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KORBBALL:
Im Schlaraffenland der Exotinnen
Sechs rare Sportarten sind im BTSV organisiert, eine davon heißt Korbball und ist im Raum Schweinfurt weit verbreitet. Für die Top-Klubs könnte die Bundesliga-Teilnahme bald Geschichte sein, der Landesverband will aus dem Deutschen Turnerbund austreten.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:55 Uhr

Wir befinden uns im Jahre 2018 n. Chr. Ganz Bayern ist vom Fußball besetzt . . . Ganz Bayern? Nein! Ein von unbeugsamen Korbballerinnen bevölkerter Landstrich hört nicht auf, dem Fußball Widerstand zu leisten. Asterix und seine Gallier mögen zwar rauflustiger sein. Doch die Mädchen und Frauen, die da im Großraum Schweinfurt den Korbball weiterhin dem populäreren Fußball-, Basketball- oder Handballsport vorziehen, dürften sich ähnlich fühlen: Sie sind Exotinnen mit Leidenschaft, Ehrgeiz und auch Erfolg. 129 Vereine in Bayern führen eine Korbball-Abteilung, 110 kommen aus Unterfranken, alle aus dem Umfeld von Schweinfurt – eine Korbball-Hochburg.

Aber warum ausgerechnet hier? Wenn sich da jemand einen Reim drauf machen kann, dann Inge Dittmar. Sie hat 60 ihrer 68 Lebensjahre für den Korbball gelebt. Ob im Heimatverein Schonungen oder später bei der TG 48 Schweinfurt, in Niederwerrn, Bergrheinfeld oder Gerolzhofen – wo die „Fisch-Inge“, wie sie wegen ihres Fisch-Geschäftes liebevoll in der Szene gerufen wird, war, war auch Erfolg. Nicht nur der sportliche, denn für Dittmar heißt Erfolg auch, wenn die Mädchen der Region gerne „ihren“ Sport ausüben. Denn: „Es steht und fällt mit Menschen, die sich kümmern, mit Herz dabei sind und das an die nächste Generation weiter geben können.“ Aber warum ist Schweinfurt das Schlaraffenland für Korbballerinnen? „Hier gibt's halt Personen, die was machen für diesen Sport.“ Wie das selbst in München funktionieren kann, zeige das Beispiel der Schweinfurterin Jana Herbert, die beim Stadtteilklub TV Oberndorf aktiv war, in die Landeshauptstadt zog und dort binnen kürzester Zeit über zehn Mädchen, die nun regelmäßig Korbball trainieren, zusammentrommelte – mittels sozialer Medien, „mit dem Wischerle“, wie Dittmar das Smartphone nennt.

Als Trainerin habe die frühere deutsche Spitzenspielerin stets die für sie „entscheidenden drei K's befolgt: Kondition, Konzentration und Korbwurf“. Sie sei nicht immer für die Vereine bequem gewesen, habe von Spielerinnen viel gefordert, stets jedoch auch viel gegeben: „Ich habe mein Geld, das ich nebenher für meine Schiedsrichtertätigkeit bekommen habe, zum Beispiel in Trikotsätze für Vereine hergenommen.“ Da es von ihrem Schlag aber immer weniger Funktionäre gebe, gehe „es auch in Schweinfurt etwas bergab mit dem Korbball. Nicht Jeder opfert, was ich opfere.“

Für einen Sport, der für Frauen und Mädchen eine Alternative zum Basketball sein soll, gleichwohl der Spielaufbau dem des Handball-Sports näher kommt – nicht nur wegen der, einer Torhüterin ähnlichen Position der Korbhüterin. Letztere wird vermessen, darf nicht größer als 1,78 m sein und soll verhindern, dass der Gegner den Ball im 2,50 m hohen, freistehenden Korb unterbringt. Neben der Korbhüterin bewegen sich noch vier (Halle) beziehungsweise sechs (Feld) Spielerinnen auf dem 30x15 beziehungsweise 50x25 m großen Spielfeld. Auf dem Feld wird sommers ausschließlich in Bayern um Punkte gespielt. Der Winterrunde folgt neben der Bayerischen auch eine Deutsche für die besten Bundesliga-Teams. Die Akteurinnen dürften freilich kaum wissen, das die Mayas bereits 100 v. Chr. zu kultischen Zwecken Artverwandtes praktiziert hatten. Gleichwohl gilt der US-Amerikaner James Naissmith Ende des 19. Jahrhunderts als Gründervater des neuzeitlichen Korbball-Spiels, das der Amsterdamer Lehrer Nico Broek perfektionierte. Und heute spielen in Deutschland tatsächlich, neben weiteren Hochburgen wie Niedersachsen, Bremen, Westfalen, Rheinland, Mittelrhein und Allgäu die mit Abstand meisten der rund 1500 Korbballerinnen im Raum Schweinfurt.

