
Ludwig Müller, den auch heute alle noch Luggi nennen, hat keineswegs einen sentimentalen Blick auf seine erfolgreiche Fußball-Karriere. Einmal Profi, immer Profi. Erinnerungsstücke, die hängen zu Hause bei den Müllers nur im Keller. Den Schal, den der 1. FC Nürnberg jetzt für die noch lebenden Meisterspieler von 1968 fertigen ließ, hat Enkel Maximilian bekommen.
Wenn der 76-Jährige aber darüber spricht, was er beim Club alles erreicht hat, dann wird seine Stimme etwas fester. „Ich bin von einem Amateurverein gekommen und habe beim damaligen Rekordmeister gleich in der ersten Mannschaft gespielt. Ich bin deutscher Meister geworden, das hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Und ich wurde Nationalspieler. Da darf man auch ein bisschen stolz sein.“
Eine große Überraschung
Dass der 1. FC Nürnberg am Ende der Saison 1967/68 seine neunte und bis heute letzte deutsche Meisterschaft einfuhr, war damals eine große Überraschung. Trainer Max Merkel, der zwei Jahre zuvor schon 1860 München zum Titel geführt hatte, wiederholte seinen Erfolg in Nürnberg. Nachdem der exzentrische Österreicher den Club in der Saison zuvor noch vor dem Abstieg gerettet hatte, baute er den Kader erfolgreich um. „Die Mischung der Truppe hat gepasst“, sagt Luggi Müller, der in der Meistersaison im damals noch gebräuchlichen WM-System mit strikter Manndeckung der rechte Läufer war – in etwa vergleichbar der heutigen Position sechs.
Was unterschied Merkel von anderen Trainern? „Seine Motivationskunst“, sagt Müller. „Sein Wiener Schmäh kam bei uns an. Wir haben daran geglaubt, was er uns erzählt hat.“ Müller widerspricht der gängigen Einschätzung, dass Merkel gemäß des Titels seiner Biografie „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ auch ein Schleifer gewesen sei: „Das ist nicht wahr.“ Im Training sei es härter als im Spiel zur Sache gegangen, weil damals nur ein Einwechselspieler erlaubt war und jeder um die Einsatzprämie gekämpft habe. Müller selbst war freilich immer hart gegen sich selbst. Und bezeichnet sich in Sachen Merkel als befangen: „Der Max hat mich gemocht.“
Aus dem richtigen Holz
Und Müller mochte ihn. Der 2006 verstorbene Merkel selbst würdigte seinen Schlüsselspieler einmal so: „Zehn von Luggis Sorte müssten wir haben: hart gegen sich und den Gegner. Der ist aus dem richtigen Holz geschnitzt – da zittern die anderen schon, wenn sie nur hören, dass sie gegen den Luggi spielen müssen.“
Da durfte sich Müller „auch mal was erlauben, was sich andere nicht erlauben durften“. Bei einem Nürnberger Trainingslager im Kleinwalsertal waren es ein paar hundert Meter von der Pension zum Trainingsplatz. Während die anderen Profis mit dem Auto hin und her pendelten, lief Luggi Müller lieber. Der Grund: auf halbem Weg gab es eine Gaststätte. Müller gab dort den Trainingsplan ab mit der Bitte, pünktlich zehn Minuten nach Trainingsende hinter dem Haus immer ein frisch gezapftes Bier bereitzustellen.
Merkel rock Lunte
Das klappte so gut, dass sich Dauer-Zimmerpartner Horst Leupold – noch heute ein guter Freund – auch davon begeistern ließ. Doch Trainer Merkel roch Lunte und fing die beiden in der Pension ab. Mehr als Zimmerarrest für den Rest des Tages gab es aber zu Leupolds großer Erleichterung nicht. „Wenn der Horst alleine gewesen wäre, hätte er ihn bestimmt zerrissen. Aber mich mochte er halt“, schmunzelt Müller.
In der Folgesaison 1968/69 schaffte der 1. FC Nürnberg bis heute Einmaliges in der Bundesliga-Geschichte: Er stieg als Meister ab. Merkel wurde entlassen, noch zwei weitere Trainer konnten den Niedergang nicht stoppen. Der Club hatte vor der Saison drei Stammspieler verkauft, darunter Torjäger Franz Brungs an Hertha BSC Berlin. „Das hätte man nie tun dürfen“, sagt Luggi Müller.
Streit um Brungs-Verkauf
Im Gegensatz zu anderen schiebt er seinem Trainer die Schuld an dem Verkauf nicht in die Schuhe. Denn Müller bekam als Ohrenzeuge mit, wie entgeistert Merkel auf den Anruf von Schatzmeister Adam Winkler reagierte, der Brungs verkaufen wollte, weil er schon über 30 sei. „Max sagte, 'Ihr könnt doch nicht unseren besten Stürmer verkaufen, wir spielen nächste Saison im Europapokal'“. Doch es geschah.
