
Der Typ ist nicht normal. Rennt hunderte Kilometer, tausende Höhenmeter über Inseln, durchs Gebirge oder gleich ein ganzes Land. Und schwärmt von Schweinebraten und Bier. Nein, der Typ ist nicht normal. Aber er ist ein Typ. Markus Volkmar ist Langstreckenläufer, nur eben einer, für den Marathon Kurzstrecke bedeutet. Der Sennfelder und sein Münchner Kumpel Dominik Magotsch fallen aus dem Rahmen in einer elitären Szene ausgemergelter Asketen fortgeschrittenen Alters. Sie sind jung, tätowiert – „und die kleinste Running-Community der Welt, denn wir sind nur zu zweit“, so Volkmar. Und einen Slogan haben die Beiden auch: „Ultrarunning ist unsere neue Party. Und wir sind die Rockstars dieser Party.“
Ultraläufer – das Etikett dürfen sich alle aufs Trikot pappen, die weiter unterwegs sind als über die klassischen 42,195 Kilometer, die einst ein namenloser Unglückswurm nach der Schlacht von Marathon gen Athen gehetzt sein soll, um mit den Worten „Wir haben gesiegt“ tot zusammenzubrechen. Bei Markus Volkmar klingt die Erklärung ein bisschen hipper: „Aerobe Ausdauer ist Laufen, Laufen, Laufen. Anaerobe Ausdauer ist Laufen bis die Muskeln brennen und die Waden explodieren. Ultrarunning dagegen ist, bis 50 Kilometer über Gott und die Welt zu reden, ab 51 Kilometern dann über die wichtigsten Dinge, die Dominik und mich bewegen: Essen, Autos, ferne Länder und Frauen.“
Ach so. Das klingt simpel. Ist es aber doch nicht so ganz. Dass der 34-Jährige im Mai die Tour de Ruhr über 230 Kilometer in 28 Stunden und 34 Minuten als Fünfter absolviert hat, kostete ihn die Jahre zuvor reichlich Trainingsschweiß und auch einige paar Laufschuhe. Er und der drei Jahre jüngere Magotsch sind nicht nur dicke Freunde, sie sehen sich auch öfter als manches Ehepaar. 80 bis 100 Kilometer pro Woche sind das durchschnittliche Trainingspensum. Das teilt sich in je zwei Intervall- und Tempoläufe von bis zu 15 Kilometern, sowie einen „Longrun“ über mindestens 30 Kilometer am Wochenende. Ach, ja, ein wenig Schwimmen und Yoga darf's auch noch sein. „Wir trainieren beide schon ernsthaft und fokussiert“, sagt Volkmar. „Aber der Sport ist nach wie vor eine Leidenschaft, denn die Feierabendbiere, der Schweinebraten im Hotel Mama oder eine gute Party werden nie in Frage gestellt werden. Nie!“
In der Jugend hat der gebürtige Sennfelder die Laufschuhe für die Schweinfurter Vereine TG 48 und FC 05 geschnürt. „Dann habe ich irgendwann die Lauf- gegen die Ausgehschuhe getauscht“ – womit sich die Rennerei fürs Erste erledigt hatte. Mit 30 – typisch Mann – dann die erste kleine Sinnkrise und als deren Konsequenz der erste Marathon. Und da die Drei-Stunden-Premiere von Köln Volkmar nicht schwer fiel, wollte er sich auch nicht weiter mit solch kurzen Strecken aufhalten. Ende 2015 folgte der erste richtige Ultra durchs Karwendelgebirge (53 Kilometer, 2500 Höhenmeter), 2016 ging es beim Taubertal 100 prompt das erste Mal über – mit einer Top-Ten-Platzierung.