Wo Bundesliga-Korbball in absehbarer Zeit ebenso der Vergangenheit angehören könnte wie Bundesliga-Faustball. Denn der Bayerische Turnspiel-Verband (BTSV) als Dach für beide Sportarten sowie die noch größere Exoten Indiaca, Prellball, Ringtennis und Korfball will zum 31. Dezember 2019 aus dem Deutschen Turner-Bund (DTB) austreten. Das sagt Klaus Tropsch, selbst langjähriger Korbball-Trainer der SpVgg Hambach als bayerischer Landesfachwart Korbball im BTSV. Streitpunkt sei „das digitale Passwesen, das der DTB einführt. Ein mannschaftsstarker Verein wie der TSV Bergrheinfeld muss dann auf einen Schlag rund 3000 Euro aufbringen, unter anderem für die langfristig günstigere, lebenslange ID für jede Spielerin und weitere Meldekosten“, so Tropsch. Der Austritt könne nur auf einem außerordentlichen Verbandstag rückgängig gemacht werden. Da darauf wenig Aussicht bestünde, wären ab 2020 Leidtragende die bayerischen Faustball- und Korbball-Bundesligisten, die nicht mehr am nationalen Wettkampfgeschehen teilnehmen dürften.

Doch auch ohne diesen Qualitätsverlust malt der 53-Jährige die Zukunft für den Korbball-Sport nicht rosig. „In Bremen und Hannover stirbt's weg, in diesen Städten existiert offenbar ein Überangebot an anderem Sport. In Schweinfurt waren's auch schon mal mehr Vereine.“ Dass Korbball in seiner Heimatregion dennoch einen besonderen Status genießt, führt Tropsch darauf zurück, „dass im Raum Schweinfurt Basketball oder Volleyball nie stark vertreten waren. In Würzburg haben wir mit Korbball nie eine Chance gehabt.“ Im Allgäu und in Westfalen blühe der Sport indes auf, auch Berlin, Hamburg und Stuttgart senden Hoffnungsschimmer.

Ganz im Gegensatz zum BTSV, wie Tropsch findet: „Der Verband ist zu komplex, zu aufgebläht, ist stehen geblieben in seiner Entwicklung, hat eine Satzung aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Kosten explodieren und werden auf die Vereine umgelegt, die Steigerungen von 300 Prozent bis 2021 verkraften müssen.“ Beispiel: Eine Frauen-Mannschaft zu melden kostet 220 Euro pro Runde, bei einer Sommer- und Winterrunde also 440 Euro pro Jahr; ohne die Gebühren für neue Pässe und den Verbandsbeitrag pro Spielerin. Ein Bundesliga-Etat könne spätestens durch Teilnahme an einer deutschen Meisterschaftsendrunde durch Übernachtungskosten von anfänglich rund 1200 auf bis zu 2500 Euro anwachsen.

Die Kostenexplosion habe jedoch auch zu tun mit den wenigen Mitteln, die vom Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) zum BTSV fließen. Tropsch: „Wir sind eben nicht groß, eine Fusion mit dem Bayerischen Turnverband wäre aus wirtschaftlichen Gründen ratsam. Aber das wollen die Faustballer nicht. Die sind uns Korbballern überlegen, weil sie in allen sieben Bezirken vertreten ist, wir nur in zweien. Daher haben wir weniger Stimmen.“ Und so müsste sich die Korbball-Fraktion eben selbst Reformwege überlegen. Tropsch hat schon mal einen Vorschlag: „Die Hallen- und die Feldrunde zusammenleben.“ Eine Mehrheit dafür hat er bis dato noch nicht.

