Es waren einst goldene Zeiten für die Leichtathletik in Schweinfurt, als in den 50-er bis 80-er Jahren die Weltklasse im Sachs-Stadion auftrumpfte. Dramatische West-Ost-Olympiaausscheidungen 1960, die Zehnkampf-Elite traf sich mehrfach zu Meisterschaften und Länderkämpfen, auf der 1978 erstellten Kunststoffbahn gab es Länderkämpfe, nationale Meisterschaften und große Meetings. Eine Blütezeit erlebte die Leichtathletik auch auf lokaler Ebene. Die Turngemeinde 1848 Schweinfurt war eine Hochburg in Bayern. Und in der lief einer meist vorne weg: Erich Preßler, markante Läuferfigur der 50-er und 60-er Jahre, der am 30. Dezember seinen 90. Geburtstag feiert.
Respekt einflößend sind auch nach über 60 Jahren noch die auf Aschenbahnen gelaufenen Bestzeiten der TG-Gazelle, wie er ob seines eleganten, raumgreifenden Laufstils genannt wurde: 49,5 Sekunden über 400 m, 1:54,6 über 800 m, vorzügliche 2:29,8 über 1000 m. Zeiten, mit denen er heuer unter den Top-Ten der bayerischen Bestenlisten rangieren würde. Pech für den Jubilar, dass es in Bayern mit dem Nürnberger Karl-Friedrich Haas einen Viertelmeiler von Weltklasse gab. So blieb für den Schweinfurter bei der „Bayerischen“ oder alljährlich beim nationalen Fürther Pfingstmeeting mehrfach nur Rang zwei. „Trotzdem waren die Duelle gegen den Olympiazweiten von Melbourne 1956 oder die anderen National-Staffelläufer wie Manfred Kinder immer etwas Besonderes,“ weiß der Jubilar.
Sportlich tat sich bei Erich Preßler relativ wenig, bis er mit 17 bei der TG 48 hineinschnupperte und ihn schnell das Lauffieber packte. Täglich spulte er nun sein Trainingspensum ab, oft noch früh vor dem Start in den Arbeitstag bei Kugelfischer. „Ich hab's meinem Fleiß und eisernen Willen zu verdanken, dass ich es so weit gebracht habe, auch beruflich“, verdeutlicht Preßler. Trainiert hat er immer alleine, „das Wissen holte ich mir bei den Förderlehrgängen in der Sportschule.“
Der Veranstaltungskalender war zu dieser Zeit dicht gefüllt – es gab Städtewettkämpfe, Sportfeste, Einlagewettbewerbe bei Länderkämpfen oder in der Halbzeit bei Oberligaspielen der 05er. Auch kleine Ländervergleiche zwischen Bayern (wo die TG 48 die bayerischen Farben vertrat) und den österreichischen Bundesländern und Südtirol. Wettkampfreisen nach Frankfurt, in die Pfalz oder nach Nürnberg machte er mitunter auf dem eigenen Lambretta-Motorroller. „Insgesamt dürften es über 1000 Rennen gewesen sein“, schätzt der Viel-Reisende, der 1960 das weiße Trikot mit dem großen TG-Adler gegen das grünweiße des FC 05 tauschte.
Nach 20 Jahren Hochleistungssport hängte er noch einige Jahre „aus Spaß an der Bewegung“ bei den Senioren an und holte sich hier Bayerische Titel. Doch Ruhestand kam nie in Frage, Sport sei eben das A und O seines Lebens gewesen – als Trainer bei der FTS und vor allem mit Gymnastik, seiner zweiten großen Passion. Die praktizierte er schon in der gewohnt gründlichen Art zu aktiven Zeiten vor seinen Starts – „eine halbe Stunde mindestens, um den Körper fit für die Belastung zu machen.“
Im Laufe der Jahre baute er sein Fitness-Programm immer weiter aus und stieß damit bei vielen Schweinfurtern auf großes Interesse. Bei der Turngemeinde sorgte der Pionier der Skigymnastik für volle Hallen mit bis zu 120 Teilnehmern. In seinem Wohnort machte er 18 Jahre lang die Bergrheinfelder dank seines ausgetüftelten Übungsprogramms fit. Zusammen mit Hans Geis initiierte er beim Naturheilverein schon zu aktiven Zeiten den wöchentlichen Lauftreff, vielen schmerzgeplagten Mitmenschen half er auch beim SV Bergl, wo nach dessen Auflösung eine Gymnastikgruppe unter Preßlers Regie im privaten Rahmen weiter machte.
Neujahrs-Lauf
36 Jahre („das hielt mich jung“) leitete er die Übungen, ehe er vor fünf Jahren seinen Abschied verkündete. „Irgendwann musste Schluss sein.“ Im häuslichen Bereich freilich bestimmt Bewegung weiterhin den Tagesablauf. Früh morgens eine Stunde im Hobbykeller, mehrmals in der Woche geht es hinaus in Wald und Flur, die direkt hinter dem Haus an Bergrheinfelds Holderhecke beginnt. „Ich hab vieles angestoßen in meinem Leben, fast zu viel“, blickt der „Sportaholic“ zurück „auch mit ein wenig schlechtem Gewissen an die Entbehrungen der Familie. Denn ohne die Unterstützung und Mitarbeit meiner Frau hätte ich das alles nicht hingekriegt.“ Edelgard Preßler (82), mit der Erich nun seit 60 Jahren verheiratet ist, war als Chefin des „Fahrdienstes“ im "Lauf- und Gymnastik-Unternehmen" Preßler bis zuletzt meist überall dabei.
Was keinem auffiel, wenn Erich über die Aschenbahnen wirbelte: Der unverwüstliche Sportsmann ist seit seinem 12. Lebensjahr auf einem Auge blind, als er in ein Eisengitter fiel und sich die schwere Verletzung zuzog. Doch behindert habe ihn das im Rennen nicht, betont er, das andere Auge habe das ausgeglichen. Umso mehr bewundert man sein künstlerisches Hobby, das er auch im hohen Alter noch mit ruhiger Hand hochkonzentriert zelebriert: Grußkarten in schön ausgestalteter, alter Schriftkunst, mit selbst verfassten Versen.
Mit dem eisernen Willen, der ihn auf sportlichem Terrain auszeichnete, steckt er auch manche gesundheitliche Beeinträchtigung weg. Auch wenn es zunehmend schwer fällt, bleibt er in Bewegung und es zieht ihn auch an ungemütlichen Wintertagen in die Natur. Am Morgen des 1. Januar wird er wieder sein alljährliches Ritual pflegen, mit einem meditativen Lauf durch die Bergrheinfelder Flur das neue Jahr zu beginnen.