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ULTRASPORT
Zum 17. Mal auf den Spuren des Boten Pheidippides
Bei Kilometer 45 auf dem Weg nach Korinth – der erste Teil des Marathons ist bewältigt.
Foto: Privat | Bei Kilometer 45 auf dem Weg nach Korinth – der erste Teil des Marathons ist bewältigt.
Von Marco Depner und Gisa Leitner
 |  aktualisiert: 16.11.2017 10:40 Uhr

Spartathlon – eine kreative Wortbildung aus Sparta und Marathon. Um was es hier geht, ist allerdings kein normaler Marathon, es ist ein Ultramarathon über eine Strecke von unbeschreiblich langen 246 Kilometern. Ein Kampf mit und gegen den eigenen Körper, den nicht jeder gewinnt. Die Geschichte dieser „Mutter aller Marathons“ beginnt bereits im Jahr 490 v. Chr. während der Perserkriege. Der Geschichtsschreiber Herodot berichtete dabei über den griechischen Boten Pheidippides, der in zwei Tagen von Athen nach Sparta gelaufen war, um Kriegshilfe für die bevorstehende Schlacht bei Marathon zu erbitten.

Seit dem Jahr 1983 rekonstruiert die Elite der besten Ultralangläufer der Welt am jeweils letzten Freitag im September dieses historische Ereignis. Nicht in zwei Tagen, sondern in 36 Stunden.

Zum 19. Mal mit am Start war auch in diesem Jahr wieder der Zeiler Ausnahmesportler Hubert Karl. Gemeinsam mit seiner Frau Christine ist er erneut angereist, um sich voll und ganz seiner Passion, die er überaus erfolgreich auch zu seinem Beruf gemacht hat, hinzugeben.

Start an der Akropolis

Es ist Freitagmorgen, 7.00 Uhr in der griechischen Hauptstadt Athen. Nach nur wenigen Stunden Schlaf macht sich Hubert Karl auf den langen und beschwerlichen Weg. Auf den Weg, auf den er so lange hingearbeitet hat. 320 weitere Spitzenathleten aus aller Herren Länder haben das gleiche ehrwürdige Ziel. Derweil sitzt in rund 1800 Kilometern Luftlinie Entfernung im heimischen Knetzgau Marco Depner beim Frühstück an seinem PC, um das Geschehen live im Internet zu verfolgen. Startschuss in Griechenland war bereits vor einer Stunde. Karls Lauffreund hat die Zeitverschiebung durch die Sommerzeit vergessen und realisiert schnell, dass Karl schon seit einer Stunde im maritimen Sonnenaufgang unterwegs ist. Online erfährt Depner, dass Karl als 314. von 321 Startern die Startlinie überquert hat. Die ersten 25 Kilometer führen nach dem Start direkt unterhalb der Akropolis quer durch die griechische Hauptstadt Athen, die Karl nach 60 Laufminuten noch lange nicht hinter sich gelassen hat.

„Mister Spartathlon“

Depner, weiß, was in den nächsten 36 Stunden – das vorgegebene Zeitlimit für den Zieleinlauf – auf dem Spiel steht und vor allem, was der Spartathlon für den Zeiler bedeutet: Karl ist derjenige, der den weltweit als härtesten Lauf überhaupt geltenden Spartathlon als einziger Sportler der Welt bereits 16 Mal bis zum Ende durchgelaufen ist. In Fachkreisen kennt man Karl deshalb weltweit als „Mister Spartathlon“.

Karls Konkurrent, der Ungar Andras Low, ist in diesem Jahr als 15-facher Finisher ebenfalls wieder am Start und hat in diesem Jahr die Chance, mit dem Unterfranken gleich zu ziehen – vorausgesetzt der Zeiler Ultraläufer scheitert und kann seinen Lauf nach 246 Kilometern nicht im Ziel beenden.

