Der Boxsport bedient gerne martialische Klischees: Der Kämpfer schreitet zu harter Einlaufmusik mit grimmiger Miene entschlossen in die Halle. Boxfans kennen das. Aber es gibt auch Raphael Rogers: Der Schweinfurter tanzt zum Ring.
Vieles ist anders, wenn der ehemalige Fußballer Rogers vom Ringrichter aufgefordert wird, in den Ring zu kommen. So war es auch am vergangenen Samstag um kurz nach 22 Uhr in München. Der Boxstall Lionsport Promotion, bei dem der 34-Jährige unter Vertrag steht, veranstaltete eine "coronakonforme Fightnight" im eigenen Boxgym im Stadtteil Neuaubing.
Als Rogers zum neunten der elf Kämpfe aufgerufen wird, tanzt er zu James Browns Hit "Super Bad" mit breitem Grinsen in Richtung Ring. "Soul bringt mich gut in den Rhythmus, der lässt mich schön bewegen", erklärte er später. Dann fühle er sich glücklich – "und wenn ich glücklich bin, kämpfe ich mit Abstand am besten". Das Klischee mit mieser Laune und wilder Aggression bediene er nicht: "Ich bin eher so der 'Hol dir deinen Traum'-Herzboxer."
Rogers schlägt seinen Gegner nach wenigen Sekunden zu Boden
Die Kampfsportart sei für ihn eine Kunstform: "Boxen ist Tanzen, etwas Schönes, gute Laune – Boxen ist Herz", findet Rogers. Im Untergeschoss eines Industriegebäudes im Münchner Westen stand er im zweiten Kampf seiner erst im Dezember vergangenen Jahres gestarteten Profikarriere Ante Siljeg aus Kroatien gegenüber. Der Kampf im Supermittelgewicht war auf vier Runden angesetzt.
Levent Cukur, früherer Weltmeister im Leichtgewicht, Promoter und Trainer des Boxstalls, gibt seinem Schützling "Raphi" letzte Instruktionen, dann ertönt der Gong – und Rogers tanzt wieder. Er setzt seinen 33-jährigen Rivalen sofort unter Druck. "Schieb die rechte Gerade zwischen die Deckung", ruft ihm Cukur zu. Rogers gelingt das und Siljeg geht nach wenigen Sekunden erstmals zu Boden. Nach nicht einmal zwei Minuten ist der Kampf vorbei.
Der "Black Panther", so lautet Rogers' Kampfname, reißt die Arme nach oben, nachdem der Ringrichter den Kampf abgebrochen hat, weil Siljeg das zweite Mal zu Boden gegangen war. Noch im Ring muss er mit einem offenen Nasenbeinbruch behandelt werden. "Es hat mir leidgetan, ihn so zu demoliert zu haben", sagte "Herzboxer" Rogers hinterher.
Wegen Vollsperrung auf der Autobahn: Per Anhalter zum Wiegen
Der Kroate Siljeg, der als hartnäckiger Aufbaugegner über die volle Distanz vorgesehen war, entpuppte sich letztlich als kein echter Gradmesser für Rogers, der den Abend ohne jeden Kratzer und mit einer erstaunlichen Leichtigkeit über die Bühne brachte, obwohl seine Vorbereitung "eine Katastrophe" gewesen sei.
Coronabedingt konnte er nur für zehn Tage zum Sparring nach München – ideal wären für ihn eigentlich vier Wochen am Stück gewesen. Die restliche Vorbereitung, also Boxtraining, Athletik und Kondition, absolvierte er zu Hause in Schweinfurt: "So will man eigentlich nicht in einen Kampf gehen – mit dem Gefühl, dass man nicht alles bestmöglich gemacht hat."
Gereicht hat es trotzdem. Rogers hat den nächsten Schritt in den Ranglisten nach oben gemacht – mit einer Bilanz von zwei Siegen aus zwei Kämpfen. Dabei wäre der Kampf am Freitag fast noch geplatzt: Mit einem Teamkollegen aus Nürnberg geriet er auf dem Weg nach München zum obligatorischen Wiegen in eine Vollsperrung auf der Autobahn. Die beiden Boxer suchten, was auch sonst, die Flucht nach vorne, rannten über ein Feldweg, fuhren per Anhalter in den nächsten Ort und schafften es auf Irrwegen noch rechtzeitig zum Wiegen in einem Münchner Hotel.
Inmitten einer fast menschenleeren Trainingshalle muss man Raphael Rogers aber doch diese Frage stellen: Fühlt sich das eigentlich nach Profiboxen an? "Ich weiß nicht, wie Profiboxen sein müsste, ich habe eigentlich keine Erwartungen", sagt er, überlegt kurz und legt nach: "Aber es fühlt sich schon nach Profi an. Die Anerkennung der Leute ist schon eine ganz andere."
Trainer und Promoter Levent Cukur ist zufrieden mit Rogers
Auch zu Hause in Schweinfurt. "Da lache ich mich oft etwas kaputt, dass die Leute jetzt erst merken, dass da ein Boxer ist. Ich habe jahrelang hart dafür gekämpft, da zu sein, wo ich jetzt bin." Er meint seine erfolgreiche Karriere als Amateurboxer, als er in der Bundesliga oder im Kiliani-Festzelt vor vielen Hundert Zuschauern kämpfte: "Ich hätte natürlich auch gerne etwas Action in der Halle und Freunde am Ring dabei. Aber mir geht es ums Boxen. Ich freue mich, wenn wieder Zuschauer dabei sind. Ich will meinen Job auch erledigen, wenn sie nicht da sind."
Aktuell gehe es sowieso einfach nur darum, die Boxer trotz der Corona-Krise voranzubringen, erklärt Cukur. Die Veranstaltungen ohne Publikum seien finanziell eigentlich kaum zu stemmen. Fast hätte er bei einer Absage 30 000 bis 40 000 Euro in den Sand gesetzt, doch das Münchener Gesundheitsamt genehmigte die Veranstaltung am Tag zuvor.
Ende des Jahres soll Rogers um die deutsche Meisterschaft boxen
"Mir ist es wichtig, dass die Sportler nach oben kommen und sich in der Weltrangliste nach vorne schieben", sagt der Trainer und Promoter. Für jeden seiner Boxer habe er Pläne und Ziele, die er trotz allem erreichen wolle. Auch mit Raphael Rogers habe er "größere Sachen vor".
Ende des Jahres würde er ihn gerne um die deutsche Meisterschaft boxen lassen, dazu brauche er aber noch mindestens vier bis fünf Kämpfe. "Raphi nimmt das richtig ernst. Er möchte in der deutschen Boxszene oben mitmischen." Sein relativ hohes Alter für einen Newcomer sieht Cukur nicht als Hindernis: "Er ist körperlich der Fitteste und Disziplinierteste von allen bei uns. Ihm muss man Dinge nur einmal erklären, er ist sehr reif."
Außerdem hat Cukur bei Raphael Rogers "dieses Glänzen in den Augen" erkannt: "Er hat Herz und macht das, was er tut, mit Liebe." Es scheint, dass auch er den Schweinfurter noch öfter zu James Browns "Super Bad" zum Ring tanzen sehen möchte.