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Fußball:
Als die Rakete der Hoffnung zerschellte
Der FC 05 Schweinfurt hatte im Mai 1951 ein Freundschaftsspiel bei Motor Zwickau. Mit dramatischen Folgen
Fußball in den 1950er Jahren: Im Mai 1951 spielte der FC 05 Schweinfurt (im Bild eine Szene aus der Saison 1950/51 gegen die SpVgg Fürth, rechts der Schweinfurter Spieler) bei Motor Zwickau ein Freundschaftsspiel, dessen tragische Auswirkungen erst viele Jahrzehnte später ans Licht kamen.
Foto: Repro: Oliver Schikora | Fußball in den 1950er Jahren: Im Mai 1951 spielte der FC 05 Schweinfurt (im Bild eine Szene aus der Saison 1950/51 gegen die SpVgg Fürth, rechts der Schweinfurter Spieler) bei Motor Zwickau ein Freundschaftsspiel, ...
redsp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:17 Uhr

Es ist eine Geschichte, die Gänsehaut bereitet. Eine Geschichte, die schaudern lässt. Schaudern ob der Grausamkeit eines Systems, wie man es sich heute in Deutschland zum Glück nicht mehr vorstellen kann. Mai 1951, die reguläre Saison war für den damals in der Fußball-Oberliga Süd spielenden FC 05 Schweinfurt bereits vorbei, die Endrunde um die deutsche Meisterschaft fand ohne die Kugellagerstädter statt. Also machte man sich auf zu Motor Zwickau in Sachsen. Es gab schon zwei deutsche Staaten, doch die Grenzen waren noch offen, innerdeutsche Freundschaftsspiele durchaus die Regel. 40 000 Zuschauer kamen ins Zwickauer Sportforum „Sojus 31“, um den FC 05 mit Anderl Kupfer, „Molly“ Kupfer und Ludwig Merz zu sehen. Schweinfurt verlor 0:2, reiste wieder nach Unterfranken zurück. Man hakte das Spiel ab, dachte, es sei nur eine statistische Randnotiz in der Geschichte.

63 Jahre später kommt der Begegnung plötzlich eine Bedeutung zu, die weit über die der verschiedenen wahrlich sportlich großartigen Matches des Vereins der letzten Jahrzehnte hinaus geht. Dieses Spiel kostete fünf Menschen das Leben, zwölf mussten in den sowjetischen Gulag. In der Pause – unbemerkt von beiden Mannschaften, die zu dem Zeitpunkt in der Kabine waren – hatte eine Gruppe mit dem Namen „Aktivisten der Freiheit“ mit einer spektakulären Aktion auf sich aufmerksam gemacht und gegen die Verhältnisse in der damals stalinistisch geprägten DDR protestiert. Sie hatten zwei Raketen mit Kapseln über dem Stadion gezündet, in denen sich Flugblätter befanden, auf denen gegen Misswirtschaft, gegen politische Willkür und vor allem gegen Stalins Diktatur protestiert wurde.

Eine durchaus beeindruckende Aktion, das schon. Aber auch eine wie viele hundert andere zu dieser Zeit, als sich tausende Bürger in der DDR gegen Ungerechtigkeiten im Alltag und Repressionen auflehnten. Bürger, die Stalins Diktatur nicht wollten. Und dafür mit dem Leben bezahlten – nicht erst am 17. Juni 1953, als Stalins Panzer den Aufstand in der DDR blutig niederschlugen.

Bernd Gerber war früher Oberbürgermeister von Werdau in der Nähe von Zwickau. Der 61-Jährige war in der DDR-Friedensbewegung, ist heute Landesvorsitzender der sächsischen Freien Wähler und seit vielen Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter im Martin-Luther-King-Zentrum in Werdau, das sich der Aufarbeitung der DDR-Geschichte verschrieben hat. Vier der Freiheitskämpfer aus der Gruppe kamen aus Werdau, er wurde auf ihren Fall aufmerksam und recherchierte die Geschichte akribisch. „Ich will auch den jungen Leuten heute sagen, was damals genau passiert ist. Das waren keine Verbrecher, die Lokomotiven oder Häuser in die Luft sprengen wollten. Das waren ganz normale Leute. Um Demokratie muss man kämpfen, das ist gerade für die jüngere Generation wichtig zu wissen.“ Die „Aktivisten der Freiheit“ überlebten teilweise ihren Kampf um mehr Demokratie nicht, weil sie sich erdreisteten, die Bühne eines Fußballspiels zu nutzen, um auf eklatante Missstände aufmerksam zu machen. Nicht nur in der damals schon zensierten sächsischen Presse war von der Rakete und den Flugblättern keine Silbe zu lesen. Auch im Schweinfurter Tagblatt nicht, das am 15. Mai 1951 einen Spielbericht abdruckte, den ein Mitarbeiter aus Zwickau unter der Überschrift „40 000 Sachsen feierten den FC 05 trotz Niederlage“ schrieb.

„Um Demokratie muss man kämpfen, das ist gerade für die jüngere Generation wichtig zu wissen.“
Bernd Gerber über seinen Antrieb, die Wahrheit über das Spiel herauszufinden.

