Ein ganz schönes Gedränge wird's geben auf den Sportanlagen in und um Schweinfurt. 9000 Sportlerinnen und Sportler kommen Ende Mai zum 32. Landesturnfest. Darunter auch 800 Behinderte. Und die mischen erstmals bei den Nichtbehinderten mit, beim inklusiven Turn-Fest. Möglich macht's das Orga-Team um Günter Dietz.
"Einen ersten Versuch gab es zwar vor vier Jahren in Burghausen, doch ganz ehrlich: Das ging damals in die Hose", erinnert sich der Hofheimer. Zwei Monate Hau-Ruck-Vorbereitung waren einfach zu wenig. Für Schweinfurt hat man sich erheblich mehr Mühe gegeben. Inklusion soll groß geschrieben sein, nicht nur eine Nische.
"Das größte Hindernis sind die Nichtbehinderten." Dietz sagt das ohne Polemik, hat durchaus Verständnis für gewisse Berührungsängste, gerade in Mannschaftssportarten. "Es gibt Disziplinen, in denen Grenzen für gemeinsam ausgeübten Sport auftreten." Aber es gebe eben auch andere, wie beispielsweise Schießen oder Gymnastik.
Der TV Hofheim lebt Inklusion vor
Dietz weiß, wovon er spricht, er hat über die Jahre aktuell fünf Behindertensportler in den ganz "normalen" Betrieb seines Heimatvereins TV Hofheim integrieren können. "Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass ein Behinderter ein Mensch ist, der mithalten kann." Schon zum fünften Mal veranstaltete der 70-Jährige, der seit 2015 offiziell Inklusionsbeauftragter des Bayerischen Turn-Verbandes (BTV) für den Bezirk Unterfranken ist, im Juli dieses Jahres ein regionales inklusives Sportfest - mit großem Zuspruch.
Wie kommt Dietz, der selbst kein Handicap hat, eigentlich zum Behindertensport? In den Siebzigern war er noch eingefleischter Fußball-Fan, hat fürs Kicken noch alles stehen und liegen gelassen. Bis er Anfang der Achtziger mal wieder im Münchner Olympia-Stadion bei den Bayern war: "Ich bin zu der Zeit Busgesellschaften gefahren, war 24 Stunden unterwegs. Und als ich dann sah, wie die hochbezahlten Profis an diesem Tag gearbeitet haben, später hörte, sie hätten halt einen schlechten Tag gehabt", da habe er sich abgewendet und dem Breitensport zu. "Fußballer sehen nur Ball und Tore, aber es gibt viel wertvolleres."
Das Spektrum Breitensport erweiterte Dietz auf den Hinweis eines guten Bekannten hin, der ihm seine Erlebnisse aus der Behindertenarbeit geschildert hatte, um die Sparte Inklusion. "Die Erfahrungen, die ich in diesem Bereich machen durfte, möchte ich nie missen." Ab 1982 war er stellvertretender Bezirksvorsitzender im Turnverband, seit 2011 ist er die Nummer eins.
"Wir haben das Programmheft bewusst in einfacher Sprache gehalten", sagt Dietz ohne Häme, mit seinem ganzen Erfahrungsschatz - und besonderem Blick auf geistig behinderte Teilnehmer. Eine 24-Seitige Broschüre ergänzt das offizielle Programm des vom 30. Mai bis 6. Juni stattfindenden Landesturnfestes. Und erläutert anschaulich das inklusive Angebot: von der Spielstraße, über das Demo-Turnier der Rollstuhlbasketballer, den Special Run, das Sportabzeichen, den leichtathletischen Mehrkampf, Mountainbike- und Radwandertouren bis zum Wettbewerb "Turn 10".
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Letzteres ist ein Turn-Wettbewerb, der sich nicht an herkömmlichen Kürprogrammen orientiert. Zur Wahl stehen Disziplinen wie Kasten, Reck, Barren, Balken oder das Bodenturnen - jedoch stellen sich die Teilnehmer vorher die Übungen zusammen, die sie auch wirklich können. So haben auch gehandicapte Athletinnen und Athleten Chancen auf vordere Plätze. Ebenso im leichtathletischen Mehrkampf, wo eine Umrechnungstabelle den Behinderten je nach Behinderungsgrad ihre Leistung zu den Nichtbehinderten in Relation setzt. Dietz: "In diesen Wettkämpfen werden wir auch nicht nach erstem, zweitem und drittem Platz klassifizieren, sondern nach Gold, Silber, Bronze." Ganz olympisch eben, dabei sein soll alles sein.
Humboldt-Gymnasium beteiligt sich mit P-Seminar
Exoten sind die Gehandicapten angesichts der hohen Teilnehmerzahlen eh nicht. Dietz und seine Mitstreiter standen und stehen in Kontakt mit allen unterfränkischen Behinderteneinrichtungen. Eine Vorreiterrolle nehmen die Schülerinnen, Schüler und Lehrer des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums ein: Im Rahmen ihres schulischen P(raxis)-Seminars richten sie zudem am Freitag, 31. Mai, ein eigenes Sportfest für Behinderte, ebenfalls eingebettet ins Landesturnfest, aus. Knapp 500 Teilnehmer gehen dann unter anderem auf der Spiel-und-Sport-Straße an den Start.
Höhepunkt ist die Veranstaltung "Mein Olympia", bei der sich Kinder und Jugendliche aus Fördereinrichtungen für geistige und mehrfache Behinderungen in leichtathletischen Disziplinen, aber auch im Dosenwerfen oder in Gleichgewichtsübungen messen. Selbstverständlich gibt's den feierlichen Einmarsch der Athleten und ein "olympisches" Feuer im Willy-Sachs-Stadion - abermals ein Hauch von Olympia.
Ob nun mit dem P-Seminar-Block oder dem inklusiven Turnfest - Günter Dietz ist felsenfest davon überzeugt, das Landesturnfest als Bühne dafür nutzen zu können, dass Behindertensport, insbesondere Inklusion, auf diesem Weg "in der Breite der Bevölkerung ankommen wird".
Geradezu prädestiniert dafür ist der sogenannte "Special Run": Im Willy-Sachs-Stadion gehen Behinderte und Nichtbehinderte, allesamt Breitensportler, auf die Tartanbahn, die vorab eine Zeit angeben müssen, die sie am Stück laufen oder gehen können - auch, um das Laufabzeichen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) zu erlangen. Ohne dass die absolvierte Strecke gemessen wird, bekommen die Teilnehmer eine Urkunde über die absolvierte Laufzeit. Es zählt nur das gemeinschaftliche Sporterlebnis. Inklusion eben.