Randsportarten unter dem Dach des Bayerischen Turnspiel-Verbandes

Neben dem Korbball-Sport firmieren unter dem Dach des BTSV noch fünf weitere Disziplinen, vom recht weit verbreiteten Faustball (124 Vereine führen eine Abteilung) abgesehen, mit durchschnittlich einer Handvoll Klubs Prellball (5), Indiaca (12), Ringtennis (1) und Korfball (2). Überwiegenden finden sich die Exoten im Süden Bayerns. Faustball: Faustball ist ein bisschen wie Volleyball, nur dass mit Faust und Unterarm geschlagen wird. Und dass das Netz eine Leine ist. Und dass der Ball zwischen dem Wechsel von Spielpartner zu Spielpartner einmal den Boden berühren darf – schließlich ist das Feld sommers (50x20 m) wie winters (40x20 m) ganz schön groß. Fünf Personen bilden eine Mannschaft, nach maximal drei Schlägen muss der Ball die zwei Meter hohe Leine überquert haben. Im Großen und Ganzen haben sich das die alten Römer ausgedacht. Im dritten Jahrhundert vor Christus hatte der Dichter Platus bereits „einen mit der Faust geschlagenen, großen Ball“ erwähnt. Wen wundert's, dass später Italien das Mutterland des modernen Faustball-Sports wurde. Was auch nicht an Goethe auf seiner „Italienischen Reise“ vorbei ging. Im 19. Jahrhundert lichteten sich die Erwähnungen dieses klassischen „Männersports“ – bis Faustball 1885 beim Deutschen Turnfest wieder der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Ein Jahr später schuf der Münchner Turnlehrer Georg Heinrich Weber das heutige Regelwerk. Italien spielt international kaum noch eine Rolle bei der Vergabe großer Titel, das machen Deutschland, die Schweiz, Österreich und Brasilien unter sich aus. National mischt ein unterfränkischer Klub in der Spitze mit: der TV Oberndorf Schweinfurt, 2015 Zweiter und 2014 Dritter der deutschen Meisterschaft.

Prellball: Zwei Vierer-Mannschaften mühen sich, den Ball so fest ins eigene Feld zu hämmern, dass er über das mittig und nur 40 Zentimeter hoch gespannte Netz in der Gegners Territorium springt. Jenem Kontrahenten soll mittels gewitzter Platzierung die Abwehr des Balles schwer gemacht werden. Nach maximal drei, von erneuten Bodenkontakten unterbrochenen Berührungen innerhalb eines Teams muss das Spielgerät die Seiten wechseln. So gleicht das einer rustikalen Mischung aus Volley- und Faustball, mit dem Unterschied, dass auf Zeit (zweimal zehn Minuten) gespielt wird. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gab es erste Berichte über Prellball als Wettkampfform, danach wurde derart heftig übers Regelwerk gestritten, dass es bis 1956 dauerte, ehe Wilhelm Baumgardts Sicht der Dinge sich als die bis heute gültige erwies. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) gab dem Spielchen 1963 seinen Segen.

Indiaca: Wer, so denn sagen wir mal heute um die 50, kennt dieses Spielgerät nicht von früheren Nord- und Ostseeurlauben? Ein kanariengelbes Schaumstoffkissen, knallrote Federn – richtig, eine Indiaca. Neben dem Gummiball-Strandtennis gestattete eigentlich nur dieses Ding Ballwechsel in der steifen Meeresbrise. 1936 bereits hat's der deutsche Sportlehrer Karlhans Krohn beim Flanieren an Brasiliens Copacabana entdeckt. Und weil es nach seinem Dafürhalten „Indianer“ waren, die da „Peteka“, eine Art Tennis ohne Schläger, spielten, nannte er das Spielgerät Indiaca.