Darin wird den Schweinfurter Spielern viel Respekt entgegen gebracht, der Spielverlauf detailliert beschrieben. Von Protesten kein Wort. Bernd Gerber hat Zeitzeugen gefunden, die damals dabei waren. Er glaubt, dass auch Zuschauer aus Unterfranken im Stadion waren, manche vielleicht sogar die Geschehnisse in der Pause mitbekommen haben könnten, auch wenn ein 05er Urgestein wie Karl Rosentritt von der Erzählung über die Hintergründe des Spiels völlig überrascht ist, „davon habe ich noch nie gehört.“ Den „Aktivisten der Freiheit“ gehörten rund 20 Personen an. Sie traten mit friedlichen Mitteln für ein nicht-kommunistisches und wiedervereintes Deutschland ein, bezweifelten den Machtanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED unter Ministerpräsident Otto Grotewohl, der seit Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 im Amt war. Schon am 1. Mai 1951 hatte die Gruppe versucht, mit einer Rakete Flugblätter zu verteilen. „Der Versuch ist aber gescheitert“, erzählt Gerber. Die Gruppe erfuhr von dem Spiel, wusste, wie viele Besucher kommen würden – die Handzettel wurden tatsächlich wahrgenommen und gelesen, wie zahlreiche Zeitzeugen unabhängig voneinander bestätigten.

Allerdings waren sowohl der russische Geheimdienst KGB als auch die damals schon existierende Stasi informiert, weil man einen Spitzel namens „GI Norbert“ in der Gruppe eingeschleust hatte. Die Aktion selbst konnte man nicht verhindern, „das Gewusel unmittelbar nach der Explosion war aber beeindruckend“, beschreibt Bernd Gerber die Erinnerung eines damals Elfjährigen, der den Aktionismus der Geheimpolizei beschrieb, die sich bemühte möglichst schnell die Handzettel wieder einzusammeln.

Im Original ist in Zwickau keiner erhalten, doch Gerber weiß, was darauf stand. Eine Karikatur von Josef Stalin mit Knute, darunter die Buchstaben SED, „Stalins Ergebene Diener“. Durch den Spitzel – laut seiner Stasi-Akte spionierte er später viele Jahre in West-Berlin für den KGB – wussten die Behörden schnell, wer dahinter steckte. Die Verhaftungen erfolgten nur sechs Tage später – und das Grauen begann. Der Schuhmacher Johannes Vitzthum, Anführer der Gruppe, sowie der Schreiner Walter-Karl Reinhold, der Lokomotivführer Alfred Pansa, der Textilfacharbeiter Heinz Herrmann und der Bergarbeiter Ernst Schreiter wurden zum Tode verurteilt. Im Schnellverfahren, natürlich ohne Anwalt. Und bereits im März 1952 in Moskau erschossen. Die anderen Mitglieder der Gruppe mussten zwischen zehn und 25 Jahre in einen Gulag nach Russland, Zwangsarbeit leisten. Sie kamen frei, so recherchierte Gerber, als der westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955 mit der Sowjetunion die Freilassung der letzten knapp 10 000 deutschen Kriegsgefangenen aushandelte.

„Mich hat diese Geschichte nie losgelassen. Man kann es nicht gerade rücken, aber ins rechte Licht rücken.“
Bernd Gerber über die „Aktivisten der Freiheit“.

Das Leid, das die Familien ertragen mussten, ist schwer auszuhalten, selbst wenn es nur erzählt wird. Die Ehefrauen wussten gar nichts, die Männer kamen zunächst in ein berüchtigtes Stasi-Gefängnis bei Chemnitz, vom Prozess und den Strafen erfuhren die Familien nichts. Selbst diejenigen, deren Ehemänner zum Tode verurteilt wurden, mussten Jahre darum kämpfen, etwas zu erfahren. Sie blieben mit kleinen Kindern, Säuglingen zurück, mussten sich irgendwie durchschlagen – durften aber nicht wieder heiraten, weil sie ja offiziell noch einen Ehemann hatten. „Körperlich wurden sie nicht angegangen, die psychische Belastung war aber unglaublich“, weiß Bernd Gerber. Genauso unglaublich wie die Geschichten, die im „Buch der 1000 Toten“ erzählt wird. Das ist die Auflistung der deutschen Opfer Stalins, die nach Moskau verschleppt und dort erschossen wurden. Außerdem, so Gerber, habe die Sowjetunion von der DDR eine gewisse Quote an Zwangsarbeitern für die Arbeitslager gefordert – was die zehn bis 25 Jahre Haft im Gulag für die nicht zum Tode verurteilten Aktivisten erklärt. Einen Zusammenhang mit dem Uranbergbau bei Wismut in Aue in Verbindung mit der russischen Atombombenproduktion und den harschen Urteilen, sieht Bernd Gerber nicht. „Es gab in der ganzen ehemaligen DDR ähnliche Proteste und Aktionen, es war die Antwort der radikalen Diktatur Stalins.“ Die Antwort auf einen kritischen Handzettel.

Es ist kein Trost und keine Wiedergutmachung für die Angehörigen. Aber immerhin haben 1994 russische Militärstaatsanwälte die Mitglieder der „Aktivisten der Freiheit“ vollständig rehabilitiert. „Mich hat diese Geschichte nie losgelassen. Man kann es nicht gerade rücken, aber ins rechte Licht rücken.“ Man kann es wohl kaum besser ausdrücken als Bernd Gerber.

Zeitzeugen gesucht: Möglicherweise waren Fans des FC 05 aus Schweinfurt und Umgebung am 11. Mai 1951 beim Spiel in Zwickau dabei oder haben später erfahren, was neben dem sportlichen Geschehen passiert ist. Wer Erinnerungen an das Spiel hat, kann sich gerne beim Schweinfurter Tagblatt melden unter Tel. (0 97 21) 548 88 49. Am 11. März (18.30 Uhr) hält Bernd Gerber im Martin-Luther-King-Zentrum in Werdau einen Vortrag über die ungewöhnlichen Hintergründe des Freundschaftsspiels zwischen Motor Zwickau und dem FC 05 Schweinfurt. Der Eintritt ist frei.

 
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