Kaum bin ich bei Siggi Vollmuth im Zeuzlebener Wohngebiet angekommen, werde ich schon am Auto abgeholt. „Ich hab' grad´ gesehen, dass da ein fremdes Auto steht und dacht´ mir schon, dass du es bist.“ Siggi grinst. Obwohl wir uns schnell darauf einigen, dass wir uns an diesem wunderschönen März-Nachmittag draußen im Hof über seine Leidenschaft unterhalten, führt mich der passionierte Eisstockschütze erst einmal ins Haus. Und schnurstracks in sein „Büro“, wie er es nennt. „Schaltzentrale“ wäre aber wohl noch ein bisschen treffender.
och ein bisschen treffender.
Von hier aus leitet Siegfried Vollmuth, den alle nur Siggi nennen, seit fast 24 Jahren die Eisstock-Abteilung des TSC Zeuzleben; organisiert Turniere, erweitert die Bildersammlung und hütet die Trophäen, die er in all den Jahren gesammelt hat, seit er mit 42 Jahren die Liebe zur Präzisions-Sportart entdeckte. Vergeblich sucht man neben Sofa, Regalen, einer Liege und dem Schreibtisch technische Helfer. Kein Computer, kein Laptop. Auch Smartphone und Tablet haben hier noch nicht Einzug gehalten. „Ich hab´ ihm ja meine Hilfe angeboten, weil ich einen Computer hab´“, wirft seine Frau Irene ein. Doch das will der 67-Jährige gar nicht. Ihm ist das alles zu unpersönlich. Er legt einfach Wert auf einen netten Plausch am Telefon oder einen per Post versendeten Brief. Auch wenn das nicht alle in seinem Umfeld glücklich macht, ist Vollmuth in dieser Hinsicht ein bisschen eigen. „Das ist viel schöner: Am Telefon oder im persönlichen Gespräch erfährt man immer was Zusätzliches.“
Und genau deshalb bin ich ja auch da. Eisstock-Schießen kenne ich nämlich nur aus dem Fernsehen. Da schleudert ein Akteur einen Stein, während seine Mitspieler im Eiltempo über die Eisfläche schrubben. Vollmuth lacht. „Das hört man so oft: 'Das kenne ich doch vom Fernsehen'. Aber da sag´ ich immer: 'Im Fernsehen kommt Eisstock wenig'.“ Ups, kleiner Fauxpas, da habe ich wohl ein paar Sachen verwechselt: Klar, Curling und Eisstockschießen haben Ähnlichkeiten. Trotzdem sind diese Sportarten verschieden. Während beim Curling möglichst wenig Reibung erzeugt und der eigene Stein nahe dem gegnerischen zum Stehen kommen soll, wird beim Eisstockschießen Reibung gebraucht, um den gegnerischen Stock nach Möglichkeit aus dem Feld zu schießen. Das geht im Winter auf Eisflächen und – man höre und staune – im Sommer auf Asphaltbahnen.
„Das ist einfach ein toller Sport. Den kannst du mit zwölf betreiben und mit 80 auch noch“, sagt Vollmuth, der Anfang der 90er-Jahre über seine Arbeitsstelle beim Wasserwirtschaftsamt zum Eisstocksport kam. Vorher hatte er lange beim TSC Fußball gespielt. „Irgendwann ging das halt nicht mehr, dann hab´ ich halt mal beim Eisstock mitgemacht.“ Während sich manch anderer beim Sport aufs Siegen konzentriert, gefiel dem redseligen Siggi schon damals die Kameradschaft. Egal ob mit der Mannschaft, im Einzel- oder Zielwettbewerb: Bis heute lernt der Pionier noch Leute kennen, über deren Bekanntschaften er sich immer wieder freut. Die Erfolge ließen dann auch nicht lange warten. Hatte die kleine Abteilung, die am Anfang aus Vollmuth, seinem Bruder Sepp, seinem Sohn Andreas, seinem Schwager Erhard Haas und dessen Sohn Rainer bestand, zuerst noch für Stirnrunzeln im eigenen Verein gesorgt, wuchs sie immer weiter und hat heute 24 Mitglieder. Nicht schlecht für einen Sport, der vorrangig im Bayerischen Wald gespielt wird.
Er ist und bleibt eben die Eisstock-Koryphäe im Wernecker Ortsteil. Seine Frau Irene und die Söhne Andreas und Steffen haben sich nie daran gestört, dass der gelernte Betonbauer Archivar, Abteilungsleiter und Mädchen für alles ist. Vielmehr sind sie mittendrin – und so natürlich auch dabei. Selbst Vollmuths drei Enkelkinder hatten schon den Kinder-Eisstock in der Hand. „Wenn der Opa draußen ist, kriegen die das in die Händ´. Ich brauch´ ja Nachwuchs!“ Da muss auch Siggi Vollmuth, der seit 1994 einen Trainerschein besitzt, herzhaft lachen. Und ja, auch ich bleibe davon nicht verschont.
Schnurstracks geht´s mit Siggis Mercedes zur penibel gepflegten Asphalt-Bahn am TSC-Sportheim. An der 1999 errichteten Bahn warten schon die Teamkollegen Erhard Haas und Albert Weingärtner auf uns. Obwohl an diesem Samstag der Landkreis-Pokal beim ERV Schweinfurt ansteht, sind sie nicht gekommen, um zu trainieren. Sie wollen mir das Eisstock-Schießen beibringen. „Nichts leichter als das“, denke ich, während Siggi den ersten Stock in das Zielfeld bugsiert, „dafür braucht´s nicht so viel Übung.“ Selten habe ich mich so geirrt. Der Stock ist schwer und schon beim ersten Versuch habe ich Sorge, dass ich das Sportgerät irgendwie zerstöre. Obwohl mir durch den Kopf schießt, dass die Ausrüstung – bestehend aus Stockkörper, Griff, Sommer- und Winterplatten – gut und gerne 2600 Euro kosten kann, schleudere ich den Stock Richtung Ziel. Und scheitere kläglich. Irgendwie hat mich doch der Ehrgeiz gepackt. Im Anflug jugendlichen Leichtsinns fordere ich Siggi heraus. Er wirft – und nörgelt. Sein persönliches Ziel hat er mit gut 25 Metern klar verfehlt. Nun bin ich an der Reihe: Ich scheitere wieder.