Spätestens jetzt war der nationale Verkaufsdirektor eines internationalen Brause-Büchschen-Produzenten angefixt, ohne sich bis heute als süchtig zu bekennen. Vielleicht fixiert er sich gerade deshalb nicht auf ergebnisorientierten Wettkampfsport: „Wir lieben es, wenn wir andere motivieren können, ihre Komfortzone zu verlassen, und auf unsere Reise mitzunehmen.“ Das große Vorbild ist natürlich Filmheld Forrest Gump. Sie wissen schon: „Lauf, Forrest, lauf!“ Markus Volkmar selbst verlässt Komfortzonen nur allzu gerne, läuft keinen Wettkampf gern ein zweites Mal, startet zusammen mit Dominik Magotsch unter dem Teamnamen „Sons of Running“ lieber eigene Projekte. Letztes Jahr zum Beispiel die Bavarian Lake Challenge. Und da sich die Langstrecken-Gemeinde heute weniger in Vereinen organisiert, denn in den Sozialen Medien als Running-Communitys vernetzt, fanden die beiden „Söhne“ schnell Mitstreiter. Die elf größten bayerischen Seen wurden nacheinander umrundet, immer wieder schlossen sich Läufer eine Zeit lang an. Ein Gemeinschaftserlebnis eben.
Im Sommer 2017 folgte dann das bis dato größte eigene Projekt: Der Lauf „From the Middle of Bavaria to the Top of Bavaria“ – von der Bavaria-Statue auf dem Oktoberfestgelände über 125 Kilometer und 2800 Höhenmeter bis auf die Zugspitze. Die kleinste Running-Community der Welt, die selbst 14:38 Stunden benötigte, staunte nicht schlecht, als da tatsächlich rund 70 Athleten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gekommen waren, um sich zumindest auf Teilstücken anzuschließen. Volkmar: „Dass Laufen nur etwas für Individualisten ist, halte ich für einen Irrglauben. Gerade auf den ganz langen Strecken ist das Teamsport. Wir unterstützen uns gegenseitig.“ Dass diese Philosophie in der Szene von den meist älteren Kollegen nicht immer geteilt wird, weiß er – und gefällt sich in der Rolle des schrägen Charakters, ja, des Lauf-Anarchisten.
„Wir setzen nicht auf große Vereine oder Ausrüsterfirmen. Wir sind auch nicht die Influencer der jüngeren Running Community. Wir sind einfach zwei lustige Kerlchen, die um ihre Jobs ihre Laufabenteuer bauen“, übt sich Volkmar in Selbsteinschätzung. Abenteuerlich sind ihre Läufe allemal, auch die zu Trainingszwecken. Der Deutschen liebste Ferieninsel musste dafür im vergangenen Jahr herhalten. Zu Dritt ging's gen Mallorca, im Flieger saß noch Alexandra, seit Juni Markus Volkmars Frau und, wie soll's anders sein, eine Laufverrückte. In dreieinhalb Tagen absolvierte das Trio den anstrengendsten Fernwanderweg des Eilands, den GR221 – rennend: 140 Kilometer über Stock, Stein und 6500 Höhenmeter von Port d?Andratx nach Pollenca. Dass unweit Party herrschte, war dem Trio schnurz: „Wir wollen mit Niemandem tauschen, der am Ballermann Sangria aus dem Eimer schlürft, bis er seinen Körper nicht mehr spürt. Wir wollen ja unseren Körper spüren.“ Körper, die vier Tage, Flüge inklusive, in den gleichen (Lauf-)Klamotten steckten. „Wir hatten nichts Anderes mit. Auf dem Rückflug haben uns Ballermänner wiedererkannt und uns auf unseren veränderten Duft hingewiesen.“ Mal eben zum trainieren nach Malle – was für Profis. Dass dies für einen anstehenden Ultralauf nicht zwingend nötig ist, betont Volkmar ebenso wie die Tatsache, dass für Ultraläufe generell keine wesentlich härtere Vorbereitung ansteht als für einen Marathon. Für die klassische Distanz müsse man sich, Grundkondition vorausgesetzt, mindestens drei Monate intensiv vorbereiten: „Dann ist man fit für eine Zeit von vier Stunden“, so Volkmar. „Aber ich empfinde diese Einheiten mit den Sprintintervallen körperlich erheblich härter. Für einen Ultra trainiere ich lieber, das ist weniger erschöpfend, dafür befreiender. Laufen ist gleich Freiheit“, lautet seine Gleichung. Darum seien auch so viele Ultraläufer schon älter: Kraft baue sich schneller ab als Kondition – und beim Ultra ist Durchhaltevermögen und mentale Stärke entscheidender als Tempowechsel und Geschwindigkeit. Nur wie hält man es durch, weit mehr als zehn Stunden am Stück zu laufen? Die Distanz aufteilen in aus dem Alltag bekannte Wegstrecken, dann in Gedanken abarbeiten.
