Die Fußball-Regionalliga Bayern startet am Wochenende in die noch zwölf Spieltage dauernde Restrunde. Und der auf dem zweiten Platz rangierende FC 05 Schweinfurt hat es sich zum Ziel gesetzt, den acht Punkte voraus liegenden Tabellenführer Türkgücü München noch zu überholen. Daran haben Präsident Markus Wolf ("wir schaffen das") und Trainer Tobias Strobl ("warum soll man nicht alle zwölf Spiele gewinnen können") wenig Zweifel gelassen. Dass Münchens Coach Rainer Maurer ("acht Punkt im Fußball zu verspielen, hat es schon gegeben") jüngst tief stapelte, soll eine Saison, die für Viele schon gelaufen scheint, ein Stückchen spannender machen.
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Ob diese verbal basierte Spannung gerechtfertigt ist, müssen die ersten Partien zeigen. Fakt ist: Mit jedem Sieg der Münchner sinken rechnerisch die Chancen der Schweinfurter, am vorletzten Spieltag (Sonntag, 17. Mai) im direkten Vergleich in der Landeshauptstadt eine Wende heraufbeschwören zu können. Da müssten sie eigentlich schon vorbeiziehen, denn zum Saisonfinale hat Türkgücü mit dem Gastspiel in Heimstetten eine vergleichbar harmlose Aufgabe vor sich, der FC 05 mit Eichstätt eine deutlich schwerere.
Der SV Heimstetten dient quasi als Klammer dieses Fernduells: Denn der Münchner Vorort-Klub, ironischerweise bis zur Winterpause Gastgeber der noch heimatlosen Türken, ist am Samstag (14 Uhr) Auftaktgegner der Schweinfurter. Und die dürfen sich weder dort, noch während der folgenden Wochen Punktverluste erlauben.
Ist es realistisch, dass der FC 05 Schweinfurt zwölf Spiele gewinnt?
Nein. So sehr die Mannschaft samt Verantwortlichen Optimismus und Euphorie ausstrahlt: Da warten zu viele hochkarätige Regionalliga-Teams, die es sich angesichts eigener Chancenlosigkeit nach ganz oben zum Ziel machen dürften, das Spitzenduo zu ärgern. Türkgücü wie die Nullfünfer, denen bei fünf Zählern plus auf die weiteren Verfolger ja der (bedeutungslose) zweite Platz längst nicht sicher ist. So wartet auf den FC 05 bereits am dritten Spieltag nach Wiederbeginn (Samstag, 21. März) beim Tabellenfünften Viktoria Aschaffenburg, wo mit dem Pokal-Aus Anfang Oktober die fünfwöchige Ergebniskrise der Schweinfurter begonnen hatte, eine ganz knifflige Herausforderung.
Andererseits ist es gleich dieser März, der, wenn überhaupt, die Weichen zu Gunsten der Unterfranken stellen könnte. Denn mit Heimstetten, Schalding-Heining und Garching sind die weiteren Kontrahenten in diesem Zeitraum überschaubar. Während Türkgücü neben dem Auftakt-Gang zu den unbequemen Augsburgern und anschließend Illertissen zu Hause gleich zwei "Brocken" vor sich hat: Am 21. März beim Tabellendritten 1. FC Nürnberg II, am 30. März (Live-Spiel am Montagabend) gegen den Vierten SpVgg Bayreuth.
Wollten die Schweinfurter es wirklich noch schaffen, müssten sie diesen März nutzen, um mindestens fünf Punkte wettzumachen. Das Restprogramm der Türken, den direkten Vergleich mal abgesehen, sieht nämlich nicht so aus, als lade es zu einer Aufholjagd des FC 05 ein, der dann noch Nürnberg und Bayreuth zum Gegner hat und auf einen zuvor einsetzenden "Flow" und die wieder deutlich engere Bande zu den Fans baut.
Worin unterscheiden sich Türkgücü München und der FC 05 Schweinfurt?
Während die Schweinfurter nach zwei vergeblichen Anläufen, bei denen mit dem TSV 1860 und dem FC Bayern auch zwei Teams aus München vorne lagen, ein drittes Mal in Folge am Drittliga-Aufstieg zu scheitern drohen, will Türkgücü als Aufsteiger den direkten Durchmarsch. Der in diesem Projekt fast schon Pflicht und doch erst Anfang wäre: Dass die Dritte Liga unrentabel sei, hat Klub-Boss Hasan Kivran ("dort gibt es die meisten Insolvenzen") bereits geäußert und offen die Zweite Liga ins Feld geführt. Potente Geldgeber hat der spendable Geschäftsmann ins Boot holen können, wie Global Player aus der Reise- (FTI) und Lebensmittel-Branche (Gazi), oder Trikotsponsor AON, der auch mit Manchester United kooperiert hatte und derzeit beim FC Parma wirbt. Für den Fall des ersten Aufstiegs eines von Migranten gegründeten Vereins in den deutschen Profi-Fußball hat offenbar Turkish Airlines seinen Einstieg angekündigt.
Das Vorhaben Durchmarsch wurde unterfüttert mit 20 Neuverpflichtungen. Marco Holz (aus Saarbrücken gekommen), Patrick Hasenhüttel (Ingolstadt), Benedikt Kirsch (Fürth) oder Mario Erb (Uerdingen) sind nur einige der Hochkaräter. Da war selbst für "Fehleinkauf" Karl-Heinz Lappe, den ehemaligen Zweitliga-Angreifer, kein Platz mehr; der Vertrag mit ihm wurde wieder aufgelöst.