In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebte der Sport einen Aufschwung, der Deutsche Sportbund (DSB) kürte ihn zweimal zum „Spiel des Jahres“. Natürlich wurde, wenn auch mit Verzögerung, dieses Ding 1990 genormt: Vor allem müssen die Federn von der Pute stammen und 18 bis 20 Zentimeter lang sein. Zwei Fünfer-Teams spielen sich die Indiaca mit der offenen Hand zu und schlagen sie möglichst so über das rund zwei Meter hohe Netz, dass der Gegner machtlos ist. Gespielt wird auf zwei Gewinnsätze zu je 25 Punkten, beziehungsweise 13 im Entscheidungssatz. Seit 2000 international: Da wurde in Berlin die International Indiaca Association gegründet, ein Jahr später im estischen Tartu die erste WM ausgetragen.

Ringtennis: Dieses Rückschlagspiel über zweimal zehn Minuten wird als Einzel und Doppel ausgetragen, wobei ein Ring über ein 1,55 Meter hohes Netz geworfen – und im Idealfall auch gefangen wird. Was Ringtennis schon mal nicht ist, beschreibt der BTSV auf seiner Homepage befreit von jeglich Verbandspedanterie: . . . kein Tennis im Boxring; . . . kein Kreislauf am Tennisplatz; . . . kein Ringen um einen Tennisball. Und was ist es dann? Eine Art Volleyball vielleicht. Pro-7-Gucker müssten's kennen aus „Schlag den Raab“. Offenbar entscheidend: Der Ring ist als Torus aus gelbem, festem Moosgummi ohne Luftfüllung produziert, was eine schnelle Rotation ohne Stabilitätsverlust erlauben soll. Stabilität ist unabdingbar: Wackeln ist gleich Fehler. Richtig gut umgehen können mit dem Ding offenbar die Deutschen, sie wurden 2006, 2014 und gerade erst in Minsk erneut Weltmeister. Mitgebracht nach Deutschland hat diese Sportart ein Karlsruher Kommunalpolitiker von einer Schifffahrt nach New York, als an Deck munter die Ringe geflogen sind – nur nannten's die Amis Deck-Tennis. Der Badenser nicht, er führte es als Ringtennis ein. Seither gilt Karlsruhe als Zentrum des deutschen Ringtennissports, droht unter der Last aber nicht zusammenzubrechen. Auch der Weltverband ist der größte nicht: Südafrika, Indien und Deutschland schwingen den Taktstock, die restlichen Nationen tanzen dazu mehr schlecht als recht.

Korfball: Nein, kein Schreibfehler. Neben Korbball existiert im BTSV auch Korfball – und ist nicht nur im Namen ähnlich. Beide Disziplinen sind dem Basketball artverwandt, die Körbe stehen jedoch frei im Feld an Stangen. Aber: Beim Korfball hängt der Korf (nicht Korb) mit 3,50 rund einen Meter höher, das Feld ist mit 40 mal 20 Metern deutlich größer. Weil: Beim Korfball wirken, anders als im Frauensport Korbball, auch Männer mit. Möglicherweise diesen geschuldet: Spielgerät ist ein Fußball. Korfball gilt als einzige Mixed-Team-Ballsportart und hat das Ziel, gewaltfrei, ohne Körperkontakt zu sein. Je vier Frauen und Männer bilden eine Mannschaft, in der es ums Zusammenspiel geht; Dribblings sind verboten. Was wirkt wie therapeutische Bewegung mit Ball, ist auf den Mist des niederländischen Lehrers Nico Broekhuysen gewachsen, der 1902 in der schwedischen Sommerfrische „Ringboll“ schätzen gelernt hat. Zurück in den Niederlanden baute er das Spiel für seine Schule, an der Mädchen und Jungen gemischten Sportunterricht hatten. Vor allem ersetzte er den schwedischen Ring durch einen niederländischen Korb, den Korf – fertig war eine Disziplin, die 1920 bei den Olympischen Spielen in Antwerpen vorgestellt wurde. Es blieb beim Vorstellen, doch einen internationalen Verband (IKF) hat man gegründet. In Deutschland wird Korfball wettkampfmäßig fast nur in der Holland-affinen Region Rheinland ausgeübt. Aber immerhin: 2004 wurde die deutsche Junioren-Nationalmannschaft sensationell WM-Dritter. MIB/Foto Imago

 
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