Vor über sechs Jahren debütierte Leon Krapf mit 14 im Trikot des DFB als Junioren-Nationalspieler. Mit auf dem Feld standen jetzige Bundesligaspieler wie Dennis Geiger (TSG Hoffenheim) oder Johannes Eggestein (Werder Bremen), deren Marktwert heute auf zusammen knapp 20 Millionen Euro taxiert wird. In die Glitzerwelt der Bundesliga hat es der talentierte Torhüter aus Weyer, einem Ortsteil von Gochsheim, (noch) nicht geschafft. Krapf ist heute ein junger Mann, der seinen ganz eigenen, etwas ungewöhnlichen Weg geht. Als Student der NC State Universität im US-Bundesstaat North Carolina treibt der Unterfranke gleich zwei Karrieren voran.
„So richtig geträumt von einer Profikarriere habe ich eigentlich nie“, gesteht Krapf. Angesichts seiner sportlichen Vita etwas überraschend: Schon als Zehnjährigen lockte der 1. FC Nürnberg den begabten Torhüter direkt von seinem Dorfverein SC 47 Weyer an den Valznerweiher. Dort meisterte er nicht nur im ersten Jahr den Sprung von Kleinfeld- auf Großfeldfußball – gerade für einen Torhüter eine große Herausforderung –, sein Weg beim Club führte immer weiter. Die Mitfahrer und Mitfahrgelegenheiten wurden über die Jahre immer rarer. Am Keeper aus Weyer führte kein Weg vorbei. Der heute 21-Jährige gehörte über die komplette Jugendzeit zu den besten Schlussmännern der Nation.
Hoffnung auf Profi-Vertrag
„Ich konnte mir berechtigte Hoffnungen machen, nach der U 19 einen Vertrag bei den Profis zu bekommen“, blickt er zurück: „Das letzte Jahr in der Jugend ist nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich hatte einige unglückliche Spiele dabei.“ Das Aus beim Club war gleichzeitig der Startschuss zum bislang größten Abenteuers seines Lebens.
2017 hätte es für Krapf im Aktivenbereich in der Regionalliga weitergehen können. „Doch da wäre es für mich nicht möglich gewesen, parallel zu studieren“, erklärt er seine Entscheidung für ein College in den USA: „Ich habe das mitbekommen, dass manche rüber gehen.“ Als bestes Beispiel aus der Region hatte er den Oberschwarzacher Timo Pitter vor Augen, der von 2012 bis 2015 an der Creighton University studierte und kickte, anschließend gar eine Saison beim FC Dallas in der MLS – der Major League Soccer (1. Liga in den USA) – im Kader stand.
Ganz einfach sei der Schritt von Deutschland an ein US-College freilich nicht. „Das Problem war auch, dass ich viel zu spät dran war“, erinnert sich Krapf. Mit Hilfe einer Agentur, die sich darauf spezialisiert hat, deutsche Sportler, insbesondere Fußballer, an College-Teams in den Staaten zu vermitteln, ging aber doch alles ganz schnell. Ein Highlight-Video, ein ausführliches Profil für die Datenbank der Scouts und Trainer der College-Mannschaften, einen schulischen Test und viel Bürokratie später, saß Leon Krapf in Weyer vor dem Laptop und führte via Skype ein Vorstellungsgespräch mit seinem zukünftigen Trainer. Mehrere Mannschaften interessierten sich für den talentierten deutschen Schlussmann. Der Ruf deutscher Torhüter ist im Fußball ohnehin unschlagbar.
Die Wahl fiel auf die NC State University in Raleigh. Ein Hauptgrund war der sportliche Stellenwert. Das „Wolfpack“ (Wolfsrudel), wie alle Sportteams dieser Uni genannt werden, spielt in der Atlantic-Coast-Conference – der stärksten College-Gruppe des Landes wenn es um „Soccer“ geht. Als Außenstehender ist das Ligensystem kaum überschaubar, erklärt Krapf: „Es gibt 205 Mannschaften in der Division I. Deren Niveau reicht, verglichen mit Deutschland, von Kreis- oder Bezirksliga bis zur Dritten Liga.“
Trotz aller akribischer Vorbereitung, einer starken Agentur im Rücken und eines Sportstipendiums in der Tasche, war das Abenteuer USA zunächst ein Blindflug für den damals 18-Jährigen. „Ich war vorher noch nie in meinem Leben in den USA und konnte mir auch vorher das College nicht ansehen. Dafür war die Zeit zu knapp“, erzählt er. Im Februar 2017 fing er an, sich zu bewerben, sechs Monate später startete bereits die Saison im College-Soccer. Mindestens ein Dreivierteljahr Vorlaufzeit sei normalerweise nötig. Krapf aber hatte ein glückliches Händchen.