Dass etliche Spieler schon ein halbes Jahr vor Saisonende Verträge bei anderen Vereinen unterschrieben hatten, habe die Mannschaft in der Abstiegssaison nicht gerade gestärkt. „Ich war wahrscheinlich der Einzige, der bis nach dem letzten Spiel in Köln mit der Unterschrift bei einem anderen Verein gewartet hat.“ Müller beteuert, er wäre auch in der Zweitklassigkeit beim Club geblieben, wenn der Verein sich finanziell ein wenig bewegt hätte. „Ich gehöre in diese Region“, sagt Müller, der während seiner ganzen Karriere nach den Spielen stets nach Haßfurt fuhr. Doch Präsident Luther habe abgewunken und Müller unterschrieb noch in Köln den besser dotierten Vertrag, den ihm Borussia Mönchengladbach schon länger vorgelegt hatte.
Starke Konkurrenz im Nationalteam
Seine Zweikampfstärke und seine Übersicht machten es – gepaart mit dem Erfolg mit Nürnberg – möglich, dass Luggi Müller 1968 gegen England auch sein erstes Länderspiel gegen England bestritt. Dass die DFB-Karriere nach sechs Einsätzen bereits wieder zu Ende war, lag an starker Konkurrenz: Bei der WM 1970 in Mexiko waren Wolfgang Weber und Karl-Heinz Schnellinger gesetzt, dann zog Franz Beckenbauers seinen Helfer Hans-Georg Schwarzenbeck mit. Müller zeigt Verständnis: „Wenn ich Trainer gewesen wäre, hätte ich auch dieses eingespielte Münchner Paar aufgestellt.“ Aus der Zeit im Nationalteam erwuchsen ihm jedoch Freundschaften fürs Leben, etwa mit Uwe Seeler und Franz Beckenbauer.
Immer mal schaut sich Luggi Müller Heimspiele des 1. FC Nürnberg an, wo er einst den Durchbruch schaffte. Nach der letzten Zweitliga-Partie hätte er Club-Kapitän Hanno Behrens eigentlich die Meisterschale überreichen sollen, doch aus der ehrenvollen Aufgabe wurde nichts, weil Fortuna Düsseldorf dem Mitaufsteiger den Titel durch ein Tor in der Nachspielzeit noch wegschnappte. Nun hofft Müller, dass sich der FCN für die Bundesliga trotz knapper Kasse einigermaßen verstärken kann. „Sonst, das sagt mir mein Gefühl, wird's nicht reichen.“
Wo er war, war der Erfolg
Wo Luggi Müller war, da war der Erfolg. 1964 wechselte der damals 23-jährige Abwehrspieler von seinem Heimatverein FC Haßfurt zum 1. FC Nürnberg. Da er den Rat von Trainer Gunter Baumann („Sie müssen lernen, auch mal auszuteilen“) beherzigte, verdrängte er schnell Nationalspieler Stefan Reisch. Nach dem Titel mit dem 1. FC Nürnberg 1968 wurde Müller mit der berühmten „Fohlenelf“ von Borussia Mönchengladbach 1970 und 1971 noch zwei weitere Male deutscher Meister.
Nach einem Schien- und Wadenbeinbruch beim legendären Europapokal-Wiederholungsspiel gegen Inter Mailand im Dezember 1971 drohte Müller das Karriereende. Ein Dreivierteljahr lang arbeitete er wie besessen an seinem Comeback. „Es war brutal. Es hat lange gedauert, bis ich wieder Vertrauen in mein Bein hatte“, erinnert er sich.
Im Oktober 1972 debütierte er bei Hertha BSC und feierte zum Abschluss seiner Profi-Karriere 1975 noch einmal die Vizemeisterschaft mit den Berlinern. Die Hertha-Fans wählten Müller in die Jahrhundert-Elf. Seine Rückkehr zum FC Haßfurt war ebenfalls von großem Erfolg gekrönt. Mit ihm als Spielertrainer stieg die Mannschaft 1976 in die Bayernliga auf und holte sich 1978 die Meisterschaft in der damals dritthöchsten Spielklasse. Auf den Aufstieg verzichtete der FCH aus finanziellen Gründen.
Müller wurde zwar immer mit dem Attribut „eisenhart“ versehen, in seiner Karriere aber nie des Feldes verwiesen. „Mein Enkel Maximilian hat daraus geschlossen, dass ich kein dummer Fußballer gewesen bin“, sagt Müller. „Und das stimmt.“ hst