Da steht der FC 05 vergleichsweise hemdsärmelig da. Trotz der knappen Million Sponsorleistung von Markus Wolf dürfte der mit rund 1,4 Millionen anzusiedelnde Schweinfurter Etat nur knapp mehr als die Hälfte des Münchners sein. Im Willy-Sachs-Stadion fehlen die größeren Namen des Geschäfts. Zwar wurde auch in Schweinfurt umstrukturiert, doch das Dutzend Neuer gehört überwiegend zur Kategorie Talent mit vernünftiger Perspektive. Dumm nur: In einer Spielzeit mit so einem potenten Mitstreiter, war für die Entwicklung dieser Perspektiven zu wenig Zeit.
Eine bemerkenswerte Parallele: Beide Klubs trennten sich binnen weniger Tage von ihrem sportlichen Leiter, in Schweinfurt Björn Schlicke, in München Robert Hettich. Beide Male vorzeitig, weil offenbar ohnehin keine weitere Zusammenarbeit nach Saisonende geplant gewesen sei.
Wie ist der aktuelle Leistungsstand der Schweinfurter Mannschaft einzuordnen?
Dass der FC 05 mit 45 bereits zehn Punkte mehr gesammelt hat als vor einem Jahr nach 22 Spieltagen, ist die eine Seite. Die andere: Es sind im Vergleich mit München einfach acht zu wenig. Und die haben wenig mit Türkgücü zu tun. Immerhin trennte man sich im ersten Duell ja 1:1 unentschieden. Das war ausgerechnet der einzige Punkt im Oktober, in dem sich die Schweinfurter mit schwachen möglicherweise alles verspielt haben. Mit dem Trainerwechsel von Timo Wenzel zu Tobias Strobl Anfang November kam die Wende. Es folgten erst drei souveräne Siege, dann dieses unglaubliche 4:3 nach 0:3-Rückstand gegen Rosenheim.
An dieser Serie misst sich der FC 05 im Jahr 2020. Muss dabei aber aufpassen: Da wurde munter gestürmt mit einem Personal, das zuvor eher auf Vorsicht getrimmt war - und es ging gut, auch weil Strobel mit einer erfrischenden Art eine Welle der Euphorie initiiert hatte. Eine, nicht nur von den Ergebnissen her, durchwachsene Testspielserie relativiert dieses Bild nun.
Vor dem Trainingslager lief's noch, in der Türkei nicht mehr ganz so und das 3:3 gegen Bayernligist Erlangen offenbarte, was das 4:1 gegen Großbardorf kaum kaschieren konnte: Abwehrschwächen. Und dann dieses 4:6 bei Liga-Konkurrent Greuther Fürth II. Zehn Gegentore in den letzten drei Spielen vor dem ersten Pflichtspiel, das waren Strobl deutlich zu viel: "Das liegt nicht an der Staffelung, sondern an der Bereitschaft, das gegnerische Spiel zu unterbinden." Abrücken will er von der Dreierkette deswegen nicht. Er will sie auch eindeutig als solche und nicht verkappte Fünferkette, bei der die beiden Außenbahnspieler immer sofort zurück kommen, sehen. "Wenn es danach aussähe, würde die Mannschaft etwas falsch machen. Das könnte nur passieren, wenn ein Gegner uns dominiert. Und das soll nie der Fall sein."
Welche personellen Möglichkeiten hat Trainer Tobias Strobl?
In Fürth hat die Dreierreihe Billick-Kleineheismann-Krätschmer nicht belegen können, erste Wahl zu sein. Von den Oldies Lukas Billick und Stefan Kleineheismann wird wohl einer weichen müssen, dafür Neuzugang Maximilian Bauer (aus Unterhaching) trotz seiner größenbedindingten Defizite im Kopfballspiel auf rechts hinten rücken. Denn Marco Fritscher scheint wieder fit, wird dann mit seiner enormen Laufstärke die rechte Außenbahn beackern. Zudem ist mit Lamar Yarbrough ein weiterer potentieller Innenverteidiger nach seiner Verletzungspause zurück.
Fritscher Rechtsaußen, Christian Köppel Linksaußen, daran müssen sich die Schweinfurter Fans gewöhnen. Denn die potenziellen Kandidaten für diese Offensiv-Positionen fallen bis Saisonende aus: Amar Suljic (links) nach einer Adduktoren-OP, Benedict Laverty (rechts) mit Pfeifferschem Drüsenfieber. Ausgerechnet diese Spieler waren Schlüsselfiguren in Strobls ureigenem System der "wilden Wirbelei" im Angriff. Immer wieder zogen sie nach innen, forcierten Rochaden. "Es kann sein, dass wir künftig weniger Rotation im Spiel haben und geradliniger auf die letzte Kette spielen. Allerdings wollen wir weiter schwer greifbar im Angriffsspiel zu sein."
Strobel weiß aber auch, dass seine Offensivabteilung - anders als die mit Sachscha Korb, Kevin Fery, Tim Danhof und Lukas Ramser üppig besetzte Zentrale - kaum noch Ausfälle verkraften kann. Dass Adam Jabiri mit seinen 35 Jahren zwölf Mal 90 Minuten gehen kann, ist fraglich. Talent Emir Bas stellt Strobl "Einsatzmöglichkeit" in Aussicht, mit dem lange verletzen Stefan Maderer rechnet er ebenfalls nicht sofort: "Man merkt schon, dass er Monate nicht auf dem Fußballplatz gestanden hat." Immerhin hat sich Mohamad Awata durch einige Testspiel-Tore neben Florian Pieper als zweiter Sturmpartner für Jabiri empfohlen.