„Ich habe noch keinen Tag bereut, das gemacht zu haben“, sagt er heute: „Hier kann ich Ausbildung und Sport auf einem hohen Level betreiben.“ Als Student belegt er „Financial Management“ als Hauptfach, „Accounting“ und „Business Analytics“ als Nebenfächer. Kurz vor Weihnachten standen noch drei Prüfungen auf dem Programm. „Ich war schon immer ein guter Schüler – das läuft.“ 30 000 Studenten zählt die NC State. „Ich hatte keine Ahnung, wie riesig das hier ist“, schwärmt er: „Der Campus ist wie eine eigene Stadt.“
Das Leben dort sei genauso, wie es in US-Spielfilmen gerne dargestellt wird. Das führte auch zu einer kuriosen Geschichte, über die er heute lachen kann, ihm damals aber das schnelle Aus hätte bescheren können. Hauspartys gehören zum College genauso wie das strikte Alkoholverbot für unter 21-Jährige. Drei Tage nach seiner Ankunft am College landete Krapf, der in seinem Leben noch keinen Schluck Alkohol getrunken hatte, auf so einer Party. „Die Bierdosen in den USA sahen für mich aus wie Softdrinks.“ Lange dauerten die Feierlichkeiten ohnehin nicht – genau zwei Minuten in Krapfs Anwesenheit. Der Sicherheitsdienst stürmte die illegale Veranstaltung und zog die Beteiligten zur Rechenschaft – unter ihnen auch Krapf, der eine Verwarnung wegen Alkoholmissbrauchs auf dem Campus kassierte. Der Rapport beim Trainer verlief glücklicherweise erfolgreich. „Das hätte auch schief gehen können.“
Auf dem Spielfeld hatte er hingegen keinerlei Startschwierigkeiten. Bis zum ersten Spieltag der Saison 2019 stand er in den zwei Spielzeiten zuvor jede Minute auf dem Feld, wurde zum Mannschaftskapitän und zur großen Stütze des „Wolfsrudels“, das sich nach Jahren der Pleiten wieder im Aufwind befindet. Im statistikverrückten Sportland USA sprangen für Krapf auch einige Auszeichnungen heraus.
Bis im August der erste große Rückschlag in dessen Karriere folgte. In einer unglücklichen Situation ohne Fremdeinwirkung rissen bei Krapf im linken Knie beide Kreuzbänder, beide Menisken, das Innenband und die Patellasehne. „Ich war kurz davor, mir mein Knie komplett abzureißen.“ Dank der überragenden medizinischen Versorgung, wie er sagt, verläuft die Reha aber optimal. „Wenn es einen guten Ort gibt, sich so schwer zu verletzen, dann ist das definitiv hier.“ Durch die prominenten und sehr erfolgreichen Teams im Basketball und Football, stehen allen Sportteams am NC State große finanzielle Mittel zur Verfügung. „So eine Betreuung hätte ich bei einem semi-professionellen Regionalligisten niemals gehabt“, ist sich Krapf sicher.
Nächste Saison will er wieder angreifen: „Ich bin mir sicher, topfit und besser als zuvor zurückzukommen.“ Durch die Verletzungspause verlängert sich seine Spielerlaubnis am College um ein weiteres Jahr. Somit ist sein großes Ziel der MLS-Draft 2022. Das ist die Ziehung der Soccer-Profiliga, in dem die US-amerikanischen Spitzenteams die besten College-Spieler des Landes auswählen können. Zu denen möchte auch Krapf gehören. Der Termin stellt für ihn gleichzeitig die Deadline für eine mögliche Profikarriere dar: „Darauf arbeite ich hin, mit allem was ich habe. Aber ich gehöre nicht zu denen, die den Profi-Traum bis ins Unendliche verfolgen. Wenn das nicht klappt, wird der Fußball zu einem Hobby und ich beginne eine neue Karriere.“
Professionelle Bedingungen
Bis dahin genießt er das Leben als „Athletic Student“ an der NC State. „Als Sportler hat man hier großes Ansehen, egal in welcher Sportart. Auch unsere Heimspiele sind ein Highlight. Da kommen 1000 bis 3000 Studenten ins Stadion. Wir haben sogar eine Fangruppe, die uns mit Bengalos, Trommeln und Trompeten anfeuert.“ Einzig die sehr kurze Saison im College-Soccer sei etwas gewöhnungsbedürftig. Von Ende August bis Anfang Dezember wird gekickt – je nachdem wie weit ein Team in der Endrunde vorrückt. Dafür aber zwei bis drei Mal in der Woche. „Das hat mir geholfen, als Fußballer voranzukommen. Für einen Torwart ist das super, um zu seinem Rhythmus zu finden.“ Zu den Auswärtsspielen wird in der Regel geflogen. Alles läuft hochprofessionell und unter nahezu perfekten Rahmenbedingungen ab, auch wenn der Fußball in den USA immer noch nicht mit Ländern wie Deutschland mithalten kann.
Für Krapf hat sich das Abenteuer USA schon jetzt gelohnt, egal ob am Ende noch mit einer Profikarriere die Kirschen auf der Torte folgen. „Ich habe mich hier extrem weiterentwickelt“, sagt er. Langfristig sieht er seine Zukunft trotzdem in Deutschland – stand jetzt: „Ich bin ein sehr großer Familienmensch. Meine ist überragend, dafür bin ich auch sehr dankbar. Ohne die hätte ich das alles gar nicht machen können. Egal was passiert, ich weiß immer, dass ich wieder nach Hause zu meinen Eltern könnte. Diese Sicherheit gibt mir den Mut, rauszugehen und das zu machen, was ich will. Daher fühle ich auch eine Verantwortung, mit meiner Chance gut umzugehen und etwas Besonderes draus zu machen.“
Unser Autor Steffen Krapf ist weder verwandt, noch verschwägert mit dem Fußballer Leon Krapf.