund 40 Starter pro Rennen und Altersklasse zeugen davon. Da sind Mountainbiker genauso dabei wie Straßenfahrer, die Cyclocross als willkommene Alternative zum Straßentraining bei Schmuddelwetter nehmen. Auch Baumann: "Im Gelände pfeift der Wind nicht so arg, da friere ich weniger."
War aber nur ein Grund, warum sich der Elektronik-Ingenieur 2007 das erste Mal auf ein Crossrad gesetzt hat. Angefixt war er sofort, den letzten Kick holte er sich jedoch in den USA, wo er von 2011 an drei Jahre beruflich bedingt gelebt hatte. Dort war Cyclocross nie out, er fand Zugang zur Szene und im Trek Cyclocross Collective auch das Team, für das er immer noch startet, obwohl ihn ein Engagement beim in Schweinfurt ansässigen Radsport-Komponenten-Hersteller SRAM 2014 nach Unterfranken geführt hat.
Seitdem leben die Baumanns in Grettstadt und Ehefrau Janina ist auch wichtigste Person in der Service-Crew ihres Mannes bei den Rennen geworden. Mehrmals darf da das Rad getauscht werden, um es immer wieder von Matsch zu säubern. Wenn es matschig ist, sagt Baumann, komme es auf Technik und Kraft an. Bei Eis auf Konzentration, denn bei den dann schnelleren Rennen lägen die Felder enger beisammen und ein kleiner Fehler könne schon entscheiden. Wie beim finalen Bundesliga-Lauf in Vechta, wo Baumann sich durchsetzte gegen Stefan Danowski, jenen Fahrer, der eine Woche später in Albstadt auf der Schwäbischen Alb deutscher Meister wurde - und Baumann Dritter.
Kids fahren mehr auf Mountainbiken ab
Der 39-Jährige würde sich freuen über Nachwuchs aus der Region, wirbt auch aktiv für seinen Sport, den er für deutlich weniger gefährlich hält als die olympischen Cross-Country-Rennen. "Cyclocross ist eine gute Disziplin, um ins wettkampfmäßige Fahren im Gelände rein zu schnuppern." Aber noch führen die Kids eben aufs Mountainbiken ab. Und da gibt es beispielsweise mit dem Frankencup auch Rennserien mehr oder weniger vor der Haustüre.
Gleichwohl gebe es Bestrebungen, Cyclocross, das schon seit Querfeldein-Zeiten in Deutschland im Bund Deutscher Radfahrer beheimatet ist, in das olympische Programm zu integrieren. Einziger Haken: Bei olympischen Sommerspielen ist kein Platz für eine klassische Winterdisziplin. Und bei den Winterspielen müssen alle Wettbewerbe auf Schnee oder Eis ausgetragen werden, was für entsprechende Rad-Strecken, die dann künstlich vereist werden müssten, witterungsbedingt schwer planbar ist.
Zwölf Stunden Training in der Woche
Aus dem Alter ist Baumann ohnehin raus. Was ihn nicht abhält, sich auch im Jahr, in dem er 40 wird, hohe Ziele zu setzen: Im Sommer will er es mit dem Mountainbike, auf dem er auch schon drei internationale Medaillen gesammelt hat, eher regional angehen, um dann im Winter 20/21 beim Cyclocross nicht nur den Bundesliga-Titel zu verteidigen, sondern auch deutscher Meister zu werden. Und vor allem, um im November 2020 bei der EM in den Niederlanden und im Februar 2021 bei der WM in Belgien an den Start zugehen. Damit es mit mindestens einer Medaille klappt, trainiert er an fünf Tagen insgesamt rund zwölf Stunden in der Woche.
Die WM jetzt im Februar hat Baumann ("es war eine extrem anstrengende Saison") gestrichen. Die findet übrigens in der Schweiz statt und heißt Radquer-Weltmeisterschaft.