Gewusel und Gemurmel, so beginnt jeder Bridgeabend im Kolpinghaus in Schweinfurt. Wie im Bienenstock geht's da zu, wenn die meist knapp 50 aktiven Mitglieder des 1972 gegründeten Schweinfurter Bridge-Clubs ihre Laufkarten und Kartensets holen und mit ihrem Partner den richtigen Tisch suchen. Kaum angekommen, gibt es das Zeichen zum Start. Dreieinhalb Stunden Turnierbridge an diesem Abend, drei Mal die Woche, das ganze Jahr über – da sage noch mal einer, Bridge sei kein Sport. Doch sobald es losgeht, wird es still im Saal des Kolpinghauses. Bridge ist ja schließlich kein Schafkopf, wo im Wirtshaus am Tisch geschimpft, gegrölt, getrunken wird. „Bridge“, so sagte einst die Tennisspielerin Martina Navratilova, „ist mehr als ein Kartenspiel. Es ist ein Denksport, es trainiert Geduld, Konzentration und partnerschaftliche Fähigkeiten.“ Das Internationale Olympische Komitee hat das weltweit am meisten genutzte Kartenspiel schon lange als Sport anerkannt. 1999 beschloss man, es etablierten Sportarten wie Fußball oder der Leichtathletik gleichzustellen.
Nicht, weil der jetzige aus Deutschland stammende Präsident Thomas Bach die tägliche Seifenoper „Rote Rosen“ im Fernsehen so toll findet. Da spielen die älteren Damen nämlich ständig Bridge. Sondern weil Bach schon 1999 als Mitglied des IOC wie der Schweinfurter Bridge-Club-Vorsitzende Reiner Koch wusste, dass es sich um mehr als ein Kartenspiel handelt. Bridge ist, wie Schach oder Go, ein ernst zu nehmender Denksport. Niemand würde den Status von Schach als Sport in Zweifel ziehen, das nicht nur rund um Schweinfurt ehrgeizig in Ligen betrieben wird. Und die 29 000 aktiven Bridge-Turnierspieler in den 500 Vereinen in Deutschland nehmen genauso wie die rund eine Million Privatspieler ihren Sport auch überaus ernst.
Bridge ist ein mehrere hundert Jahre altes Spiel, dessen heute im Turnierbridge festgelegten Regeln in den 1920er Jahren vom amerikanischen Industriellen Harold S. Vanderbilt festgelegt wurden – und sich weltweit durchsetzten, nahezu unverändert bis heute. Egal ob im Schweinfurter Kolpinghaus oder im kanadischen Toronto im Urlaub, man kommt, setzt sich und spielt. „Natürlich, am Anfang hatte ich auch eine Phase, wo ich gedacht habe, das verstehe ich nie. Aber als ich mich durchgebissen habe, wurde es fast schon eine Sucht“, erzählt Reiner Koch, der als pensionierter Mathematiklehrer natürlich dem Thema Logik und Gedächtnissport näher steht als so manch ein anderer Sportskamerad. Den Ehrgeiz, den die Spieler in der ersten, zweiten und den dritten Bundesligen haben, gibt es so in Schweinfurt natürlich nicht. Auch auf deutschen Meisterschaften, der EM oder WM hatte man noch keinen Spieler und wie die in der Szene bekannte Familie Gromöller aus Bamberg lebt auch kein Schweinfurter vom professionellen Bridge-Spielen.
Das heißt aber nicht, dass man den Sport nicht weniger ernst nimmt. Immerhin ist die Schweinfurter Mannschaft in der Landesliga im Moment Fünfter von acht Mannschaften, die Saison geht noch bis Anfang Mai. Die Bridge-Saison wird meist im Winter gespielt, der Aufbau am Tisch ist recht kompliziert und nicht wirklich dafür geeignet, draußen im Biergarten gespielt zu werden. So kam es auch, dass Bridge 2006 als Demonstrationssportart bei den Olympischen Winterspielen in Turin dabei war – ein Fest vor allem für die vielen anglo-amerikanischen Spieler und die Bridge-Gemeinden in Polen, den Niederlanden, Italien und Frankreich, wo die in Europa mit Abstand meisten Spieler des immerhin mit 350 000 Aktiven größten Kontinentalverbands der Bridge-Welt aktiv sind. Leider ist es aber auch so, dass Bridge im Vergleich zu action-geladenen Sportarten wie Skicross oder Abfahrtsrennen nicht wirklich fernsehtauglich ist. Ein Denksport eben.
„Ich war schon immer ein leidenschaftlicher Kartenspieler“, erzählt Reiner Koch, der den Club seit acht Jahren führt. Skat, Schafkopf, Doppelkopf – die Kochs, auch Reiners Frau Christine ist aktiv, spielen gerne. Als sie dann Bridge kennenlernten, ließ es sie nicht mehr los. Denn die Sportart zeichnet etwas aus, was man von anderen Kartenspielen, vor allem beim Pokern, so überhaupt nicht kennt: absolute Fairness. Es kommt nicht darauf an, wie die Karten gemischt wurden und ob man vorgeblich gute oder schlechte Karten hat. Denn das Set – gespielt wird mit dem französischen Blatt mit 52 Karten in den Farben Pik, Coeur (Herz), Karo und Treff (Kreuz) – wird ganz am Anfang einmal gemischt, dann spielt ein Paare damit und nach dem Spiel wandern die Karten in der gleichen Zusammensetzung an den nächsten Tisch. „Entscheidend ist immer, was man aus dem jeweiligen Set aus Karten macht, theoretisch kann auch das Paar mit den schlechtesten Karten am Ende gewinnen“, erklärt Koch.
Den Fachsprech haben die Schweinfurter natürlich alle drauf, Stirnrunzeln gibt es da nicht, wenn sie ihr Bridge-Magazin aufschlagen und eine Passage wie folgt lesen: „Süd hält mindestens 5-5 in Coeur und Treff mit einladenden Werten, wobei Coeur die längere Farbe ist, falls Süd mit mehr als 5-5 nach Coeur zweimal Treff reizt.“ Verstanden? Zumindest, dass es wirklich eine Weile dauert, bis man Bridge verstanden hat. Im Grunde ist es aber relativ einfach. Es ist ein Wettbewerb zwischen zwei Paaren, das aus zwei Phasen besteht: dem Reizen und dem Spiel. „Das Ziel ist, möglichst viele Stiche zu machen“, erklärt Reiner Koch. „Die Reizung ist langwierig zu lernen und braucht Ausdauer, das Spiel selber aber ist für geübte Spieler recht schnell beherrschbar.“
Das finden auch seine Vereinskameraden. Die ersten 14 Minuten – so lange dauert eine Runde an einem Tisch – sind vorbei. Das nur durch gelegentliche kurze Kommandos unterbrochene konzentrierte Schweigen endet abrupt. Alle stehen auf, der Bienestock kommt in Bewegung, jedes Paar schaut auf seine Laufkarte, sucht seinen neuen Tisch. Sie setzen sich. Schweigen. Und denken.
ONLINE-TIPP
Alles zum Bridge-Sport und dem Schweinfurter Bridge-Club finden Sie unter www.bridge-schweinfurt.de