Depner kennt auch die harte Vorbereitung, die Hubert Karl in den Wochen vor der Reise nach Griechenland absolviert hat. Beim Rennsteig-Ultralauf über 180 Kilometer durch den Thüringer Wald im August hatte er Karl mit dem Fahrrad begleitet und 24 Stunden lang für dessen Verpflegung gesorgt. In dieser Zeit haben beide auch viel über das härteste Rennen der Welt gesprochen.

Anspruchsvoll ist der Spartathlon vor allem deswegen, weil für die wichtigen Checkpoints recht ehrgeizige Zielzeiten angesetzt sind. Wer die vorgegebenen Zwischenpunkte auch nur eine Minute zu spät erreicht, wird aus dem Rennen genommen. Aus Karls Spartathlon-Erfahrung über fast zwei Jahrzehnte und seinen Schilderungen war klar, dass schon die erste Zwischenzeit nach 80 Kilometern in Korinth wegweisend sein würde. Dieser Punkt – praktisch nach einem absolvierten Doppelmarathon – sollte vom letzten Läufer schon nach 9,5 Stunden, also um 16.30 Uhr überquert sein – in spätsommerlichem Mittelmeerklima mit Temperaturen bis immer noch über 30 Grad. Karls Ankunftsuhrzeit in Korinth: 15.57 Uhr. Dies bedeutete Platz 190 von noch 273 Startern im Feld.

Also ging eine SMS von Deutschland nach Korinth aufs Handy von Karl, das er während des gesamten Laufes immer mit sich führte: „Korinth geschafft! Super! Immer weiter, Hubert!“.

Es dauerte rund zwei Stunden, bis die Antwort-Nachricht auf Depners Handy einging: „Kilometer 103 gerade passiert, Sonne endlich weg, jetzt kommt die schwere Nacht und die Berge – Muss total beißen“.

Depner kennt Karl und weiß trotz der deutlichen Worte: Er kennt sich und seinen Körper, er weiß, wie es weitergeht und genau deshalb ist er gerade dort.

Sangas-Pass als nächtliche Hürde

Nächster offizieller Checkpoint, der bei Kilometer 124 erreicht werden musste, war Nemea. Und Karl bewies, dass er„beißen“ kann, denn er hielt die Zeit und lief um 22.27 Uhr als 165. Läufer ein – rund eine halbe Stunde vor Zeitschluss. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 108 Starter ausgeschieden. Mit der Mitteilung von Platzierungen weiterer deutscher Teilnehmer ging ein letzter Gruß aus Knetzgau um 23.00 Uhr übers Handy: „Alles Gute für die Nacht! Ich denk an Euch! Go!“ Damit war nicht nur Hubert Karl gemeint, auch seine Frau Christine, die ihn über die gesamte Renndistanz bis ins Ziel für 36 Stunden rund um die Uhr ohne Ruhepause begleitet. Nach den 24 Stunden im Thüringer Wald wusste Depner, dass diese Aufgabe auch für die Begleitperson eine sehr strapaziöse körperliche Herausforderung bedeuten würde.

Die Strapazen für Karl selbst im weiteren Rennverlauf wurden dann am Morgen beim Checkpoint nach 172 Kilometern überaus deutlich. Er hatte drastisch an Zeit verloren. Nur vier Minuten vor Schluss der Zeitnahme kam er als vorletzter Läufer mit Platzierung 162 in Nestani an. Die kargen Worte einer SMS von Karl aufs Handy von Depner um 8.00 Uhr morgens sprachen Bände: „Alles sauknapp“.

Karl war bis dahin 26 Stunden unterwegs und der Portugiese Joao Oliveira als Erstplatzierter war bereits nach 23 Stunden und 29 Minuten im Ziel eingelaufen. Vor dem Zeiler lagen noch 73 Kilometer!

Die nächste SMS nach Griechenland war unterwegs: „Du kennst die Strecke. Hinten raus läuft’s besser. Die Zeit reicht bis Tegea!“ Diese Stadt war bei Kilometer 195 nächster Stopp für die Zwischenzeit und musste um 11.00 Uhr erreicht sein.