„Man sucht sich einen Laufbuddy, gutes Equipment und einen Rundkurs in der Region. So beginnt die erste Challenge in einem neuen Lebensabschnitt“, macht Volkmar Einsteigern Mut, sich an extreme Strecken heranzuwagen. „Grundkondition erarbeiten, erste Routen von 50 Kilometern plus, gute Energieriegel, Elektrolyte – loslaufen und genießen.“ Und natürlich das passende Equipment zulegen. Volkmars Tipp: „Auf Bewährtes setzen. Sonst kratzt das neue Shirt, reibt die neue Hose oder sorgen die neuen Socken für mehr Schweiß. Und das Wichtigste: Babypuder für die Füße, damit habe ich immer Blasen vermieden.“ Dann flüstert der 34-Jährige noch, als solle es sein Physiotherapeut („der sagt immer, wenn ich mich anständig dehnen würde, könnte ich 30 Prozent schneller sein, aber das macht mir keinen Spaß“) nicht hören: „Nach 20 Trainingskilometern setzen wir uns schon mal zu Schweinebraten und einer Halben in den Biergarten, bevor es weiter geht. Wir kasteien uns nicht für unseren Sport.“
Aus Spleens werden schnell Projekte. Die „Sons of Running“ planen 2019 einen Biergarten-Run in München über rund 100 Kilometer. In den verschiedenen Lokalitäten können sich immer wieder neue Mitstreiter anschließen. „Und am Ende haben wir hoffentlich ein paar Weißbier und Grillhähnchen intus“, so Volkmar, der sich keineswegs als Spaß-Sportler sieht. Auch wenn es ihm und seiner Frau offenbar Heidenspaß bereitet, auch Urlaube mit dem Laufen zu verbinden, und im Herbst immer mal ein paar Marathons „just für fun“ eingeschoben werden. Weitgehend lauffrei bleiben nur die Monate November bis Januar. Man müsse schon auch leiden wollen, etwas masochistisch sein, auch zielstrebig. Wenn dann ein Lauf bestanden, die Zeit auch gut sei, dann vermittle das ein angenehmes Gefühl: „Erfolg macht glücklich.“
Damit in den nächsten Jahren auch zünftig gelitten werden darf, will der Sennfelder mit Frau und Kumpel noch ein paar Ultraläufe auf der To-do-Liste abarbeiten: den legendären Spartathlon in Griechenland, sowie den Western State 100, einen der ältesten Wettbewerbe der Szene. „Das ist mein Traum, doch muss man da erst Qualifikationen überstehen, um überhaupt in die Losbox zu kommen.“ 2019 steht mindestens ein eigenes Projekt im Terminkalender. Volkmar will Deutschland von Sylt aus bis auf die Zugspitze durchqueren – 1300 Kilometer in maximal 13 Tagen und wieder als „Forrest-Gump-Run“. Gerade eben kommt Markus Volkmar aus Südtirol vom Transalpine Run. Er ist in Garmisch gestartet, durch Tirol und das Ötztal gerannt, um nach 254,7 Kilometern und 16434 Höhenmetern in Brixen anzukommen. „Meiner Oma erkläre ich das beim Kaffee später so: Das ist zweimal auf den Mount Everest während der Strecke von München nach Würzburg.“ Sie wird wieder sagen: „Du bist einfach verrückt.“