Karl kam um 10.51 Uhr an – Platz 144 von noch 157 Läufern. Für die verbleibende Distanz von über 50 Kilometer waren also rund zehn Minuten für jeden Kilometer im Rahmen des Möglichen. Ein machbares Limit trotz aller Anstrengungen.

Ungarisch-deutscher Zweikampf

Ab diesem Zeitpunkt war auch der ungarische Konkurrent stets im Online-Visier von Depner. Seine Zielzeit nach knapp 30 Stunden bedeutete für Karl, dass er unbedingt ankommen musste, um die „Königskrone“ der meisten Spartathlon-Finisher weltweit zu behalten. Mit gemischten Gefühlen ging eine SMS raus: „Der Ungar ist im Ziel… Jetzt gilt's, Hubert! Halt durch!“

War diese Nachricht für Karl nun Niederschlag oder Motivation? Banges Hoffen am PC in Knetzgau. Der nächste Checkpoint war das Ziel in Sparta. Erst um 19.00 Uhr Ortszeit erfuhr man im Internet die Zielzeit der einzelnen Läufer. Erleichternde Nachricht schließlich von Hubert Karl um 17.00 Uhr per SMS: „Sinkflug auf Sparta. Die letzten elf Kilometer – jetzt reißt es mich – Gänsehaut pur bei 30°!“

Was diese Worte bedeuten, können mittlerweile viele Hobbyläufer, die sich nach monatelangem Training an die zum Breitensport avancierte Marathondistanz gewagt haben, nur annähernd erahnen. Ein Adrenalinschub kurz vor dem Ziel, von dem man nach so langer Zeit nach der großen Anstrengung und den unbeschreiblichen Vorgängen im Körper zehren kann. Wie aber muss sich diese Erfahrung nach 34 Stunden und 235 Kilometern in den Beinen anfühlen?

Sicher, diese Erfahrung in dieser Intensität nicht erleben zu dürfen oder zu wollen, erlebt der mittlerweile aufs Smartphone übergegangene Depner, als Hubert Karl nach 35 Stunden und 42 Minuten um 18.42 Uhr griechischer Ortszeit dem Brauch folgend den Fuß der Statue von König Leonidas im Ziel berührt.

Hubert Karls Bilanz

• Über 4000 Kilometer auf dieser Strecke absolviert • 1992: erster Start mit 34 Jahren – die jetzigen Sieger sind in diesem Alter • 2013: mit 55 Jahren immer noch dabei – eine Rarität unter den Ultraläufern • 8 Platzierungen unter den TOP 20 • Bestzeit: 28:59 Stunden

„Wall of Fame“ der Finisher

1. Hubert Karl (Germany) 17x 2. Andras Low (Ungarn) 16x 3. Kimie Noto (Japan) 15x 4. Seppo Leinonen (Finnland) 15x 5. R. Meadowcroft (Großbrit.) 14x 6. Markus Thalmann (Österreich) 13x 7. M. Fournaris (Griechenland) 13x 8. Mary Larson (Schweden) 12x 9. Yoshio Nishimura (Japan 12x 10. Osamu Yoshikoshi (Japan) 11x

20 Meter vor dem Ziel: Hubert Karl (rechts) und Osamu Yoshikoshi aus Japan genießen sichtlich den Applaus geladenen Empfang in Sparta.
Foto: Privat | 20 Meter vor dem Ziel: Hubert Karl (rechts) und Osamu Yoshikoshi aus Japan genießen sichtlich den Applaus geladenen Empfang in Sparta.
Hubert Karl bei Kilometer 236: noch zehn Kilometer trennen ihn von der Statue König Leonidas und dem Ziel in Sparta.
Foto: Privat | Hubert Karl bei Kilometer 236: noch zehn Kilometer trennen ihn von der Statue König Leonidas und dem Ziel in Sparta.
 
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